Vor der Revolution stand die Kritik

Von Kurt Baumann

Der Weg zur KPD-Gründung beginnt mit dem Verrat von 1914: Die rechten SPD-Führer hatten den Kriegskrediten zugestimmt und verraten, was die internationale Arbeiterbewegung sich als Ziel, Programm und Strategie erarbeitet hatte. Nach der Trennung von den Opportunisten, der Gründung der kommunistischen Partei sagte Rosa Luxemburg: „Wir sind wieder bei Marx, unter seinem Banner.“ Die Dokumente, die Stationen auf diesem Weg bilden, stellt „Unsere Zeit“ in vier Teilen dar.

Als die erste und einzige Ausgabe der Zeitschrift „Die Internationale“ entstand, war Karl Liebknecht zum Militär eingezogen und von politischen Äußerungen außerhalb des Reichstags und des Brandenburger Landtags in Potsdam abgeschnitten. Rosa Luxemburg saß im „Berliner Weibergefängnis“. Die „Gruppe Internationale“, wie sie sich fortan nannte, musste sich ohne diese beiden bewährten Mitglieder sammeln. Franz Mehring, Käte und Hermann Duncker, Clara Zetkin, August Thalheimer und andere gehörten zu dieser Gruppe, die sich nach und nach ihre Organisationsstrukturen aufbaute, zunächst innerhalb der SPD. „Getreu unserem Prinzip, eine Massenbewegung zu schaffen, begannen wir Ende 1914 mit dem Aufbau einer illegalen Organisation“, schrieb einer der Organisatoren, Hugo Eberlein.

Prinzip oder Taktik?

Das Flugblatt „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ entstand Ende April 1915 auf Fronturlaub Karl Liebknechts und wurde im Mai 1915 vor den Toren der entscheidenden Berliner Großbetriebe verteilt, so die Aussage des damaligen Berliner Organisationsleiters Wilhelm Pieck. Es setzt sich zunächst mit der aktuellen Kriegssituation auseinander, Italien war an der Seite der Entente-Mächte in den Krieg eingetreten. Daraus leitet Liebknecht die anstehenden Interessen des deutschen Imperialismus ab: Dieser Fakt soll zu einer neuen Welle des Chauvinismus ausgenutzt werden. Das wiederum würde der Entwicklung von Klassenbewusstsein schaden. Liebknecht propagiert keinen klassenneutralen Friedenskampf, sondern macht deutlich: Im Kampf gegen das Völkerschlachten ist das Entscheidende, das proletarische Klassenbewusstsein zu entwickeln.

Ausgehend vom Klasseninteresse stellt Liebknecht die Frage nach der Demokratie während des Krieges: Im nationalistischen Taumel wurde „die verstockte Heiligsprechung der Viereinigkeit: Halbabsolutismus – Junkerherrschaft – Militarismus – Polizeiwillkür zur bitteren Wahrheit“. Seine Kritik richtet sich dann – auf die demokratische Frage aufbauend – darauf, wer das deutsche Volk in den Krieg geführt habe. Die Antwort lautet: der deutsche Imperialismus.

Daraus wird aktuell von einigen die Schlussfolgerung gezogen, damit sollte der Hauptfeind historisch jederzeit neu festgelegt werden. Aber Liebknecht schreibt: „Der Hauptfeind jedes Volkes steht in seinem eigenen Land!“, er geht damit zurück auf den Marxismus, der (siehe Teil 1 dieser Reihe) auch von Rosa Luxemburg verteidigt wurde: Die Grundlage des Marxismus ist der Klassenkampf. Bekämpfen kann die Klasse aber nur jenen Hauptfeind, dem sie direkt gegenübersteht. Verlegt man also den Hauptfeind, wie Ebert und Scheidemann, nach Russland oder ins „perfide Albion“, also nach England, will man den Klassenkampf zugunsten des Burgfriedens aufgeben. Verlegt man ihn aktuell in die USA (oder, wie Sigmar Gabriel, in die USA und nach Russland), will man selbiges in den heutigen Friedenskämpfen tun.

Liebknecht geht zurück auf eine marxistische Grundaussage: Der Klassenkampf, so Marx und Engels im Manifest, sei dem Inhalt nach international, der Form nach ein nationaler Kampf. Auch hier könnte man schon argwöhnen, dass dies logisch sei, denn wen anderes als den nationalen Gegner soll das Proletariat denn direkt ökonomisch, politisch und ideologisch (also auf allen drei Ebenen des Klassenkampfes) bekämpfen, wenn nicht den national vorzufindenden Klassenfeind. Aber für alle, denen das noch nicht deutlich genug ist, schreiben Marx und Engels nachfolgend den Satz: „Das Proletariat jedes Volkes muss natürlich zunächst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden“. Sie formulieren eine weltanschauliche Grundsetzung des Marxismus. Von diesem wiedererrungenen marxistischen Boden aus arbeitet die „Gruppe Internationale“ in der Folgezeit die Dialektik von Nationalem und Internationalem aus.

Trauerfeiern und Flugblätter

Der Klassenkampf, auf den sich Liebknecht dabei bezog, war konkret. Bereits 1915 gibt es die ersten Lebensmittelunruhen und Frauendemonstrationen gegen den Krieg. Auch die Jugend, unter der Gefahr, in das Völkerschlachten eingezogen zu werden, bricht mehr und mehr aus der Parteidisziplin der SPD aus und organisiert eigenständige Agitations- und Propagandaarbeit sowie Aktionstätigkeit. Einer der Hamburger Verantwortlichen schreibt in einem Erinnerungsbericht: „Jede Abschiedfeier für einen zum Heer einberufenen Genossen wurde zum Gelöbnis, im Felde wie in der Heimat im Geiste der sozialistischen Ideale weiterzukämpfen. Jede Trauerveranstaltung zu Ehren eines gefallenen Freundes wurde zu einem erschütternden Erlebnis. Unzählig waren die Feldpostbriefe, die zwischen Front und Heimat gewechselt wurden und über das Grauen im Krieg und das kämpferische Leben in der Jugendorganisation berichteten. Die überzeugtesten und mutigsten Jugendlichen liefen treppauf, treppab, wenn ein illegales Flugblatt aus der Feder Karl Liebknechts oder Rosa Luxemburgs erschienen war und schnell verbreitet werden musste. Nie reichten die gedruckten Flugblätter aus, und oft wurden sie gleichzeitig in den Aktivgruppen mehrerer Jugendabteilungen mit primitivsten Mitteln auf mühsam beschafftem Papier vervielfältigt, nachdem sie von Jugendfreundinnen in kaufmännischen Büros heimlich mit Kopierfarbband geschrieben worden waren.“

Das hatte Auswirkungen auch auf die Mitgliedschaft der SPD. Ein erboster Spitzelbericht beschreibt dies: Die Zahlabende und Mitgliederversammlungen der sozialdemokratischen Wahlvereine seien ein Resonanzboden für „radikale Agitation“, „in denen dank der geschickten Mitarbeit radikaler Parteifunktionäre die Ausführungen der ‚Unentwegten‘ mehr und mehr beifällige Aufnahme zu finden pflegten.“

Dagegen nahmen sich die Friedenslosungen der Zentristen sehr zahm aus, so das Friedensprogramm von Gustav Hoch vom Januar 1915. Der Frieden, so war die Erkenntnis nicht nur des organisierten Kerns der Revolutionäre, sondern zunehmend auch vieler Arbeiter, die an ihrer Seite in die Kämpfe um die Lebenserhaltung und damit automatisch gegen den Krieg eintraten, war nicht eine Sache frommer Wünsche. Er war eine Sache des Klassenkampfes.

Immer klarer

Auf der Basis dieser organisierten Klassenkämpfe wurde weiterhin – im Rahmen der Möglichkeiten – parlamentarische Arbeit realisiert. Hauptsächlich durch Liebknecht und Otto Rühle, ein weiteres späteres KPD-Mitglied. Anfragen legten die Kriegspläne, die Kosten und die Verschärfung der Repression nach innen vor der Bevölkerung offen. In den Flugblättern der „Gruppe Internationale“, den wenigen Zeitungen, die die Linken noch abdruckten, später in den Spartakusbriefen fanden diese Informationen Eingang und wurden so agitatorisches und propagandistisches Material.

Gleichzeitig wurde in den Protestschreiben vom Juni 1915 und der Auseinandersetzung Rosa Luxemburgs mit dem Sozialchauvinisten David um die Kolonialfrage der ideologische Klassenkampf weitergeführt. Unter den Zentristen bildeten sich verschiedene Organisationen, deren programmatische Positionen allesamt den Frieden wünschten, aber kein Mittel benennen konnten, ihn herbeizuführen. Auf den internationalen Konferenzen in Zimmerwald und Kienthal waren es Lenin und die Bolschewiki, die sich auf die Seite der Linken stellten und die Halbheit der Zentristen entlarvten. Ihren Beitrag zur Klärung offener Fragen lieferte Rosa Luxemburg in der als „Junius-Broschüre“ bekannt gewordenen Schrift „Die Krise der Sozialdemokratie“. Die Klärung innerhalb der Revolutionäre kam voran – Schritt für Schritt.

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"Vor der Revolution stand die Kritik", UZ vom 14. Dezember 2018



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