Was hinter den sinkenden Mitgliederzahlen der EVG steht

Trotz hoher Akzeptanz und wachsender Beteiligung

„Die Gewerkschaften in Deutschland verlieren Mitglieder.“ Diese Aussage ist richtig und auch falsch, denn es bedarf immer einer genaueren Betrachtung. Im Anschluss an die Betrachtung der Mitgliederentwicklung beim Deutschen Gewerkschaftsbund, DGB (UZ vom 5. März), nehmen wir nun die Einzelgewerkschaften in den Blick – in diesem Fall die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG).

Der Schienenverkehrssektor ist seit dem Beginn der 1990er Jahre starken Umbrüchen ausgesetzt, nicht zuletzt durch die sogenannte Bahnreform von 1994. Mit der Gründung der Deutschen Bahn AG durch den Zusammenschluss der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn wurde die Privatisierung der deutschen Bahnen vollzogen, auch wenn die Aktien derzeit in der Hand des Bundes sind. Das größte öffentliche Sondervermögen des deutschen Staates wurde auf den Verkauf vorbereitet, gleichzeitig begann die Öffnung des Schienenverkehrs für private Wirtschaftsunternehmen. Das hatte dramatische Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation. Beide deutsche Staatsbahnen hatten vor der Bahnreform zusammen mehr als 500.000 Beschäftigte, davon mehr als 120.000 Beamte. Heute – fast drei Jahrzehnte später – gibt es nur noch etwa 216.000 Beschäftigte der DB AG in Deutschland und davon nur etwa 20.000 Beamte. Zwar sind auch einige zehntausend neue Arbeitsplätze entstanden, aber deutlich weniger als vorher. Die „Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands“ (GdED) – später Transnet –, aus der die EVG hervorgegangen ist, hatte 1994 423.000 Mitglieder. Die zweite Vorgängerorganisation der EVG, die „Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamten und Anwärter“ (GDBA), hatte etwa 40.000 Mitglieder. Die EVG organisiert allein bei der Deutschen Bahn AG heute mehr als 50 Prozent der Beschäftigten in ihren Reihen, bei den so genannten Privatbahnen im Durchschnitt knapp 30 Prozent.

Der Niedergang ist aber nicht nur darauf zurückzuführen, dass die Bahn in der Ära Mehdorn auf den Börsengang getrimmt wurde. Zwar verkaufte die Deutsche Bahn AG in den ersten 15 Jahren der Bahnreform viele ihrer Betriebe, gleichzeitig legte die technische Entwicklung aber rasant zu und ermöglichte den Abbau von Arbeitsplätzen. Entlassungen gab es nicht, das wurde durch das Agieren der Gewerkschaften verhindert. Nach dem Scheitern des Börsenganges und dem Abgang Hartmut Mehdorns (2009) wuchsen die Beschäftigtenzahlen wieder.

Die Veränderung der Struktur der Beschäftigung konnte nicht ohne Auswirkungen auf die Gewerkschaften bleiben. So schloss sich die aus dem Beamtenbund stammende Gewerkschaft GdBA mit der Gewerkschaft Transnet zusammen. Die verbliebene Organisation im Deutschen Beamtenbund – die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) – wurde durch diesen Umbruch überhaupt erst streikfähig, da seit 1994 keine Verbeamtungen mehr stattfinden. Die EVG verzeichnet seit Jahren steigende Mitgliedszahlen – allerdings nur bei den im Berufsleben stehenden Mitgliedern. Durch das hohe Durchschnittsalter der Beschäftigten in der DB AG ist der Abgang durch Verrentung sehr hoch. Die Zahl der Todesfälle unter Mitglieder entspricht beinahe der Hälfte der Neuwerbungen. Das wird in den kommenden Jahren so bleiben.

Sorgen um die Akzeptanz in der Belegschaft muss sich die EVG nicht machen. Ein Stimmungsbild bieten die Ergebnisse der letzten Betriebsrats- und Aufsichtsratswahlen: Die EVG erringt immer über 80 Prozent der Mandate. Den „Rest“ teilen sich freie Listen (etwa 9 bis 11 Prozent) und die GDL (etwa 8 bis 9 Prozent). Auch verfolgt die EVG eine in der Mitgliedschaft akzeptierte Tarifpolitik, die in den etwas über zehn Jahren ihrer Existenz nachweislich zu Reallohnsteigerungen und verbesserten Arbeitsbedingungen für alle Berufsgruppen geführt hat. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Tarifforderungen der EVG inzwischen in einem breiten Diskussionsprozess erarbeitet werden, der jedem Mitglied offensteht – mit wachsender Beteiligung bis zum Beginn der Corona-Pandemie.

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"Trotz hoher Akzeptanz und wachsender Beteiligung", UZ vom 19. März 2021



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