Macron gewährte seinem Volk Audienzen – Gelbwesten protestieren weiter

Ablenkungsmanöver

Von Lars Mörking

Am vergangenen Samstag gingen nach Angaben der Organisatoren wieder mehr als 80000 Gelbwesten in ganz Frankreich auf die Straße, um gegen die Politik des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu protestieren. Örtlicher Schwerpunkt war dieses Mal Toulouse im Südwesten Frankreichs. Die Polizei setzte hier Tränengas und Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein, Behörden gaben an, dass es 14 Verletzte gegeben habe. 37 Menschen wurden in Toulouse festgenommen, unter anderem wegen Verstoßes gegen das neue Vermummungsverbot.

Präsident Macron hatte auf die anhaltenden Proteste der Gelbwesten mit vagen Versprechungen und einer „großen nationalen Debatte“ reagiert. Unter diesem Titel zog er in den vergangenen Wochen und Monaten durch das Land. Seit Januar gab es landesweit mehr als 10000 Diskussionsrunden. Macron debattierte höchstselbst in verschiedenen Regionen mit Bürgermeistern. Die Bürger durften vor Ort oder online versuchen, sich Gehör zu verschaffen. Die Ergebnisse fasste Regierungschef Edouard Philippe kürzlich in einer Präsentation zusammen, mehr als zwei Millionen Beiträge habe es gegeben. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer hätten demnach das Thema Gesundheitsvorsorge angesprochen, das Thema Einwanderung habe nur eine geringe Rolle gespielt. Der Veränderungsbedarf sei „so radikal, dass jeder Konservatismus, jede Zurückhaltung unverzeihlich wäre“. Ein „riesiger Ärger über die Steuern“ sei deutlich geworden, so Philippe. Seine Schlussfolgerung: „Wir müssen die Steuern senken, und zwar schneller.“ Praktisch, hatte die Regierung doch sowieso Steuersenkung geplant, allerdings für Reiche. Dabei hatte sich in der „Großen Debatte“ viele Bürgerinnen und Bürger den Forderungen der Gelbwesten angeschlossen und sich für eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer ausgesprochen.

Am Montagabend (nach Redaktionsschluss) wollte Präsident Macron sich zur Umsetzung der Forderung der Gelbwesten und zu der in der „Großen Debatte“ geäußerten Kritik an seiner Politik äußern. Er wird versuchen, seine bisherigen Vorhaben anzupassen und sie mit der Legitimation zu versehen, sie seien Ergebnis einer Kommunikation mit dem Volk. Mit Krümeln werden sich die Gelbwesten nicht zufrieden geben, mit einem „Weiter-so“ der Umverteilung von Unten nach Oben schon gar nicht. Erwartet wird, dass Macron eine Senkung der Einkommensteuer und eine Besserstellung von Beziehern niedriger Renten in Aussicht stellen wird. Aber auch eine Erhöhung des Rentenalters ist im Gespräch.

Die Proteste der Gelbwesten richteten sich in den vergangenen Wochen jedoch nicht mehr nur gegen die unsoziale Politik Macrons, sondern auch gegen Polizeigewalt und Repression. Es waren die ersten Proteste nach Inkraftreten des „Anti-Randalierer-Gesetz“, das ein Vermummungsverbot vorsieht. Ein Verstoß kann bis zu ein Jahr Gefängnis und 15000 Euro Geldstrafe bedeuten. Andere Teile des neuen Gesetzes hatte der französische Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) zurückgewiesen. Den Behörden werde zu viel Spielraum bei der Begründung von Demonstrationsverboten eingeräumt, so das Oberste Gericht, das über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen entscheidet. Das neue Gesetz ermögliche es Präfekten, ohne richterliche Grundlage Demonstrationsverbote auszusprechen, wenn „eine besonders schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung“ vorliege. Präfekten sind der verlängerte Arm der Zentralregierung in den Départements.

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"Ablenkungsmanöver", UZ vom 18. April 2019



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