Kaum schaut man mal genauer auf das, was uns da tagtäglich aus Radio, Fernsehen, Print- und Onlinemedien entgegenplärrt, und stellt sich die Frage, ob das noch Nachrichten sind oder schon Propaganda ist (siehe UZ vom 5. September), springen einen die Beispiele überall an. Und schon muss man ’ne Serie draus machen.
Eine besonders unrühmliche Rolle in der Propaganda kommt den eigentlich ja völlig unschuldigen Satzzeichen zu. Besonders oft missbraucht: Das Anführungszeichen.
Da veröffentlichen die UN zum Beispiel den Untersuchungsbericht der 2021 eingesetzten „Kommission zur Prüfung möglicher Verletzungen des internationalen Völkerrechts in den besetzten palästinensischen Gebieten und Israel“ (hier dienen die Anführungszeichen übrigens der Kenntlichmachung des Namens). Die Kommission ist zu dem Ergebnis gekommen, dass Israels Vorgehen gegen Gaza vier von fünf Merkmalen von Völkermord erfüllt. Was macht „ZDF heute“ daraus?
„UN-Untersuchungskommission wirft Israel ‚Genozid‘ im Gazastreifen vor.“ Hier dienen die Anführungszeichen um den Satz dazu, ihn als Zitat kenntlich zu machen – aber was hat sich die Redaktion des ZDF bei den Anführungszeichen um „Genozid“ gedacht? „UN wirft Israel vor“ reicht völlig, um deutlich zu machen, dass man die Einschätzung meldet und nicht unbedingt teilt. Die Anführungszeichen machen den Völkermord zu einem angeblichen, vielleicht auch nur zu etwas, was so ähnlich ist wie Genozid, aber weniger schlimm. Das Anführungszeichen in der Nachrichtenmeldung: satzzeichengewordene Staatsräson.
Schlimmer geht es natürlich immer und den Vogel hat diesmal die „taz“ abgeschossen. Die leistet sich eine Satireseite, die sie „Die Wahrheit“ nennt, und eine dazugehörige „Wahrheitsredaktion“. An sich schon unangenehm, aber in der Ausgabe vom 20. September schlicht ekelhaft. Denn dort darf sich Fritz Tietz über einen „Gaza-Erlebnispark“ in der Lüneburger Heide auslassen. Den fantasiert er sich folgendermaßen zusammen: „Am Eingang kontrollieren Mitarbeiter im stilisierten Outfit israelischer Militärs die Rucksäcke ausgewählter Gäste auf ‚gefährliche Gegenstände‘. Unter dem Gejohle der Umstehenden werden Brillenetuis, Tupperdosen und Wechselsocken ‚konfisziert‘. Ebenso ‚streng überwacht‘ wird die Pflicht zum Tragen einer Kufija. Doch keine Sorge: Wer sein ‚Pali-Tuch‘ vergessen hat, kann an der Kasse ein täuschend ähnlich gemustertes Geschirrtuch erwerben; auf Wunsch mit ‚Free-Gaza‘-Stickerei – für nur 24 Euro 99.“
In dem Park kann man sich dann an zerstörter Kulisse und Laiendarstellern ergötzen und „immer wieder sorgen kleine Stilbrüche für Schmunzeln: Einer der Bewohner trägt topmodische Sneakers unter seinem Kostüm, das ganz offensichtlich ein ausrangiertes Damennachthemd ist“.
Für den Schluss des Ausflugs schlägt Tietz vor: „Wer noch mehr Gänsehaut verträgt, wagt sich in die unterirdisch gelegene ‚Geiselbahn’. Auch der mit roten Dreiecken markierte Weg zur ‚Hamas-Kantine’ mit ihrem reichhaltigen Angebot an regionalen Speisen führt durch das ausgeklügelte Tunnelsystem, das den gesamten Untergrund des Erlebnisparks durchzieht.“ Mehr Zitate erspare ich uns, man kann den Text im Online-Angebot der „taz“ finden.
Darf man solche Texte schreiben? Klar, ist dann aber halt keine Satire, sondern eine peinliche Entblößung des eigenen Rassismus. Schlimmer als die textliche Entgleisung des Autors, der sich selbst als „Spezialist“ bezeichnet, ist die Reaktion der „Wahrheitsredaktion“ auf den wohlverdienten Shitstorm. „Ziel dieser jetzt erschienenen Satire sind eindeutig die Protestformen und Protagonisten der deutschen Pro-Palästina-Szene. Aufs Korn genommen werden Antisemitismus, Selbstgerechtigkeit dieser Personen und eitle Protestvermarktung – alles im erzählerischen Rahmen eines fiktiven Gaza-Erlebnisparks. Das tatsächliche und grauenhafte Geschehen in Gaza wird im Text nicht geschildert und nicht bewertet“, so die Erklärung der Redaktion. Falsch. Der Text reproduziert israelische Propaganda über massenhaft im Gazastreifen vorhandene Nahrung, über zur Schau gestellte Armut, die es nicht gebe. Garniert wird das Ganze mit antimuslimischem Rassismus und dem Lustigmachen über die, die leiden, und die, die das Leid beenden wollen.
Damit stellt sich die „taz“ – mal wieder – an die Seite von Staatsräson und Komme-was-wolle-Israelfreundschaft von CDU bis Grüne. Und übersieht dabei, was eigentlich bekannt sein sollte, wenn man sich ein eigenes Satire-Ressort eingerichtet hat. Satire ist scharfzüngige Kritik von „denen da unten“ an „denen da oben“. Sie ist wortgewandte Kritik an Politik. Wenn Satire das Geschäft der Herrschenden übernimmt, ist sie keine Satire mehr. Sondern platte Propaganda.