Reallohnverlust im Öffentlichen Dienst: Beschäftigte bezahlen für Krieg und Konzerne

Volle Kassen – leere Taschen

Es sei der „teuerste Tarifabschluss aller Zeiten“, meint Karin Welge, Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), zum Verhandlungsergebnis im Tarifstreit des Öffentlichen Dienstes. Laut Innenministerin Nancy Faeser sei man so weit gegangen, „wie wir es in schwieriger Haushaltslage noch verantworten konnten“.

Schwierige Haushaltslage? Quasi über Nacht sind im vergangenen Jahr 100 Milliarden Schulden für die Anschaffung von Kriegsgerät bewilligt worden – ein Drittel davon für US-Kampfflugzeuge, die Atomwaffen abwerfen können. Der Etat der Bundeswehr wurde in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Allein in diesem Jahr beträgt er 50 Milliarden Euro. Die Kosten für die Tarifsteigerung liegen bei 22 Milliarden Euro – für zwei Jahre.

Es stimmt: Die Kassen vieler Kommunen sind leer, weil der Bund seit Jahren Aufgaben nach unten delegiert, ohne für eine entsprechende Finanzierung zu sorgen. Die Kriegskasse aber bleibt voll, während die Städte Schwimmbäder schließen oder öffentliches Eigentum verschachern.

Hinzu kommt die Explosion der Energiepreise. Auch sie ist eine Folge politischer Entscheidungen. Schon lange vor der Eskalation des Krieges in der Ukraine wurden langfristige Gaslieferangebote von Russland ausgeschlagen. Bundesregierung und EU-Kommission spekulierten lieber an der Börse. Solange es dort ein Überangebot gab, funktionierte das Glücksspiel. Nord Stream 2 hätte weiter für ein Überangebot und damit niedrige Preise gesorgt. Die völkerrechtswidrigen Sanktionen gegen Russland haben hingegen einen absehbaren Mangel erzeugt. Heute zahlen Verbraucher und Kommunen horrende Preise für umweltschädlich gefördertes US-Frackinggas.

Während Welge und Faeser über leere Kassen jammern, für die sie selbst verantwortlich sind, herrscht gähnende Leere in den Geldbeuteln von immer mehr Menschen. Neben den Preisen für Energie sind die Lebensmittelpreise von den Konzernen um 20 Prozent gesteigert worden. Vor allem kleine und mittlere Einkommen sind davon betroffen.
Da der Zusammenhang leicht zu durchschauen ist, werfen Politik und Medien mit Nebelkerzen: Kassen leer für Löhne, Gehälter und kommunale Leistungen wie Schwimmbäder, Kindergärten oder Bürgerämter. Wo nichts ist, kann auch nichts verteilt werden, so die Erzählung. Garniert wird die Story mit der Verteidigung unserer Freiheit – mal am Hindukusch, aktuell in der Ukraine.

Die ver.di-Führung hat zu diesen Räuberpistolen weitgehend geschwiegen. Das nun zur Abstimmung stehende Ergebnis der Tarifverhandlungen sieht wieder einmal eine lange Laufzeit sowie Einmalzahlungen statt Lohnerhöhungen vor. Letztere sollen erst im März 2024 kommen. Es beinhaltet all das, was ver.di zuvor gut begründet abgelehnt hat. Aber wer den Zusammenhang von leeren Geldbeuteln, klammen Kommunen und vollen Kriegskassen nicht öffentlich machen will, der akzeptiert letztendlich ein Verhandlungsergebnis, das weit von den eigenen Forderungen entfernt ist.

Während der Warnstreiks hat die Gewerkschaft darauf hingewiesen, dass genug Geld da ist, man müsse es sich nur holen. Dafür gab es viel Applaus auf den Kundgebungen. Die ver.di-Mitglieder, davon 70.000 während der Streikaktionen neu beigetreten, sind aufgefordert, vom 4. bis 12. Mai in einer digitalen Mitgliederbefragung ihr Votum zum Verhandlungsergebnis abzugeben: Nehmen sie die kurzfristige Entlastung oder kämpfen sie? Kämpfen sie für das, was sie brauchen – in der Gewerkschaft und um eine Gewerkschaft, die die Interessen der einzelnen mit denen der Mehrheit verbindet? Gegen die Erzählungen der Herrschenden – für den Bruch mit der Profit- und Kriegslogik.

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Über den Autor

Björn Blach, geboren 1976, ist als freier Mitarbeiter seit 2019 für die Rubrik Theorie und Geschichte zuständig. Er gehörte 1997 zu den Absolventen der ersten, zwei-wöchigen Grundlagenschulung der DKP nach der Konterrevolution. In der Bundesgeschäftsführung der SDAJ leitete er die Bildungsarbeit. 2015 wurde er zum Bezirksvorsitzenden der DKP in Baden-Württemberg gewählt.

Hauptberuflich arbeitet er als Sozialpädagoge in der stationären Jugendhilfe.

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"Volle Kassen – leere Taschen", UZ vom 28. April 2023



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