„Sag mir, wo du stehst …“, sang vor einem halben Menschenalter der jedem DDR-Jugendlichen bekannte „Oktoberklub“. Er kämpfte mit diesem Lied gegen schulterzuckende Gleichgültigkeit angesichts der politischen Ereignisse der damaligen Jahre. Jetzt naht wieder eine solche Zeit der Weggabelung, vor der sich niemand seitwärts in die Büsche schlagen kann.
Rund 140 Staats- oder Regierungschefs und in einigen Ausnahmefällen auch stellvertretend ihre Außenminister haben in der 80. Generalaussprache der Vereinten Nationen in New York das Wort ergriffen. Wie selten zuvor haben diese Tage die Teilung der Welt in ein Lager der Vernunft und eines der Unvernunft, in eines des Auf- und eines des Abstiegs, eines des Friedens und eines des Krieges gezeigt.
Der Wortbeitrag des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump hat das wie in einem Brennglas zusammengefasst. Der Führer der stärksten Militärmacht der in der NATO zusammengeschlossenen Kolonialmächte des letzten Jahrhunderts mokierte sich über nicht funktionierende Rolltreppen und Teleprompter im UNO-Gebäude und empfahl sich mit Hinweis auf seine Vergangenheit als Immobilienmogul als denjenigen, der alles viel besser renoviert hätte, hätte man ihn nur gelassen. Er pries sich als denjenigen, der es binnen acht Monaten geschafft habe, Amerika wieder groß zu machen. Neben Gaza- und Iran-Hasstiraden stellte er drei Themen in den Mittelpunkt seiner einstündigen Ausführungen: Er warnte alle Länder der Welt vor Migranten und forderte sie auf, ihre Grenzen dichtzumachen. Er ertränkte mit den Worten „Drill, Baby drill!“ alle Hoffnungen auf Einigkeit im Kampf gegen den Klimawandel, und er feuerte eine Kampfankündigung gegen die Volksrepublik China nach der anderen in den Plenarsaal am East River.
Das Kontrastprogramm zu dieser bizarren Rede der Rückwärtsgewandtheit, der Abschottung und der Konfrontation lieferte gleich am Folgetag per Videozuschaltung der chinesische Präsident Xi Jinping auf dem zeitgleich stattfindenden Klima-Gipfel der UNO. Dort bekräftigte er im scharfen Gegensatz zu Trump das Festhalten am Ziel der Klimaneutralität der chinesischen Volkswirtschaft und kündigte eine Beschleunigung beim Ausbau der Kapazitäten erneuerbarer Energien an. Zerknirscht musste die hiesige „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ einräumen: „Die USA drohen ins fossile Zeitalter zurückzufallen. Peking baut sein Energiesystem konsequent um. Das Land hat gute Chancen, der erste Elektrostaat der Welt zu werden. Fachleute halten es deshalb für wahrscheinlich, dass China Xis Ziele schon viel früher erreichen wird.“
Das gilt nicht nur für die Energiepolitik. Ob Ausbau der sozialen Sicherheit, ob Einsatz von High-Tech in allen Produktionsbereichen, ob Offenhalten der Märkte trotz aller Zollschikanen aus Washington, ob Beharren auf friedliche Lösungen bei internationalen Konflikten: Immer mehr Staaten dieser Welt setzen ihre Hoffnung nicht mehr auf den USA/EU/NATO-Block, sondern auf die sich um China, Russland und Indien in BRICS- und anderen Verbünden organisierenden Staaten, die einen Ausweg aus dem von Westeuropa und den USA entfesselten Imperialismus suchen, der im 20. Jahrhundert diese Welt schon zweimal ins Verderben gestürzt hat.
„Sag mir, wo du stehst und welchen Weg du gehst“, setzt sich das Lied des Oktoberklubs fort. Diejenigen, die am vergangenen Wochenende in Berlin und anderen Städten und am 3. Oktober für eine Welt des Friedens anstelle der Konfrontation demonstrieren, sind auf dem richtigen Weg. Mögen ihnen wie jetzt schon Millionen in anderen Völkern auch hier in Deutschland bald wenigstens Hunderttausende folgen!