Die SDAJ-Bundesvorsitzende Andrea Hornung zog in ihrer Rede auf der Friedensdemonstration am 3. Oktober 2025 in Berlin historische Paralellen zum Ersten Weltkrieg – und kritisierte die Wiedereinführung der Wehrpflicht per Salami-Taktik. Wir dokumentieren ihre Rede in voller Länge:
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
1914 standen in Berlin am Bahnhof Frauen und Kinder, die den Männern zum Abschied mit weißen Taschentüchern winkten. Sie waren euphorisch und fest davon überzeugt, dass ihre Männer, Väter und Söhne Paris erobern würden, dass sie bald gemeinsam ein besseres Leben in Frieden und Freiheit führen würden. Zur gleichen Zeit standen auch in Paris am Bahnhof Frauen und Kinder, während die Männer in die Züge einstiegen, um in den Krieg zu ziehen, um Berlin zu erobern. Und auch sie waren voller Hoffnung und Euphorie für Frieden und Freiheit. Aber stattdessen folgten vier Jahre Krieg, Hunger und Tod. Diejenigen, die an den Gleisen winkten, diejenigen, die in den Krieg zogen, sie waren die Verlierer, ob in Deutschland oder Frankreich. Rosa Luxemburg fasste zusammen: „Die Dividenden steigen, die Proletarier fallen.“
Der Aktienkurs von Rheinmetall hat sich in den letzten drei Jahren verzehnfacht, und auch die Kurse von Renk & Hensoldt gehen steil aufwärts. Die Dividenden steigen. Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler gab es schon vor über zehn Jahren offen zu: Mit Aufrüstung und Bundeswehr sollen Handelswege, Absatzmärkte und Profitinteressen gesichert werden. Es geht um das Lithium der Ukraine, das Öl in Iran, die Unterstützung Israels als wichtigstem Bündnispartner im Nahen Osten, und die Vorherrschaft in Osteuropa. Es geht um die NATO-Osterweiterung und den nächsten Griff Deutschlands nach der Weltmacht. Damit die Dividenden weiter steigen. Und dafür müssen die Proletarier fallen. Denn dafür braucht es den Krieg, vor allem gegen die Konkurrenten Russland und China. Und dafür braucht es das Kanonenfutter.
Das ist der Hintergrund, vor dem die Wehrpflicht – oder besser: der Kriegsdienst – wieder eingeführt wird. Zunächst freiwillig: Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass ab nächstem Jahr alle 18-Jährigen Fragebögen zugesendet bekommen. Männer müssen antworten und Angaben über die körperliche Verfasstheit und die Bereitschaft machen. Doch schon ein Jahr später, 2027, sollen verpflichtende Musterungen durchgeführt werden. Und wenn sich nicht genug Jugendliche melden, dann kommt die Pflicht – vielleicht auch für Frauen, aber mit Emanzipation hat das gar nichts zu tun. So wird die Wehrpflicht Schritt für Schritt per Salami-Taktik eingeführt werden, damit der Widerstand nicht zu groß wird. Machen wir dem einen Strich durch die Rechnung! Wir sind hier so viele, wir sind so ein starkes Signal, und wir können noch viel mehr werden! Wir haben als Bündnis „Nein zur Wehrpflicht“ eine Petition gegen die Wehrpflicht gestartet, dafür wird auch hier auf der Demo gesammelt. Unterschreibt, aber nehmt auch eine Liste mit nachhause. Sprecht mit euren Freunden, Kindern, Enkeln, Kolleginnen und Nachbarn. Lasst uns Aktionen und Schulstreiks organisieren, wenn das Gesetz verabschiedet werden soll. Lasst uns gemeinsam sagen: Nein zur Wehrpflicht!
Im Fall eines Krieges gegen Russland rechnet die NATO mit bis zu 5.000 toten Soldaten pro Tag. Die Toten, das werden nicht die Kinder und Enkel von Merz sein, es werden nicht die Kinder und Enkel von Rheinmetall-Chef Papperger sein. Die Reichen und Mächtigen werden das Sterben uns überlassen. Es werden, wie 1914, die Kinder der Arbeiterklasse sein. Diejenigen, die sich keine Privatschule leisten können. Die schon seit Jahrzehnten in kaputten Schulen sitzen. Die keinen Studien- und Ausbildungsplatz kriegen – oder diesen mit einem Zweit- oder Drittjob finanzieren müssen. Diejenigen, die die Bundeswehr schon heute mit angeblich sicheren Jobs ködert. Wir sollen für einen Krieg für Dividenden mit unserem Leben bezahlen.
Und bezahlen tun wir alle schon heute. Erst hundert Milliarden, dann whatever it takes: Kriegskredite in unbegrenzter Höhe. Das bedeutet: Unsere Schulen werden weiter verfallen, die Umwelt weiter zerstört. Schwimmbäder und Sportvereine werden schließen, Brücken, Schienen und Infrastruktur werden weiter den Bach runtergehen – außer, sie sind militärisch relevant. Die Bundesregierung hat sich dem 5-Prozent-Ziel der NATO verpflichtet. Das ist fast jeder zweite Euro des Bundeshaushalts! Das muss bedeuten, dass in allen anderen Bereichen aufs Heftigste gekürzt wird. Steuererhöhungen für Reiche und Großunternehmen werden aber kategorisch ausgeschlossen.
Mit dem Geld, das in die Rüstung gesteckt wird, wäre innerhalb kürzester Zeit die Wohnungsnot und das Mietenproblem erledigt. Wir könnten alle Schulen sanieren und kostenlose Kitas für alle finanzieren. Wir könnten alle Rentnerinnen und Rentner aus der Armut befreien, ein elternunabhängiges BAföG einführen und den ÖPNV kostenlos machen und ausbauen. Und wahrscheinlich ginge mit diesen Summen noch viel, viel mehr. Die Aufrüstung ist eine politische Entscheidung für die Dividenden und gegen die übergroße Mehrheit der Bevölkerung.
Als 1914 die Männer an die Front fahren, die Frauen und Kinder am Bahnhof stehen, denken sie, in diesem Krieg geht es um die Freiheit, um die Abwehr einer äußeren Bedrohung. Da haben die Pariserinnen Angst vor den Deutschen und die Berlinerinnen Angst vor den Franzosen. Und heute macht man uns Angst vor „dem Russen“. Deshalb erzählte uns die Politikwissenschaftlerin Gaub schon vor zwei Jahren bei Markus Lanz, dass Russen, auch wenn sie europäisch aussehen, keine Europäer seien und einen anderen Bezug zu Gewalt hätten. Das ist blanker Rassismus! Russland bedroht uns nicht. Die NATO ist laut der jüngsten Greenpeace-Studie Russland in allen wesentlichen militärischen Bereichen um ein Vielfaches überlegen.
Wir sollen 2029 kriegstüchtig sein. 2029 soll das neue 1914 werden. Wir werden wieder an die Bahnhöfe gehen. Aber diesmal nicht, damit erneut die Frauen und Kinder ihren Männern und Söhnen, und diesmal vielleicht auch Töchtern, mit weißen Taschentüchern winken. Nicht, um voller Euphorie in den Krieg zu ziehen. Sondern um dafür zu sorgen, dass die Bahnhöfe still stehen. Dass die Soldaten nicht in den Krieg ziehen und das Kriegsgerät nicht verladen wird, nicht an den Bahnhöfen, nicht auf die Straßen, nicht an den Häfen! Es darf nicht wieder vier Jahre dauern und so viele Millionen von Toten kosten. 1918 streikten die Arbeiterinnen hier in den Berliner Munitionsfabriken, meuterten die Matrosen der Kriegsmarine und sagten: Das Feuer aus den Kesseln! Es waren die Arbeiterinnen und Soldaten, die den Krieg beendeten. Es sind heute unsere Kolleginnen und Kollegen in Marseille, in Genua und in Piräus, die die Rüstungsexporte nach Israel stoppen und sich ganz praktisch gegen den Völkermord in Gaza stellen. Wir erklären hier gemeinsam: Wir werden diesen Krieg verhindern!