Die Schulstreiks in den 1930er Jahren in Berlin

Streikposten am Schultor

Beate Hufschmidt

Zum Streik im April 1930 kam es, als die Regierung mehrere Millionen Reichsmark im Schulbereich einsparen wollte. Dies hätte eine Erhöhung der Kinderzahl in den einzelnen Klassen, Entlassungen von Lehrkräften sowie die Streichung von Beihilfen und Zuschüssen für Fahrten, Wanderungen und Arbeitsgemeinschaften zur Folge gehabt.

Die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln war von den Streichungen besonders betroffen, da das Schulkonzept zu einem Großteil auf Arbeitsgemeinschaften basierte und auf staatliche Unterstützung angewiesen war.

Zusätzlichen Ärger lieferten die Äußerungen bürgerlicher Politiker, die die vermeintlich hohen sozialen Ausgaben für die Krise verantwortlich machten. Die Auseinandersetzungen fanden außer in Berlin-Neukölln auch im Ruhrgebiet, in Hamburg und einigen mitteldeutschen Städten statt. In Neukölln kam es zu massiven Konfrontationen zwischen den beiden großen Arbeiterparteien, da die KPD in den Reformschulen (siehe Artikel unten) ihre Taktik des proletarischen Schulkampfes umsetzte und sich gegen den Reformismus der SPD stellte, während diese ihre Schulreform verteidigte.

An dem ersten Neuköllner Schulstreik, der vom 1. bis zum 7. April 1930 dauerte, waren die Eltern sowie die Schülerinnen und Schüler der Reformschulen in der Rütlistraße und der Lessingstraße (heute Morusstraße) beteiligt. Wegen ihrer Unerfahrenheit im Schulstreik wurde die Urabstimmung der Eltern der anderen Neuköllner Schulen nicht abgewartet und sofort der Streik ausgerufen. Die Streikenden hofften, dadurch weitere Schulen zur Nachahmung aufzufordern, was jedoch scheiterte und die Beteiligung rasch abbröckeln ließ. Andere Bezirke beteiligten sich auch nicht. Die Ursache dafür lag in der scharfen Verurteilung des Streiks durch die bürgerliche Presse, dem Einsatz der Polizei und den heftigen Einschüchterungsmaßnahmen der Berliner Regierung. Diese drohte den Eltern mit Gefängnis- und Geldstrafen, da Schulstreiks gesetzlich verboten waren.

Hinzu kamen ein zu aggressives Vorgehen der Streikenden gegen Streikbrechende. Obwohl die Kündigung nur bei wenigen Lehrkräften zurückgenommen wurde, erreichte der Streik eine große Öffentlichkeit und die Eltern, Schülerinnen und Schüler gewannen wichtige Erfahrungen im Schulkampf.

Ein zweiter Streik wurde im ­Oktober 1931 durch erneute Sparmaßnahmen im Schulbereich ausgelöst. Die Klassenfrequenz sollte noch weiter erhöht werden, wieder Lehrkräfte gekündigt, die Wochenstundenzahl der höheren Volksschulklassen reduziert und die Zuschüsse nochmals gekürzt werden. Die Reformschulen waren besonders stark betroffen, da die meist arbeitslosen Eltern aus eigener Tasche keine finanzielle Unterstützung zu den Arbeitsgemeinschaften mehr leisten konnten. Dass die Regierung die Kürzungen in den Herbstferien beschloss und einleitete, sorgte für zusätzlichen Ärger. Zahlreiche Eltern hofften zudem, die Schule würde in der schweren Situation Hilfe leisten, indem die Kinder unter anderem kostenlos essen und duschen könnten. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage beteiligten sich neben vielen sozialdemokratischen auch parteilose und sogenannte „christlich-unpolitische“ Elternvertretungen. Die Streiks fanden in Essen, Köln, Solingen, Hamburg, Lübeck und Berlin statt. In Berlin beteiligten sich dieses Mal dreißig wohl ausschließlich weltliche Volksschulen.

Mitte Oktober, auf dem Höhepunkt des Streiks, demonstrierten circa 2.000 Schülerinnen und Schüler aus zehn Neuköllner Volksschulen. Auch an der Rütli-Schule beteiligten sich mehr Eltern und Kinder als ein Jahr zuvor und erhielten außerdem die Zustimmung von Lehrkräften. In einer sehr gut besuchten Eltemversammlung der 31. Schule beschlossen die Eltern im Beisein des Rektors Wilhelm Wittbrodt und anderer Lehrer am 14. Oktober 1931 den Streik mit nur sechs Gegenstimmen. Wieder standen vor den Schultoren Streikposten, die streikbrechende Kinder abfingen. Vor der Schule fanden Diskussionen zwischen Eltern, Kindern und Passanten statt, es wurden Flugblätter zur Streikunterstützung verteilt und trotz Verbots eine Demonstration durchgeführt. Insgesamt war eine größere Zusammenarbeit zwischen Vertreterinnen beziehungsweise Vertretern der verfeindeten Arbeiterparteien möglich. An drei Tage beteiligten sich etwa 270 der 450 Mädchen und Jungen der 31. Rütli-Schule am Streik. Die Schulverwaltung schickte am vierten Tag Verwarnungen an die Eltern, aber die Streikbeteiligung ging nur leicht zurück. Dieses Durchhalten brachte den Erfolg: während noch im April 1930 der Streik unter anderem an den staatlichen Repressionen scheiterte, nahm die Bürokratie aus Angst vor einer weiteren Radikalisierung der Eltern die Strafandrohungen und einzelne der bereits eingeleiteten Kürzungen zurück. Zum Beispiel wurden 60 der 500 bereits gekündigten Junglehrer wieder eingestellt, so auch Frau Marggraf von der 31. Schule. Obwohl sich die Situation an den Schulen in den letzten Jahren der Weimarer Republik noch verschärfte, kam es zu keinen größeren Schulkämpfen mehr.

Schulstreiks
Die Schulstreiks bildeten die härtesten Auseinandersetzungen innerhalb der Schulkämpfe. Sie waren das letzte Mittel, um von der Basis her politische Entscheidungen zu erzwingen. Gleichzeitig sollten die Schülerinnen und Schüler den Streik als Kampfmittel kennen lernen und erste Erfahrungen sammeln, die sie in politischen und sozialen Auseinandersetzungen in ihrem späteren Berufsleben benötigen würden. Zum politischen Konzept gehörte es auch, die Kinder und Jugendlichen bereits in frühen Jahren in die Klassenkämpfe mit einzubeziehen. Die Schulstreiks an der Rütli-Schule wurden vorrangig von kommunistischen Eltern, aber auch von älteren bereits politisierten Schülerinnen und Schülern getragen. Sie richteten sich gegen die massiven Kürzungen im Bildungsbereich, die die bürgerlich-rechten Reichsregierungen beschlossen hatten.

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"Streikposten am Schultor", UZ vom 5. Dezember 2025



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