Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin Freya, Sozialarbeiterin bei der Stadt Kassel und spreche heute für den Bezirksjugendvorstand der ver.di Nordhessen.
Ich habe dieses Jahr meine erste Tarifrunde im öffentlichen Dienst als Beschäftigte miterlebt und muss sagen, es war beeindruckend. Beeindruckend zu sehen, dass man mit dem Wunsch nach besseren Arbeits- und Lebensbedingungen nicht allein dasteht. Beeindruckend, was für eine Kraft entsteht, wenn man mit tausenden Kolleginnen und Kollegen gemeinsam auf der Straße steht. Und da wurde klar: Wenn wir nicht arbeiten, dann läuft der Laden nicht. Diese Erfahrung war für mich persönlich krass – und dafür will ich einfach mal DANKE sagen, an alle Kolleginnen und Kollegen, die mitgestreikt haben.
Aber klar ist auch: Es war keine einfache Tarifrunde. Die Arbeitgeber haben knallhart ihre Interessen vertreten. Am Ende steht ein Ergebnis, dass sicherlich nicht dazu geeignet ist, den öffentlichen Dienst attraktiver zu machen, mehr Personal einzustellen und so die vielen überlasteten Kolleginnen und Kollegen zu entlasten. Immerhin: Es gibt eine neue Übernahmeregelung für Auszubildende. Das ist wichtig und das brauchen wir. Sie hat aber einen entscheidenden Haken: Voraussetzung für die Übernahmegarantie ist unter anderem ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung – zumindest in Abteilungen mit hoheitlichen Tätigkeiten.
Klar, ich wie hoffentlich alle Auszubildenden bei der Stadt Kassel stehen für den Erhalt und den Ausbau demokratischer Rechte ein. Aber am Ende werden es nicht wir sein, die darüber entscheiden, ob Auszubildende sich zum Grundgesetzt bekennen, sondern dieser Staat – mit einem Verfassungsschutz, der in die NSU-Morde verwickelt war, dieser Staat, der nicht bereit ist, Geld in die Hand zu nehmen um einen gut ausgebauten öffentlichen Dienst zu schaffen. Was das praktisch heißen kann, zeigt das Beispiel der Münchner Klimaaktivistin Lisa Poettinger. Sie wurde nicht für das Referendariat zugelassen. In der Begründung dafür wird argumentiert, dass sie antikapitalistische Begriffe wie „Profitmaximierung“ und „Klassenkampf“ verwendet hat. Das sind keine Verfassungsfeindlichen Begriffe – das sind gewerkschaftliche Begriffe und wir stehen zu allen Kolleginnen und Kollegen die solche Missstände anprangern.
Als weiteren bitteren Punkt der Tarifrunde im öffentlichen Dienst sehen wir in der Verdi-Jugend die Möglichkeit der „freiwilligen“ 42-Stunden-Woche. Wenn am Ende des Monats das Konto gegen null geht, wird man sich dann wirklich „freiwillig“ für eine 42-Stunden-Woche entscheiden? Wenn man merkt, dass man mit der aktuellen Arbeitszeit seine wichtigen Aufgaben nicht erledigt bekommt, wird man sich dann wirklich „freiwillig“ für die 42-Stunden-Woche entscheiden? Wir befürchten, dass das am Ende keine freiwillige Sache wird und zu einer weiteren Überlastung der Beschäftigten führen wird, während der Arbeitgeber sich zusätzliche Personalkosten durch Einstellung von mehr Personal sparen kann. Wie diese Regelung in den Betrieben umgesetzt wird, hängt aber natürlich auch von uns und unserer Stärke ab. Die mehr oder weniger freiwillige 42-Stunden-Woche passt gut in den allgemeinen politischen Kurs.
Eine Erhöhung der Arbeitszeit, eine Aussetzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall am ersten Krankheitstag und viele weitere Angriffe sind im Gespräch. Angriffe auf Rechte, die wir uns als Gewerkschaften hart erkämpft haben. Zehntausende Beschäftige der Metallindustrie streikten fast vier Monate für die Einführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Geschenkt wurden uns solche Errungenschaften nie und wenn wir uns nicht dagegen wehren, werden sie uns wieder genommen. Deswegen müssen wir genauso knallhart und noch härter als die Arbeitgeber unsere Interessen vertreten. Das bedeutet: Stärker werden, mehr Menschen für die Gewerkschaften begeistern, mehr auch junge Leute einbeziehen, die gewerkschaftlichen Strukturen in den Betrieben und Dienststellen wieder stärken, Erzwingungsstreikfähig werden!
In der Tarifrunde im öffentlichen Dienst hieß es immer wieder, das Geld für unsere Forderungen sei nicht da. Jetzt sind aber Hunderte Milliarden für Unternehmenssubventionen dar, die Superreichen sollen auch nach dieser Bundestagswahl nicht stärker besteuert werden und für Rüstung dürfen jetzt Schulden ohne Ende gemacht werden. Ich denke, dass die rekordverdächtige Aufrüstung zwar die Aktienkurse bei Rheinmetall und Co. In die Höhe schießen lässt, aber keinen Frieden schaffen wird. Ein besser aufgestellter öffentlicher Dienst hingegen wäre im Interesse der breiten Bevölkerung, wenn es mehr Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen, Sozialarbeiterinnen, Tramfahrerinnen usw. geben würde, dann wäre unser aller Leben wirklich sehr viel sicherer!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wir wissen: unsere Rechte, unsere Zukunft – all das wird uns nicht geschenkt. Und wir wissen: Wenn wir gemeinsam kämpfen, dann können wir etwas verändern. Dann wird aus „Es ist halt so“ ein kraftvolles „Es reicht!“