Die versteinerten Gesichter während der Rede von US-Vizepräsident James David Vance auf der „Münchner Sicherheitskonferenz“ sagten alles. Die europäischen Zentralen wurden durch die abrupte Wende in der US-Ukraine- und US-Europapolitik kalt erwischt. Die Entsendung des Sondergesandten, General Keith Kellogg, und einige Äußerungen Donald Trumps hatten zunächst Kontinuität signalisiert. Doch dann hatte Trump Kellogg vom Spielfeld genommen und Kontakt zu Präsident Putin aufgenommen. Es war der erste Moskau-Kontakt eines US-Präsidenten seit ... Bitte hier anmelden
drei Jahren.
US-Verteidigungsminister Pete Hegseth hatte in seiner ersten Rede vor der NATO-Kontaktgruppe wesentliche Narrative der Ukraine-Falken abgeräumt. Eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine wird ebenso ausgeschlossen wie eine Rückkehr zu den Grenzen vor 2014. Falls es so etwas wie einen „friedenssichernden“ Militäreinsatz entlang der Kontaktlinie, wo auch immer die dann verlaufen mag, geben sollte, sei das Sache der Europäer. Einen Einsatz der NATO bei diesen „Friedenstruppen“ hatte Hegseth ebenso ausgeschlossen wie den „Bündnisfall“, also die Anwendung des Artikels 5 des NATO-Vertrages, beim Angriff auf diese Truppen.
Die Botschaft von Hegseth, Vance und Trump ist mehr als deutlich. Es war so eine Art Victoria Nuland 2.0: „Fuck the EU“. Wenn die europäischen Russland-Falken wie Boris Pistorius, Emmanuel Macron, Keir Starmer und Ursula von der Leyen gern Krieg gegen Russland führen wollen, bitte – aber ohne uns. Im Klartext: Stockt euren Rüstungsetat auf die erforderliche Höhe auf, in den USA sind es real 5,3 Prozent/BIP, und ihr könnt die erforderlichen Waffen gern bei uns kaufen.
Dem „Westen“ ging es noch nie um die Ukraine. Schon die Nazis haben den ukrainischen Nationalismus für ihre Zwecke genutzt. Die Ukraine wurde 1918 von den Siegermächten überhaupt nur gegründet als Bollwerk gegen den Bolschewismus. Das Projekt der NATO-Osterweiterung ab 1991 verfolgte ebenso den Zweck der Eindämmung Russlands. Als krönenden Abschluss dieses Projekts inszenierte die US-Regime-Change-Maschine 2014 den Putsch in Kiew und rüstete die Ukraine militärisch zur stärksten Macht in Europa auf.
Das Ziel war, wie es Annalena Baerbock, US-Kriegsminister Lloyd Austin und die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas freimütig formuliert hatten, die Ruinierung Russlands, das Ende der Putin-Herrschaft und die Aufspaltung Russlands entlang seiner religiösen und ethnischen Grenzen. Dieses Projekt ist gescheitert. Russland hat diesen historischen Konflikt gewonnen. Es kann und wird sich die Bedingungen eines Friedensschlusses nicht diktieren lassen, da gibt es wenig Raum für Zugeständnisse. Die Trump-Regierung hat heute – objektiv betrachtet – nur noch die Aufgabe, den US-Bürgern diese demütigende Niederlage zu „verkaufen“ und die erforderlichen Konsequenzen für das „westliche Bündnis“ zu verkünden.
Die Vorstellung, dass nicht „Putin“, sondern sie selbst aus dem Spiel sind, dass sie nun weder über einen Krieg noch einen Feind verfügen, hat für Schnappatmung in den EU-Zentralen gesorgt. Mit Personen wie Olaf Scholz und Friedrich Merz, Macron, Starmer und von der Leyen an der Spitze verfügen die Europäer über keine realistische und perspektivische Strategie für diese Lage. Um weiterhin Großmacht spielen zu können, ist das europäische Militär zu schwach, zu zersplittert, es fehlt ebenso an einer zentralisierten Kommandostruktur wie an einer integrierten Rüstungsindustrie. Es reichte gerade für die Trittbrettfahrerei bei der US-Kriegsmaschine.
Seit Gründung der NATO, 1949, hatte der Satz des ersten Generalsekretärs, Hastings Lionel Ismay, gegolten: Die NATO sei da, um die Russen draußen, die Amerikaner drin und die Deutschen unten zu halten. Der „Russe vor der Tür“ hatte über so manche Krise hinweggeholfen. Nun stehen nicht nur die Narrative, das Feindbild, sondern die ganze US/EU-„Sicherheitsarchitektur“, inklusive der NATO selbst, mehr als in Frage. Vielleicht sollte man sich einmal an Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe erinnern: in Wirklichkeit sind wir „von Freunden umzingelt“.
Im strategischen Kalkül des US-Imperiums hat sich die „Westliche Wertegemeinschaft“ immer mehr von einem Aktivposten zu einer Belastung entwickelt. Die teuren Europäer sind außerstande, Relevantes zur Machtprojektion des US-Imperiums beizutragen. Weit davon entfernt, selbst eine relevante Macht in einem realen militärischen Konflikt zu sein, beanspruchen selbst militant antirussische Mini-Staaten wie Estland mit einem Bruttoinlandsprodukt von nicht einmal einem Drittel von Hamburg den vollen, zur Not auch atomaren Schutz der USA. Für die Trump-Regierung stellt sich daher die Frage nach Sinnhaftigkeit und Konsequenz der komplett gescheiterten Anti-Russland-Strategie. Bislang erscheint die Rückkehr zum „klassischen Imperialismus“ des beginnenden 20. Jahrhunderts als bevorzugte Variante. Die Erweiterung der eigenen Machtbasis in Richtung Norden (Grönland, Kanada) und Süden (Mexiko, Karibik, Panama), die Konzentration auf den entscheidenden Gegner (China) und die Stärkung der eigenen Wirtschaft durch einen aggressiven Merkantilismus, auch in Richtung EU. Und schließlich die Schwächung des Kerns der BRICS, des russisch-chinesischen Bündnisses, durch ein gutes Verhältnis zu Russland. Der Realismus dieser Konzepte steht auf einem anderen Blatt.
Noch sind längst nicht alle Messen gesungen. Wenn das „Projekt Ukraine“ für Trump gestorben ist, wird es für ihn kaum eine Rolle spielen, ob beispielsweise Odessa russisch wird oder auch nicht. Dennoch, faktisch ist noch nichts passiert und es gibt mächtige Gegner. Die Mächtigsten im US-Sicherheitsstaat werden auf ihre gigantische Bonanza-Ukraine ebenso wenig verzichten wollen wie die europäischen Kriegstreiber auf ihren geliebten Ukraine-Krieg. Querschüsse sind von allen Seiten zu erwarten. Quintessenz: Die europäischen Vorzeigedemokraten sind gegen Trump, weil er den „Frieden diktieren“ will. Wenn das keine Errungenschaft ist.