Krankenhausreform setzt auf maximale Effizienz und ist schlicht unmenschlich.

Staunend im Dreischichtsystem

Kolumne

Ich bin gerne Pflegekraft. Zwar finde ich es herausfordernd, eine Tätigkeit im Dreischichtsystem mit dem verbleibenden Rest meines Lebens in Einklang zu bringen, aber die meisten Dinge an diesem Beruf liebe ich: Die fachliche Abwechslung, den kollegialen Zusammenhalt und, ja, auch ganz konkret Menschen helfen zu können. Vor Kurzem bin ich von der stationären Altenpflege in eine der größten kommunalen Kliniken Deutschlands gewechselt. Seitdem staune ich beinahe jede Schicht aufs Neue.

Ich lerne, dass es Tricks bei der Dienstplanerstellung gibt, um Kolleginnen und Kollegen um ihre im TVÖD geregelten Sonderurlaubstage bei Wechselschicht zu bringen. Ich lerne, dass auch Menschen in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt bisweilen Hunger leiden müssen, weil aufgrund von Feiertag, Wochenende und Überlastung geplante operative Eingriffe drei Tage hintereinander angesetzt und wieder verschoben werden. In dieser Zeit dürfen die Patienten nur Flüssigkeit zu sich nehmen. Als Pflegekräfte finden wir sie dann weinend im Bett vor. Einer der Hintergründe ist, dass aufgrund der Krankenhausreform die OP-Kapazitäten voll ausgereizt werden sollen und bis ins Kleinste getaktet werden, denn die Fallzahlen von heute sind das Budget von morgen. Ausfälle oder Reibungsverluste sind in dieser Welt der maximalen Effizienz und Effektivität nicht vorgesehen. Treten sie dennoch auf, bleiben kranke Menschen eben hungrig.

Ich lerne auch, dass die Zahl der Belastungsanzeigen an dieser Klinik aktuell rückläufig ist. Das Meldesystem für solche Situationen wurde verändert: Die Weiterleitung der entsprechenden Anzeigen geht nun über die direkten Vorgesetzten. Ein Schelm, wer einen Zusammenhang vermutet. Gleichzeitig ist die Zahl der Kolleginnen und Kollegen, die individuell ihre Arbeitszeit reduzieren, in dieser Klinik konstant bis leicht steigend. Die Personalabteilung kann darin keinen Zusammenhang mit einer gestiegenen Arbeitsbelastung oder Überlastung erkennen. Vermutlich seien die Betroffenen nur an einer guten „work-life-balance“ interessiert.

1209 Kolumne Tatjana - Staunend im Dreischichtsystem - Arbeitsbedingungen, Gesundheitssystem, Krankenhausreform, Krankenhausschließungen, Militarisierung, Pflegekräfte - Positionen
Tatjana Sambale

Dank der Krankenhausreform musste das kleine, ehemals kommunale Krankenhaus, in dem ich geboren wurde und das schon seit Längerem keine Geburtsstation mehr hat, diese Woche Insolvenz anmelden. Damit ergeht es ihm wie bundesweit 46 anderen Kliniken seit Anfang 2022. 43 von ihnen sind inzwischen geschlossen. An dieser Stelle wird gerne die Geschichte von der Verbesserung der Versorgungsqualität erzählt, denn wer möchte nicht gerne in den „Kompetenzkliniken“ der Ballungsräume statt im „Wald-und-Wiesen-Krankenhaus“ behandelt werden? Doch was nützt die beste fachärztliche und fachpflegerische Kompetenz, wenn sie aufgrund von Personalmangel und Überlastung nicht zur Verfügung steht?

Schon jetzt liegt die Wartezeit in der Notaufnahme der großen Häuser selten unter fünf Stunden und bisweilen bei weit über acht. Nicht selten weichen Rettungswagen bei abgemeldeten Notaufnahmen der Großkliniken auf die umliegenden kleineren Häuser aus. Je weniger Kliniken es in der Fläche gibt, desto schwerer ist dies zukünftig möglich. Das Paradoxe ist: Dank Militarisierung und Zeitenwende wird der als alternativlos verkaufte Sparkurs der Daseinsvorsorge und auch der Gesundheitsbereiche weiter gehen und sich verschärfen. Da aber auch das Militär an gut funktionierenden Kliniken interessiert ist, wird vorgebaut. Das vorbereitete „Gesundheitssicherstellungsgesetz“ zielt explizit auf die militärische Kontrolle von Gesundheitsressourcen im „Kriegs-und Krisenfall“ ab. Was gibt es Erfrischenderes, als nach dem Nachtdienst nach Hause zu fahren und im Radio vermeintlichen Experten dabei zuzuhören, wie sie munter für den Kriegsfall planen? Sie werden ja im herbeigeredeten „Ernstfall“ weder töten und sterben noch unter militärischer Leitung Patientinnen versorgen müssen.

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"Staunend im Dreischichtsystem", UZ vom 25. Juli 2025



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