Die Bundesregierung bereitet Einschnitte vor, die alle bisherigen Sozialreformen weit in den Schatten stellen könnten. „Es wird ein Herbst, der sich gewaschen hat“, droht CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Markus Söder spricht vom „Update des Sozialstaates“, Friedrich Merz sogar vom „Epochenbruch“. Die Bundesregierung hat offenbar sämtliche Denkblockaden abgelegt. Kürzungen beim Bürgergeld, Abschaffung des Achtstundentages, Streichung von Feiertagen, Aufweichung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Rente mit 70 – der gesamte Katalog sozialer Grausamkeiten liegt auf dem Tisch. Es geht an die Grundfesten gewerkschaftlicher Errungenschaften.
Auf ihrer Sommerklausur in Würzburg zeigten Union und SPD Geschlossenheit und kündigten einmütig den „Herbst der Reformen“ an. Nicht nur Merz treibt die Sozialabbaudebatte mit Äußerungen voran, die Menschen hätten über ihre Verhältnisse gelebt. Auch Vizekanzler und SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil sagt: „Wir müssen den Menschen etwas abverlangen.“ Dass Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas entgegen ihrer „Bullshit“-Schimpftirade gegen Merz eine Nullrunde beim Bürgergeld ankündigt, passt ins Bild.
Diese Politik der Zerschlagung des Sozialstaates macht die AfD stark. Gleichzeitig wächst berechtigterweise die Sorge vor einer schwarz-blauen Koalition. Aber die Argumentation von der SPD als kleinerem Übel trägt nicht. Statt die Große Koalition zu schonen, muss die politische Linke ihre gesamte Mobilisierungskraft in die Waagschale werfen, um die Angriffe auf unsere sozialen und demokratischen Rechte zurückzudrängen. Insbesondere die Gewerkschaften müssten zum Motor für den Aufbau gesellschaftlicher Bündnisse mit Kirchen, Sozialverbänden und lokalen Initiativen werden. Ein Blick nach Belgien zeigt, wie das geht. Seit dem Frühjahr organisieren die drei großen Gewerkschaftsbünde ihre Proteste gegen die Kürzungspläne der rechten Arizona-Regierung. Auch in Frankreich gehen Hunderttausende gegen die Macron-Regierung auf die Straße.
Der Aufstieg der AfD lässt sich nicht im Wartestand verhindern. Im Gegenteil: Passivität ermöglicht es Merz und Spahn, die reaktionäre Kooperation hinter den Kulissen vorzubereiten. Läuft der „Herbst der Reformen“ ohne nennenswerten Protest durch, ist der Aufstieg der AfD zur stärksten politischen Kraft möglicherweise nicht mehr aufzuhalten.