Kriegsministerin soll Präsidentin der EU-Kommission werden. Die EU hat das verdient

Uschi an die Front

Von Arnold Schölzel

Am Freitag vergangener Woche waren die „Grünen“ noch empört über den „Hinterzimmer­deal“ der EU-Staats- und Regierungschefs, die angeblich aus heiterem Himmel am 2. Juli die deutsche Kriegsministerin Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin vorgeschlagen hatten. Die Ökobellizisten, die der CDU-Frau bei Hetze gegen Russland und bei der Forderung nach mehr deutschem Militär an dessen Grenze stets voraus waren, forderten ihren sofortigen Rücktritt als Ministerin. Am Montag zogen Frieden und Freude ein. Frau von der Leyen erschien auf Werbetour bei den Grünen im EU-Parlament, anschließend sprach deren Fraktionsvorsitzende, die deutsche Abgeordnete Ska Keller, von einem „sehr netten Austausch“. Es brauche nur Zusagen bei Klimaschutz und Seenotrettung, dann, so das Signal, könnten bei der für den 16. Juli anberaumten Kür durch die 751 Mandatsträger auch einige grüne Stimmen drin sein.

Noch schneller als die „Grünen“ hatten sich die Sozialdemokraten beruhigt. Die 16 EU-Abgeordneten der SPD behaupten zwar weiterhin, sie wollten ihre Koalitionsministerin nicht, aber ihre Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament, die Spanierin Iratxe García, bedeutete ihnen in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS): „Wir werden die Person aber nicht beurteilen, bevor wir ihr zugehört haben.“ Das Zuhören sollte am vergangenen Mittwoch stattfinden. Laut FAS wird in internen Berechnungen längst mit den Sozialdemokraten kalkuliert: „Sicher sind von der Leyen die 182 EVP-Abgeordneten, außerdem könnten 60 bis 70 Liberale und 120 bis 130 Sozialdemokraten für sie stimmen. Damit käme sie auf 362 bis 382 Stimmen – die erforderliche Mehrheit liegt bei 376.“ Einige Grüne noch dazu und wahrscheinlich auch 28 Stimmen der polnischen PiS – die Chancen stehen nicht schlecht.

Die Arithmetik ist allerdings wie stets der unwichtigere Teil. Wichtiger sind von der Leyens „Verdienste“ um die grundlegende Ausrichtung der EU auf Krieg und Militarisierung. Ihre dabei gezeigten „Leistungen“ ermöglichten eine Einheitsfront, die von Viktor Orbán und Jaroslaw Kaczynski bis Matteo Salvini und Emmanuel Macron reichte. Was besagt: Offene Nationalisten und Rassisten zeigen bei solchen Entscheidungen, dass sie Teil jener imperialistischen Bourgeoisien sind, die der EU ihren Stempel aufdrücken. Die Missachtung des Parlaments durch den Europäischen Rat war kein Abweichen vom Prinzip, sondern dessen Durchsetzung. Äußerungen wie die des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, er komme sich vor wie in einer US-Fernsehserie, in der plötzlich „wie das Kaninchen aus dem Zylinder“ Ursula von der Leyen gezogen werde, gehören selbst zur Show. Der in EU-Angelegenheiten stets gut informierte FAS-Redakteur Thomas Gutschker belehrte Lindner, im Illusionstheater sei, was das Publikum wahrnehme, nicht das, was wirklich geschehe.

Der FAS-Mann demonstrierte das, indem er einfach zusammentrug, wann und wo Macron, der sich nach eigenem Bekunden „mit aller Kraft“ für die Deutsche eingesetzt hatte, und von der Leyen miteinander zu tun gehabt hatten. Das ergab unter anderem: Kurz nach der Wahl des französischen Präsidenten 2017 setzte sich von der Leyen 2017 „glühend“ für gemeinsame deutsch-französische Rüstungsvorhaben ein und schickte sogar ihren Luftwaffeninspekteur in den vorzeitigen Ruhestand, weil der US-Kampfflugzeuge haben wollte. Sie habe den Einsatz der Bundeswehr in Mali von 150 auf 1 100 Soldaten ausgeweitet und engagierte sich für „eine viel engere Zusammenarbeit der europäischen Streitkräfte“, für die auch Macron eintritt. Gutsch­ker ließ weg: Von der Leyen sorgte mit dafür, dass die militärische Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) von 25 EU-Staaten Ende 2017 innerhalb weniger Monate organisiert wurde. Sie stellte das gigantische Infrastrukturprogramm der EU für ein „militärisches Schengen“ der NATO mit auf die Beine und schickte deutsche Kampfflugzeuge in die baltischen Staaten sowie ein deutsches Truppenkontingent nach Litauen. Sie setzte 2016 eine NATO-Mission in der Ägäis zur Flüchtlingsabwehr durch, stellte die deutsch-niederländische Kampftruppe auf und sorgte dafür, dass neue NATO-Hauptquartiere für den Aufmarsch gegen Russland in der Bundesrepublik stationiert wurden. Und so weiter.

Es war nur folgerichtig, dass, so „Le Monde“, Macron bereits im Juni 2018 gegenüber Merkel die Kandidatin von der Leyen nannte. Alles andere war eine Frage der Zeit und der Stalin-Devise „Die Kader entscheiden alles“. Deswegen muss Ursula von der Leyen EU-Kommissionspräsidentin werden. Die EU hat sie verdient.

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"Uschi an die Front", UZ vom 12. Juli 2019



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