Strategie der Autobauer trifft Kunden und Beschäftigte

Protziger Porsche statt preisgünstiger Polo

Marco Gaetano

Seit dem letzten Sommer ist klar, dass der Autobauer Ford im saarländischen Werk Saarlouis ab 2025 keine Autos mehr bauen wird. Der größte Teil der rund 6.000 Arbeitsplätze ist in akuter Gefahr. Unsicherheit dominiert nun auch die Stimmung im Kölner Ford-Werk, wo laut IG Metall bis zu 3.200 Beschäftigte betroffen sein könnten. Zwar gibt es dort Zusagen für eine Produktion eines E-Autos ab Ende dieses Jahres, doch wie verschiedene Medien berichteten, plant Ford auch am Standort Köln einen Personalabbau. Das „Handelsblatt“ vermutet, dass dieser in „Verwaltungs- und Entwicklungsbereichen“ stattfinden soll. Auch andere Ford-Werke in Europa soll es treffen.

Die Autobauer jammern durch die Bank weg über zu geringe Autoverkäufe und verweisen auf die europaweit sinkende Zahl an Neuzulassungen. Dabei sei die Nachfrage nach neuen PKW hoch, nur das Angebot sei wegen Lieferengpässen („Halbleitermangel“) stark eingeschränkt.

Die Preise für PKW sind derweil auf ein „Allzeithoch“ gestiegen. Bei Neuwagen gibt es eine Teuerung von 13 Prozent, bei Gebrauchten um 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Die Autokonzerne verzeichnen derweil Rekordgewinne – wie schon im Jahr zuvor. Im dritten Quartal 2022 konnten die 16 größten Autoproduzenten ihren Gewinn im Schnitt um 28 Prozent steigern. Deutsche Hersteller erreichten im Schnitt sogar ein Plus von 58 Prozent.

Trotz geringerer Absätze verzeichnen die Konzerne also steigende Umsätze und Gewinne. Wie ist das möglich? Die Strategie der Autokonzerne geht auf: Die wenigen Halbleiter, die sie haben, verbauen sie in ihren „Premium-Modellen“. Diese können sie dann für teures Geld verkaufen. Das ist auch an der Zahl der neu zugelassenen Modelle abzulesen. Während die Zahl der Kleinwagen-Neuzulassungen im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr um 12,2 Prozent sank, stieg die Zahl der Oberklasse um 5,8 Prozent und der SUV um 16,6 Prozent.

Diese erfolgreiche Strategie soll beibehalten werden. Audi beispielsweise sagte gegenüber dem „Bayrischen Rundfunk“, es gebe Pläne, „die Modellpalette nach unten (zu) begrenzen und nach oben (zu) erweitern.“ Dieser Linie folgt auch der US-amerikanische Hersteller Ford. Das Handelsblatt schrieb zuletzt: „Kleinwagen wird es bei Ford Europa bald nicht mehr geben.“ Die Konzerne kämpfen um Anteile im lukrativen Segment der „Premium-Modelle“, gleichzeitig stoßen sie die angeblich unrentable Produktion von günstigen Modellen ab. Der ADAC stellt fest, dass „einige Hersteller (die) günstigen Modellvarianten – also solche mit wenig Ausstattung und ‚schwachen‘ Motorisierungen – einfach nicht mehr an(bieten)“.

Dadurch wird das Angebot verknappt, was zu einer weiteren Verteuerung der verfügbaren „günstigen Modellvarianten“ führt. Die Folge ist ein massiver Preisanstieg bei Kleinst- und Kleinwagen: Im Vergleich zu 2017 um 44,3 Prozent beziehungsweise 30,1 Prozent. Die Preise der Oberklasse stiegen um 12,7 Prozent. Die viel zitierte Abkehr vom Verbrenner ist derzeit eine Abkehr vom günstigen Kleinwagen.

Der „klimaneutrale Umbau“ trifft die Arbeiterklasse also in zweierlei Hinsicht. Zum einen führt er zur Schließung von Werken, Personalabbau und Rationalisierungen. Das gilt vor allem dort, wo günstige Modelle gebaut werden. Zum anderen sind die Preise für Kleinwagen, an denen breite Teile der Arbeiterklasse ein Interesse haben, stark gestiegen. Und das ist keine Momentaufnahme.

Die zunehmende Bedeutung der „E-Mobilität“ wird diese Tendenz verstetigen, so die Einschätzung eines „Branchenkenners“ gegenüber dem „Bayrischen Rundfunk“: „Die Technologie ist per se sehr teuer. Das lohnt vielleicht in der Mittelklasse oder bei Premiumwagen, aber die Verbindung Kleinwagen und E-Auto ist derzeit kein ökonomisch sinnvolles Modell.“ Demnach werden die Preise im Kleinwagensegment hoch bleiben. „VW gibt als Ziel aus, bis 2025 einen Kleinwagen mit E-Antrieb für unter 25.000 Euro auf den Markt zu bringen.“ Zum Vergleich: Ein VW Polo kostete vor einigen Jahren in seiner günstigsten Ausstattung etwa die Hälfte.

„Jeder vierte Beschäftigte soll gehen!“
Pressemitteilung des Betriebsrats bei Ford Köln vom 23. Januar
Das gab es zuletzt am Anfang des Jahrtausends: Außerordentliche Betriebsversammlungen bei Ford in Köln! Die Versammlungshalle mit einer Kapazität von etwa 5.000 Menschen quoll über, so dass etwa 2.000 Beschäftigte keinen Einlass mehr fanden und noch eine dritte Versammlung am gleichen Tag eingeschoben werden musste. Damit nahmen mehr als 12.000 der insgesamt ca. 15.000 Beschäftigten am Standort an den Versammlungen teil.
Der Betriebsrat hatte dazu eingeladen, damit die Geschäftsleitung die Belegschaft über die Pläne für Ford Europa und insbesondere für Ford in Deutschland informierte. (…) Seit Monaten schon herrscht zunehmende Verunsicherung in der Belegschaft; Äußerungen der US-Konzernspitze und ein Blick in die Auftragsbücher insbesondere der Produktentwicklung in (Köln-)Merkenich ließen Schlimmes ahnen.
Dazu kommen schon feststehende Tatsachen:
Die Produktion der Ikone „Fiesta“ in Köln wird im Sommer enden.
Die Produktion der zweiten Ikone „Ford Focus“ in Saarlouis soll im Sommer 2025 enden.
Die PKW-Palette von Ford in Europa wird seit Jahren geschrumpft, von einstmals 14 Modellen auf heute eine Handvoll.
Das Markenimage soll vom verlässlichen und preisgünstigen Automobil gedreht werden hin zu „Adventurous Spirit“ (Abenteuergeist) mit überwiegend hochpreisigen Importfahrzeugen (Bronco, Mustang etc.)
In Köln werden 2 Mrd. US-Dollar in die Produktion von zwei Elek­tro­fahrzeugen investiert, die allerdings auf einer VW-Plattform gebaut werden.
Seit Jahren wird die Ausrichtung von Ford Europa diskutiert. Zuletzt 2019/20 gab es ein großes Restrukturierungsprogramm, mit dem an den deutschen Standorten fast 6.000 Beschäftigte abgebaut wurden. Jetzt droht die nächste Welle, insbesondere in der Produktentwicklung. (…)
Der Konzern will die wesentlichen Entwicklungsaufgaben in Nordamerika (Mexiko) bündeln. Der Wandel vom Verbrenner zum Elektromotor reduziert Entwicklungsaufgaben und Ford verkleinert weiter die PKW-Palette. Zu dem drohenden Kahlschlag in der Produktentwicklung kommt noch ein angekündigter Abbau von mindestens 20 Prozent der Arbeitsplätze in den Verwaltungsbereichen, also Einkauf, Finanz, Marketing et cetera sowie auch in der Ford Service Organisation, dem Ersatzteilzentrum. (…) Insgesamt also ein Abbau von bis zu 3.200 Arbeitsplätzen bei Ford in Köln, jeder vierte Beschäftigte soll gehen!
Dem Standort Saarlouis wurde schon das Aus ab Sommer 2025 verkündet, von jetzt 4.500 Beschäftigten sollen nach aktuellem Stand nur 500 bis 700 weiter bei Ford beschäftigt werden. Das Forschungszentrum in Aachen steht ebenfalls auf der Kippe, da sind es aktuell ca. 220 Beschäftigte, die um ihre Arbeitsplätze bangen müssen. (…)
Aktuelle Informationen zum Ford-Werk in Saarlouis und Aktionen der Belegschaft unter: www.saarlouis-muss-leben.de

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Protziger Porsche statt preisgünstiger Polo", UZ vom 27. Januar 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Stern.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit