Deutsche Post setzt auf Schnellkurse statt Ausbildung

Schnell da, schnell wieder weg

Tim Laumann

„Kommissionierhalle“ steht auf dem Schild, daneben im Durchgangsraum ein „Abgangsgestell“. Die Kommissionierung ist die Zusammenstellung von Paketen für die Versendung, in dieser Halle werden die Pakete auf die Postleitzahlen aufgeteilt. Auf dem Abgangsgestell landen Postkisten mit unzustellbaren Briefe und anderen Postsendungen, die nach dem Zustellgang nachgearbeitet werden müssen. Die Kisten sind mit Schildern versehen, auf denen geheimnisvolle Kürzel stehen: „INA“ steht für Nachsendeanträge, „P“ für „Premium Adress“ – ein Sonderservice der Post, „Leitung“ bedeutet, dass die Sendung an die Leitung des Zustellstützpunktes geht, und „PZU“ steht für Postzustellurkunde von amtlichen Dokumenten.

Die angelernten Kräfte, die diese Postsendungen aufnehmen, wissen nicht, was diese Begriffe bedeuten. Sie lernen auswendig, was in welche Kiste kommt. Einige anhand der Farben der Schilder, andere anhand von deren Stellung auf dem Abgangsgestell.

Die „angelernten“ Kolleginnen und Kollegen machen keine Ausbildung. Laufen sie am Nachmittag auf dem Weg aus dem Betrieb an den Postsendungen für den nächsten Tag vorbei, können sie häufig die für ihren Bezirk vorliegende Postmenge kaum abschätzen, die Etiketten enthalten jede Menge Informationen, deren Bedeutung ihnen aber niemand erklärt hat. In jedem ihrer Spinde steht ein „Bezirksordner“, in dem unter der Gangfolge, das heißt der Route des Zustellers durch seinen Bezirk, und besonderen Merkkarten auch die Bemessungs­tabellen zu lesen sind. Angelernte können diese häufig nicht lesen. Werden sie also auf zu „lange Zeiten“ angesprochen, kennen sie noch nicht einmal die offizielle Bemessung – also die Zeit, die sie offiziell für ihre Arbeit brauchen dürften.

Stellen wir uns einmal folgende Situation vor: Eine Vorverteilkraft hat einen freien Tag. Sie öffnet einem Zusteller, der ihr die Post bringt, die Haustür. Im Gegensatz zum Zusteller kann sie mit einem Blick auf die WhatsApp-Gruppe der Vorverteilkräfte sagen, wie viele Kräfte angefordert wurden und wo diese wie lange für die Vorverteilung brauchen werden – sie kann die Postmenge allein anhand der Zeit abschätzen. Sieht sie um 8.30 Uhr erneut in die Gruppe, kann sie auch die Paketmenge pro (Post-)Leitzahl angeben.

Diese Kollegin ist real. Sie erzählt, dass, als beim letzten Mal gestreikt wurde, sie genau sagen konnte, an welchen Tagen welche Leitzahl hätte getroffen werden müssen, um den meisten Druck aufzubauen. Mit der genauen Kenntnis, dem hohen Berufsethos, der langen Organisationserfahrung ist bei ihr ein starkes Arbeiterbewusstsein entstanden, das sie gegenüber dem ständigen Palaver von der zurückgehenden Postmenge unempfindlich macht. Sie weiß detailliert um die Zunahme der Paketmengen und der sogenannten „Dialogpost“, also der Werbung, und kann die Situation gut einschätzen.

Der Unterschied ist deutlich: Auf der einen Seite die Kolleginnen und Kollegen, entfremdet selbst dem rein mechanischen Abgangsregal gegenüber, die ob ihrer Unkenntnis auch unsicher und leicht kommandierbar sind. Auf der anderen Seite as Selbstbewusstsein derer, die Kenntnisse über den Arbeitsprozess haben und einschätzen können, was geschafft werden kann und was nicht.

Angelernte Kräfte, ständig befristet beschäftigt, von wesentlichen Informationen abgeschnitten, fehlt das hohe Berufsethos der Beamten oder Bundespostler. Sie hetzen durch die Bezirke, weil sie es nicht anders kennen. Ihre Rechte – im Berufsschulunterricht zwar verkürzt und verfälscht, aber immerhin überhaupt erarbeitet – kennen sie kaum. Auch von der Existenz einer Gewerkschaft wissen sie wenig und die gewerkschaftlichen Vertrauensleute vor Ort haben manchmal noch nicht einmal einen Überblick, wer gerade dort arbeitet. Die Befristeten sind oft schnell da und genauso schnell wieder weg – versetzt, entlassen, nicht verlängert, wer weiß?

Vertraglich haben Azubis Ansprüche – unter anderem auf die Übernahme – und dabei haben Betriebsrat (BR) und die Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) mitzuentscheiden. Verträge für „Schnuppertage“ liegen im Dokumentenschrank im Zustellstützpunkt, sie können vor Ort abgeschlossen werden. Die schnell eingestellten und schnell wieder verschwundenen Kolleginnen und Kollegen sind für den Betriebsrat schwer zu erreichen. Für die Post ist dies eine paradiesische Situation. Für die Zustellerinnen und Zusteller, vor allem für diejenigen mit Berufsethos, die ihre Zustellbezirke wie ihre Westentasche kennen, ist es ein Albtraum. Die Austauschbarkeit der Zusteller macht deutlich, wie prekär auch die eigene Situation ist. JAV- sowie BR-Mitglieder und auch die Betriebsgruppen der ver.di wissen genau, dass mit der Abwicklung der Ausbildung eine weitere Abwertung ihres Berufes erfolgt.

In Bayern wurden Memes für Social-Media angefertigt, die nun in den Zustellstützpunkten als Plakate ankommen. Aktionen können helfen, die gefühlte Angst vor der Abwertung in einen Abwehrkampf überzuleiten. Wir müssen klar benennen, wem eine umfassende Ausbildung nützt und wer dagegen nur das Nötigste in Schnellkursen vermitteln will. Die Deutsche Post hat jedenfalls gezeigt, dass sie nur verständnislose Malocher will.

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"Schnell da, schnell wieder weg", UZ vom 9. Juli 2021



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