Auszüge aus einer Antikriegsrede am 1. September in Marburg

Was haben Gewerkschafter mit Frieden zu tun?

Am 1. September fanden bundesweit Veranstaltungen zum Antikriegs- und Weltfriedenstag statt. Traditionell rufen auch die Gewerkschaften an diesem Tag zu Friedenskundgebungen auf. Während der DGB in seinem Aufruf regierungskonform „die Notwendigkeit, in Deutschland und Europa die gemeinsame Verteidigungsfähigkeit zu stärken“ betonte, fanden viele Kolleginnen und Kollegen deutliche Worte gegen Hochrüstung und Krieg. Wir dokumentieren exemplarisch Auszüge aus der Rede von Ulf Immelt, Gewerkschaftssekretär des DGB Hessen-Thüringen, die er auf der Kundgebung des Marburger Bündnisses „Nein zum Krieg!“ am 1. September gehalten hat.

Ich bin in der vergangenen Woche nach dem Fußball beim Bier gefragt worden: Warum engagierst du dich als Gewerkschafter am Antikriegstag? Habt ihr bei euren Hauptaufgaben, dem Kampf für gute Arbeitsbedingungen und soziale Gerechtigkeit, nicht schon genug zu tun?

Tatsächlich geht uns die Arbeit dort nicht aus. Die Deindustrialisierung schreitet voran. Allein im vergangenen Jahr sind über 100.000 Arbeitsplätze in der Industrie vernichtet worden, auch in unserer Region. Die Schließungen des Continental-Standorts und des Stahlwerks in Wetzlar sind die prominentesten, aber nicht die einzigen Beispiele. Hinzu kommen der Kampf um Tarifbindung, die Angriffe von Politik und Wirtschaft auf den Achtstundentag und die Infragestellung des Sozialstaats. Doch was hat das alles mit Aufrüstung und Krieg zu tun?

Von Clemens Fuest stammt das Zitat: „Kanonen und Butter – das wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland. Das geht nicht. Sondern Kanonen ohne Butter.“ Ehrlicher kann man dreieinhalb Jahre „Zeitenwende“ nicht zusammenfassen. Die Logik ist unmissverständlich: Jeder Euro, der in Soziales, Gesundheit oder Bildung investiert wird, fehlt für Aufrüstung und Krieg. Jeder Cent, der in den Sozial- oder Bildungsetat fließt, schmälert die Profite von Rheinmetall und anderen Rüstungsschmieden. (…)

Rüstung rettet keine Jobs

Von Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, stammt das Zitat: „Anstatt einen volkswirtschaftlichen Schaden durch den Abschwung der Auto-Konjunktur zu beklagen, sollten wir versuchen, Produktionseinrichtungen und vor allem Fachkräfte aus dem Automobilsektor möglichst verträglich in den Defence-Bereich zu überführen.“ Im Klartext: Wenn Kolleginnen und Kollegen ihre Jobs in der Automobil- und Zulieferindustrie verlieren, sollen sie ihre Arbeitskraft stattdessen einfach in der Rüstungsindustrie verkaufen. Der Rüstungsboom rettet aber keine industriellen Arbeitsplätze und ein Jobwechsel in ein Rüstungsunternehmen stellt für einen relevanten Teil der über sieben Millionen Industriearbeiter keine reale Perspektive dar. Dafür ist die Rüstungs-Branche schlicht zu klein.

Rüstung runter, Soziales rauf

Wenn das Geld in Aufrüstung gesteckt wird, fehlt es eben für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. Insbesondere dann, wenn man gleichzeitig auf eine angemessene Besteuerung großer Vermögen verzichtet. (…) Das hohe Maß an Armut und sozialer Benachteiligung stehe in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes, urteilt der jüngste Bericht des Europarats zur Sozialpolitik Deutschlands. Es bedürfe größerer Anstrengung bei der Bekämpfung von Armut, Wohnungslosigkeit und Ausgrenzung, so das vernichtende Urteil der von der EU unabhängigen, 1949 zum Schutz von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaat in Europa gegründeten Institution. Eine Analyse, die durch Untersuchungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung untermauert wird: Die Staats- und Sozialausgaben sind hierzulande – anders als behauptet – weder besonders hoch, noch zuletzt stark gewachsen.

Betrachtet man die preisbereinigte Entwicklung der öffentlichen Sozialausgaben in den vergangenen 20 Jahren im internationalen Vergleich, zeigt sich: Unter 27 Ländern der Industriestaatenorganisation OECD liegt Deutschland mit einem Zuwachs von insgesamt 26 Prozent auf dem drittletzten Platz. Selbst in Staaten wie den USA mit 83 Prozent oder Britannien mit 59 Prozent war der Anstieg der Sozialausgaben deutlich höher als in der Bundesrepublik. Mit einem Anteil der staatlichen Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit aktuell 26,7 Prozent belegt Deutschland ebenfalls keinen Spitzenplatz, sondern liegt laut IMK nur auf Rang 7 der 18 reichen OECD-Länder in Westeuropa und Nordamerika.

Für Butter auf dem Brot

Spätestens mit der sogenannten „Zeitenwende“ spielen solche ökonomischen Fakten keine Rolle mehr. Schließlich erweisen sich Aufrüstung und (Stellvertreter-)Kriege als äußerst wirksame Instrumente zur Umverteilung von unten nach oben. Während der militärisch-industrielle Komplex mit Milliardensummen subventioniert wird, bezahlen dies die Kolleginnen und Kollegen hierzulande mit längerer Arbeitszeit, geringeren Renten und schlechterer Absicherung von Arbeitslosigkeit und Armut – und die Menschen in den Kriegsgebieten häufig mit dem Leben.
Angesichts dieser Entwicklungen wird deutlich: Wer nichts gegen den Rüstungswettlauf tut, wird keine Tarif-, kein Sozial-, keine Industrie- und keine Arbeitsmarktpolitik im Sinne der Beschäftigten machen können. Anders formuliert: Wir dürfen uns die Butter nicht vom Brot nehmen lassen – erst recht nicht für Kanonen!

Ulf Immelts Rede haben wir in voller Länge im UZ-Blog veröffentlicht.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Was haben Gewerkschafter mit Frieden zu tun?", UZ vom 5. September 2025



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol LKW.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit