Auf der Kundgebung zum 81. Jahrestag der Ermordung Ernst Thälmanns in Berlin am 23. August sprach Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP. In seiner Rede schlägt Köbele eine Brücke zur Brüsseler Konferenz der KPD. Die fand im Oktober 1935 in Kunzewo bei Moskau statt – ohne Ernst Thälmann, der zu diesem Zeitpunkt schon über zwei Jahre lang von den Faschisten gefangen gehalten wurde. Auf der Brüsseler Konferenz übertrug die KPD die Beschlüsse des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale in ihre eigene Politik. Welche Relevanz das für uns heute hat und wie Ernst Thälmann sich dazu verhalten hätte, erläutert Köbele in seiner Rede:
Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
liebe Genossinnen und Genossen,
ich beginne mit einer aktuellen Frage: Da wird über sogenannte Sicherheitsgarantien für die Ukraine diskutiert, gar über deutsche Truppen, die in die Ukraine sollen.
Ich sage deutlich: Weder deutsche Truppen in Litauen noch in der Ukraine dienen dem Frieden. Sie sind Bestandteil einer Strategie, dieses Land kriegsfähig zu machen und einen Krieg gegen Russland vorzubereiten. Ich sage zu den Menschen in der Ukraine: Truppen aus NATO-Staaten dienen nicht eurer Sicherheit. Die NATO mit ihren mittlerweile sechs Osterweiterungen, mit ihrem Krieg gegen Jugoslawien ist kein Schlüssel zum Frieden, sondern die Ursache für Krieg.
Ich sage den Menschen in unserem Land, in Europa: Frieden in Europa geht nur mit Russland. Die Menschen in Europa und Deutschland brauchen Frieden und Freundschaft mit Russland und China.
Deutschland und die EU haben versagt, und zwar mit Absicht und bewusst. Ihre imperiale Hegemonie ist ihnen, gemeinsam mit Britannien, den USA und der NATO, wichtiger als das Leben der Menschen in Europa, Russland, der Ukraine, im Gaza-Streifen, im Nahen Osten. Unsere Sicherheit, unser Überleben, unsere Zukunft und die unserer Kinder und Enkel müssen wir schon selbst in die Hand nehmen. Zum Beispiel am 3. Oktober bei den Friedensdemonstrationen in Berlin und Stuttgart.
Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Genossinnen und Genossen,
vor 90 Jahren war unser Genosse Ernst Thälmann seit über zwei Jahren von den Faschisten eingekerkert, das wissen wir alle.
Vor 90 Jahren, das ist vielen vielleicht gar nicht so präsent, wurde Ernst Thälmann in Abwesenheit, im Knast, wieder zum Vorsitzenden der KPD gewählt. In Moskau tagte die Brüsseler Konferenz der KPD, und zwar vom 3. bis 10. Oktober. Vielleicht eine Gelegenheit, dem widerlichen 3. Oktober der Herrschenden ein alternatives, ein zu feierndes Jubiläum entgegenzustellen.
Die Brüsseler Konferenz der KPD hatte vor allem den Inhalt, die Beschlüsse und Orientierungen des VII. Weltkongress der Komintern, der von Ende Juli bis Ende August getagt hatte, für die KPD zu verarbeiten.
Historisch ist sicher, dass Teddy, hätte er am VII. Weltkongress beziehungsweise der Brüsseler Konferenz mitwirken können, deren Ergebnisse mit erarbeitet, mitbeschlossen und mit umgesetzt hätte.
Darum denke ich, ist es legitim, wenn ich mich im Jahr 90 der Wiederwahl von Teddy zum Vorsitzenden der KPD mit den Ergebnissen der Brüsseler Konferenz, aber auch mit den Ergebnissen des VII. Weltkongresses der Komintern befasse.
Das ist umso wichtiger, da in der kommunistischen Bewegung, auch international, die Debatte um die Bewertung des VII. Weltkongresses neu entflammt ist. Wir als DKP wollen diese Debatte führen. Wir als DKP haben aber auch einen klaren Standpunkt.
Vor wenigen Wochen, auf unserem erfolgreichen 26. Parteitag, formulierten wir: „Wir halten am VII. Weltkongress fest, wir sehen ihn als wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der marxistisch-leninistischen Theorie und Praxis. Wir sehen in den Dokumenten des VII. Weltkongresses eine große Anwendung des Marxismus auf die Analyse der damaligen Situation und einen wesentlichen Bestandteil der Weiterentwicklung unserer weltanschaulichen Instrumente. Wir verwenden sie nicht als Dogma, aber als schöpferische Quelle für unsere Strategie und Taktik.“
Wesentliche Korrekturen des VII. Weltkongresses betrafen die Bündnispolitik. Diese hat Teddy mit vorbereitet. Ich nenne hier zwei Dinge – seine Polemik gegen die scheinradikale Losung „Schlagt die Faschisten, wenn ihr sie trefft“, die zur Folge hatte, dass Klassenbrüder und -schwestern viel zu früh aufgegeben wurden, wenn sie der sozialen Demagogie der Faschisten auf den Leim gingen.
Hier für die heutige Situation ein kleiner Einschub meinerseits. Mich schaudert, wenn Linke, wenn Genossinnen und Genossen von den „Nationalsozialisten“ oder dem „Nationalsozialismus“ sprechen. Diese Begrifflichkeit war Teil der sozialen Demagogie der Faschisten. Mit Sozialismus hat das so wenig zu tun wie Rheinmetall und der Kriegsetat der Bundesregierung mit Frieden.
Der zweite Aspekt der Bündnispolitik, der von Teddy mit vorbereitet war, war die Korrektur der sogenannten „Sozialfaschismusthese“. Nun hört man heute ja oft, wie sektiererisch die Kommunistinnen und Kommunisten bis dahin gewesen seien. Das wiederum halte ich für falsch. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Diese Korrektur war eine analytische, eine strategische, eine programmatische Meisterleistung, denkt man an die Erfahrungen, die Kommunistinnen und Kommunisten mit führenden Sozialdemokraten machen mussten. Ich nenne hier nur die Ermordung von Karl und Rosa, die Niederschlagung der Märzkämpfe, der Kämpfe in Hamburg, die Liquidierung der Roten Ruhrarmee, den Blutmai in Berlin.
Auch heute müssen wir in diesem Sinne handeln. Ja, Klingbeil und Pistorius benehmen sich wie die Wiedergeburten von Noske und Zörgiebel. Trotzdem ist es falsch, den SPD-Kollegen am Schreibtisch nebenan, an der Maschine nebenan als Kriegstreiber zu beschimpfen. Nein, wir wollen ihn gewinnen, mit uns am 3. Oktober in Berlin gegen Mittelstreckenraketen, Hochrüstung, Waffenlieferung, Russophobie, für Solidarität mit dem palästinensischen Volk zu demonstrieren. Wir wollen Sozialdemokraten, egal, ob sie sich an der Linkspartei, dem BSW oder der SPD orientieren, für den gemeinsamen Friedens- und Klassenkampf gewinnen.
Oft übersehen wir bei der Betrachtung des VII. Weltkongresses, dass es neben den herausragenden Referaten von Dimitroff und Wilhelm Pieck auch ein ebenso herausragendes Referat von Palmiro Togliatti zum Friedenskampf gab, das ebenso wichtige Ausführungen zur Bündnispolitik in der Friedensfrage enthielt, auch auf internationaler Ebene. So führte Togliatti aus zum Eintritt der Sowjetunion in den Völkerbund, der eine völlig vom Imperialismus dominierte Struktur war: „Der Eintritt der Sowjetunion in den Völkerbund hat den Massen gezeigt, dass die Führer der Sowjetunion keine Doktrinäre sind, sondern Marxisten, die das Kräfteverhältnis in der kapitalistischen Welt richtig einschätzen und es verstehen, jegliche, auch die kleinste Möglichkeit auszunutzen, um ihre Tätigkeit, die auf die Verteidigung des Friedens gerichtet ist, im Interesse der Revolution zu erweitern.“
Ich bin mir sicher: Auch diese Aussage wäre von Teddy unterstützt worden. Müssen wir nicht für heute ebenfalls lernen, dass es zu differenzieren gilt, dass es notwendig ist, Kräfteverhältnisse real und, von ihnen ausgehend, die nächsten Schritte zu bestimmen, ohne das revolutionäre Ziel aus den Augen zu verlieren? Müssen wir nicht versuchen, alle Differenzen und Widersprüche im Lager unserer Gegner zu erkennen und auszunutzen? Müssen wir nicht die Widersprüche zwischen den unterdrückenden Staaten und den unterdrückten Staaten erkennen und ausnutzen? Muss unser Platz nicht an der Seite aller sein, die um ihre Befreiung aus der neokolonialen Ausbeutung kämpfen? Ich meine, sehr wohl.
Brauchen wir das nicht, wenn wir zum Beispiel die Entwicklung der Welt mit der noch vorhandenen Hegemonie der NATO und der G7-Imperialisten betrachten, aber eben auch den Kampf um neokoloniale Befreiung, die BRICS, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit?
Wenn wir diese Herangehensweise übernehmen, dann erkennen wir, dass es sich beim Krieg in der Ukraine um einen Stellvertreterkrieg der NATO zur Umhegung der Russischen Föderation mit der Stoßrichtung gegen die VR China und gegen die Zusammenarbeit Russlands und Chinas handelt. Wenn wir diese Herangehensweise wählen, dann erkennen wir, dass der Völkermord Israels am palästinensischen Volk ein Kampf des Imperialismus um die Vorherrschaft im Nahen Osten ist. Wenn wir diese Herangehensweise wählen, dann erkennen wir, dass der Imperialismus einen Abwehrkampf um seine Hegemonie führt. Nein, das schmälert nicht unsere Trauer um die Opfer des Krieges, unsere Wut über den Völkermord in Gaza. Es verbessert auch nicht unsere eigene Situation. Hier steht uns Schlimmes bevor – das Ausmaß der Zerstörung von Infrastruktur wird dramatisch werden, nur, was kriegswichtig ist, zählt. Der Angriff und die Hetze gegen Arme, das Ausspielen der Ausgebeuteten gegeneinander, der Rassismus, der Kahlschlag, die Russophobie, die antichinesische Propaganda – all das wird zunehmen, wenn es uns nicht gelingt, eine starke Friedensbewegung zu entwickeln und dafür vor allem die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung aus der derzeitigen Integration in den NATO-Kriegs- und Krisenkurs des herrschenden Monopolkapitals zu lösen.
Dazu müssen wir klarmachen: Kriegspolitik, Aufrüstung, verrottende Infrastruktur, sozialer Kahlschlag, Demokratieabbau, Repression, Russophobie, Rassismus gehören zusammen. Kriegspolitik und Aufrüstung führen zu verrottender Infrastruktur und sozialem Kahlschlag. Demokratieabbau, Repression, Russophobie und Rassismus sichern das ab und spalten den Widerstand.
Zugegeben, diese Aufgabe scheint uns angesichts der derzeitigen Situation übermächtig – unerreichbar.
Aber auch hier können wir doch von Teddy lernen. Im faschistischen Knast, wohl wissend, dass ihm der Tod droht, angesichts faschistischer Kriegserfolge und einer Hinhaltetaktik der westlichen Alliierten der Sowjetunion sagt er: „Stalin bricht Hitler das Genick.“
Von Teddy lernen heißt, jetzt für die Friedensdemonstrationen am 3. Oktober in Berlin und Stuttgart zu mobilisieren, dazu die Unterschriftensammlung unter den Berliner Appell zu nutzen, die Diskussion in Gewerkschaften und Nachbarschaft, in der Schule, der Uni, im Betrieb und auch im Altenheim zu führen.
Von Teddy lernen heißt, Klassenkämpfe unterstützen in Betrieb und Kommune, heißt, die DGB-Gewerkschaften zu stärken und in ihnen um die Zusammenführung von Friedens- und Gewerkschaftsbewegung zu kämpfen.
Von Teddy lernen heißt, die Solidarität mit dem palästinensischen Volk gegen die völkermörderische Politik Israels auf die Straße zu tragen und damit staatlicher Repression und medialer Hetze zu trotzen.
Von Teddy lernen heißt, um die Stärkung der revolutionären Linken zu kämpfen. Ohne deren Stärkung ist es nicht möglich, die Arbeiterklasse aus ihrer derzeitigen Integration zu lösen. Solange wir hier nicht vorwärtskommen, werden andere Bewegungen ideologisch herumirren, von reaktionären Kräften mit sozialer oder Friedensdemagogie eingefangen werden.
Von Teddy zu lernen, heißt aber eben auch, zu wissen: Wir sind es, die auf der richtigen Seite der Geschichte, auf der richtigen Seite der Barrikade stehen. Die Herren der Welt, die Herrschenden, Monopolkapital und seine Regierung können Schlachten gewinnen, können vielleicht sogar die Welt in den Abgrund treiben – aber siegen können sie nicht!
Rot Front!