Auch im Handel beginnen die Tarifrunden. Spürbare Lohnsteigerungen gefordert

Zeichen stehen auf Streik

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) geht mit der Forderung nach spürbaren Lohnsteigerungen in die bevorstehenden Tarifrunden für den Handel. Da die Verhandlungen nach Bundesländern getrennt geführt werden, haben die zuständigen Tarifkommissionen nicht überall die gleichen Ziele beschlossen. Während ver.di etwa in Nordrhein-Westfalen für die Beschäftigten des Einzel- und Versandhandels 2,50 Euro mehr pro Stunde und ein Mindestgehalt von 13,50 Euro in der Stunde verlangt, geht es in Baden-Württemberg um 15 Prozent mehr. Für den Groß- und Außenhandel liegen die Forderungen bei einer Steigerung um 13 Prozent, mindestens aber 400 Euro mehr.

Zumindest für die unteren Gehaltsgruppen, in denen die meisten Kolleginnen und Kollegen beschäftigt sind, liegen beide Forderungen nicht weit auseinander. Bislang erhalten die Beschäftigten dort nur wenig mehr als 11 Euro für 60 Minuten Arbeit und damit weniger als den gesetzlichen Mindestlohn. Lediglich durch bestimmte Leistungsprämien kommen sie im Normalfall über die vorgeschriebene Marke von 12 Euro pro Stunde – Missbrauch wird so Tür und Tor geöffnet. Immer wieder müssen Beschäftigte und Betriebsräte ausstehendes Geld einklagen. ver.di will nun festschreiben, dass schon durch die regulären Tarifgehälter der Mindestlohn zumindest erreicht beziehungsweise überschritten wird.

Die Unternehmer haben die Forderungen prompt zurückgewiesen und ihren altbekannten Sermon angestimmt, dass die angestrebten Einkommenssteigerungen unrealistisch und nicht leistbar seien. In der Gewerkschaft erwartet man deshalb erneut harte Auseinandersetzungen und Streiks. Dabei sind die Bedingungen kompliziert: Der Organisationsgrad ist in den meisten Unternehmen nur gering. Vor allem aber hat die Tarifflucht im Handel dramatische Formen angenommen. Die meisten Unternehmen haben sich längst aus der Tarifbindung verabschiedet, nur noch jede vierte Beschäftigte im Einzelhandel arbeitet unter den Bedingungen eines Tarifvertrages. Im Großhandel ist die Situation mit einer Tarifbindung von 33 Prozent nur wenig besser. ver.di fordert deshalb auch in diesem Jahr, die Abschlüsse für allgemeinverbindlich zu erklären, so dass sie auch für nicht tarifgebundene Firmen gelten. Dazu ist nach dem Gesetz allerdings ein gemeinsamer Antrag beider Tarifparteien notwendig – und der Einzelhandelsverband HDE verweigert die Allgemeinverbindlichkeit ebenso wie der Zusammenschluss der Großhandelsunternehmer BGA.

Tarifverhandlungen anderer Art führt ver.di derweil beim Kaufhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof. Das Unternehmen von Multimilliardär René Benko hat Massenentlassungen und die Schließung Dutzender Warenhäuser angekündigt. In den vergangenen Jahren hatte die Gewerkschaft dort abgesenkte Tarife akzeptiert, um die Arbeitsplätze zu sichern. Allerdings sah ein Passus vor, dass im Falle der Insolvenz die regulären Tarifverträge in Kraft treten und gekündigte Beschäftigte zumindest für die letzten drei Monate den vollen Lohn erhalten. De facto geht es dabei um die Höhe des den entlassenen Kolleginnen und Kollegen zustehenden Arbeitslosengeldes, das sich nach dem bisherigen Einkommen bemisst. Galeria verweigert das, so dass Streiks durchaus im Bereich des Möglichen liegen.

Zudem kämpft ver.di um den Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze und Filialen: Die Beschäftigten bei Galeria haben alles gegeben, damit der Laden läuft. Sie haben ihr Know-how eingebracht, den Personalmangel durch hohen Einsatz kompensiert und dann noch auf erhebliche Teile ihres Arbeitseinkommens verzichtet. Und jetzt sollen sie wieder die Zeche für Führungspersonal an der Galeria-Spitze bezahlen, das gerade in aller Öffentlichkeit kapituliert. Wir werden zusammen mit den Betriebsräten und aktiven Belegschaften aus den betroffenen Warenhäusern um jeden Arbeitsplatz kämpfen.

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"Zeichen stehen auf Streik", UZ vom 31. März 2023



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