Ministerium will bewährte Strukturen beim Arbeitsschutz abbauen

Profite schützen, Arbeiter gefährden

Wo Bürokratieabbau drauf steht, ist in der Regel Sozial­abbau drin. Die jüngst bekannt gewordenen Pläne aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gehen sogar noch einen Schritt weiter. Unter dem Deckmäntelchen des vermeintlichen Bürokratieabbaus wird hier mit der Gesundheit und im schlimmsten Fall mit dem Leben von Beschäftigten gespielt.

Das BMAS hat nach eigenen Angaben ein „Gesamtkonzept zum Bürokratierückbau im Arbeitsschutz“ vorgelegt und wolle so die Arbeitsschutzregelungen effizienter und digitaler gestalten. Es gelte, das Arbeitsschutzrecht so zu modernisieren, dass es noch stärker als bisher auf tatsächliche Gefahrenlagen ausgerichtet wird, heißt es völlig unverdächtig in einer jüngst veröffentlichten Mitteilung mit der Überschrift „Arbeitsschutz: Zukunftsfähigkeit stärken – Wirtschaft entlasten“ aus dem sozialdemokratisch geführten Ministerium. Und weiter: Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sollen praxisgerechte einfache Lösungen realisiert werden.

So soll etwa die Verpflichtung für Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten entfallen, einen Sicherheitsbeauftragten zu bestellen. Größere Unternehmen mit bis zu 250 Beschäftigten sollen sich auf einen Beauftragten beschränken können. Mit der Umsetzung der im Konzept enthaltenen Vorhaben leiste der Arbeitsschutz zugleich einen Beitrag zu dem im Koalitionsvertrag vom 5. Mai 2025 enthaltenen Auftrag zum Bürokratierückbau. Dabei geht das BMAS davon aus, dass schon die Pakete 1 und 2 zu einer Entlastung der Wirtschaft in Höhe von knapp 200 Millionen Euro im Jahr führen.
Die Umsetzung des ersten Pakets sei im Rahmen des Sofortprogramms für den Bürokratierückbau der Bundesregierung und eines entsprechenden Kabinettsbeschlusses Anfang November geplant. Die weiteren Reformschritte sollen „im Laufe der 21. Legislaturperiode unter Beteiligung der betroffenen Akteure umgesetzt werden“, so das Ministerium.

Was das BMAS mit wohlklingenden Schlagworten wie „Entlastung kleiner Betriebe“ oder „flexiblere Regeln“ als Modernisierungsschub verkauft, bezeichnet der DGB als „systematischen Abbau bewährter Schutzstrukturen“. Bis zu 123.000 Sicherheitsbeauftragte würden nach dessen Berechnungen wegfallen. Dabei handelt es sich um geschulte, ehrenamtlich tätige Kolleginnen und Kollegen, die als eine Art Frühwarnsystem für sicheres Arbeiten im Betrieb fungieren. So melden sie Gefährdungen und Gefahren weiter und klären Beschäftigte darüber auf, dass Schutzmaßnahmen und Schutzvorrichtungen jederzeit zu beachten sind.

Auch bei der Gefährdungsbeurteilung, bei Unterweisungen und den Arbeitsschutzausschüssen will das BMAS die Zügel lockern, kritisiert der DGB. So würden zentrale Pfeiler der Prävention geopfert. „Doch wer Dokumentationspflichten streicht, schwächt die Transparenz und Nachprüfbarkeit, erhöht das Haftungsrisiko“, so die Befürchtung. Gleichzeitig werde die Beteiligung der Beschäftigten an der Arbeitsschutzorganisation geschwächt.

Darüber hinaus würde die Absenkung der Standards in kleinen und mittleren Unternehmen de facto zu einem Zweiklassensystem im Arbeitsschutz führen. Denn Beschäftigte wären dort weniger gut geschützt als in Großbetrieben, so die Einschätzung des DGB. Dies widerspreche dem Grundgedanken gleichwertiger Arbeitsbedingungen, einem Eckpfeiler des rechtlich normierten Arbeitsschutzrechts.

In der Konsequenz stellen die politisch Verantwortlichen Schutzpflichten infrage, die über Jahrzehnte Gesundheit geschützt und Leben gerettet haben. Statt den Arbeits- und Gesundheitsschutz vor dem Hintergrund der sich rasant veränderten Arbeitsabläufe und Bedingungen zu einer wirksamen Prävention weiterzuentwickeln, werden Pflichten abgebaut. Kompetenzen werden verlagert und Risiken individualisiert. Die logische Folge sind steigende Unfallzahlen, während gleichzeitig die Wochen- und Lebensarbeitszeit unerbittlich nach oben geschraubt wird. Dies ist Ausdruck einer unverschleierten politischen Standortverschiebung. Die Gesundheit der Beschäftigten tritt endgültig hinter die zynisch als „Arbeitgeberentlastung“ bezeichneten Profitinteressen zurück.

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"Profite schützen, Arbeiter gefährden", UZ vom 7. November 2025



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