AfD verliert Bürgermeisterwahl. Die Probleme bleiben

Alles gut in Seelow?

Am 15. April dieses Jahres starb völlig überraschend der Bürgermeister der kleinen Stadt Seelow, Jörg Schröder (SPD). Seelow hat nur rund 5.500 Einwohner und liegt im Osten Brandenburgs. Den meisten ist der Name der Stadt, wenn überhaupt, nur bekannt, weil dort einen knappen Monat vor Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa eine der blutigsten Schlachten des Jahres 1945 stattfand. Sie kostete noch einmal fast 80.000 sowjetische, deutsche und polnische Soldaten das Leben. Abgesehen von einigen Diskussionen über die Ausgestaltung des Denkmals zur Erinnerung an die vielen Toten ist die kleine Stadt selten in den Schlagzeilen. Wenn man die Ruhe einer Kleinstadt mag, lässt es sich dort passabel leben.

Dass es wie in ganz Brandenburg unter der ruhigen Oberfläche allerdings brodelt, haben die nun notwendig gewordenen Bürgermeisterwahlen deutlich gemacht. Von den vier im Stadtparlament vertretenen Fraktionen („Die Linke“, SPD, Heimat/Kultur/Sport/CDU/FDP und AfD) schlug nur die AfD einen eigenen Kandidaten vor, Falk Janke. Die anderen Fraktionen einigten sich darauf, den amtierenden parteilosen Bürgermeister Robert Nitz, der schon zwei Jahre als Stellvertreter von Schröder agiert hatte, zu unterstützen. Im Vorfeld der Wahlen am 27. August wurden Mutmaßungen lanciert, der AfD-Kandidat könne gute Chancen haben, die Wahl zu gewinnen, und damit erster hauptamtlicher AfD-Bürgermeister in Brandenburg werden. Schlagartig stand Seelow im Rampenlicht der überregionalen Medien. Am Wahltag gab es dann fast minütlich Tickermeldungen, bis um 20.11 Uhr verkündet wurde: Nitz hat es geschafft, Seelow bekommt keinen AfD-Bürgermeister. 68,5 Prozent der rund 3.000 abgegebenen Stimmen entfielen auf den amtierenden Bürgermeister. Doch fast 1.000 Stimmen gingen an die AfD und ungefähr 1.000 Einwohner nahmen ihr Wahlrecht nicht wahr. Nach einer kurzen aufatmenden „Nachwäsche“ verschwand Seelow wieder aus der Berichterstattung. Doch ist damit alles gut?

Immer wieder ist in den Medien von Naziaktivitäten in Brandenburg und anderen Ostbundesländern die Rede. Bekannt wurden die beiden Lehrer aus Burg (Brandenburg), die vor den großen Ferien derlei Aktivitäten an ihrer Schule publik machten und sich dann so allein gelassen fühlten, dass sie die Schule wechselten. Es ließen sich weitere Beispiele anführen – nicht nur im Osten. Oft ist von Jugendlichen die Rede, doch die rechte Demagogie verfängt in allen Altersgruppen. Die Ursachen sind vielfältig und oft ökonomisch determiniert. Die nach 1990 begonnene Deindustrialisierung des Ostens hält bis heute an. Ordentlich bezahlte Arbeitsplätze sind immer noch rar. Wer gut ausgebildet ist, geht nach wie vor weg aus den Regionen. Übrig bleiben Alte, fest in der Gegend verwurzelte, örtliche Handwerker und Gewerbetreibende und perspektivlose Heranwachsende.

Besonders erschwerend wirkt sich auch aus, dass es in der Region kaum wirksame Strukturen linker Organisationen und Parteien gibt, die Orientierung bieten und als Anlaufpunkte für Unzufriedene dienen könnten. Die vorhandenen sind häufig überaltert und deswegen kaum mobilisierbar. Die Politik der gegenwärtigen Bundesregierung, die eindeutig auf Militarisierung und Konfrontationskurs setzt, stößt den Menschen im Osten besonders auf. Ganz besonders kritisch wird dabei die mit den Mitteln des Wirtschaftskrieges und der Waffenlieferungen vorangetriebene Eskalation der Konfrontation mit Russland betrachtet. Regierungsversagen und Kahlschlag sind die Melange, aus der die Braunen ihren Nektar ziehen. Dagegen hilft kein Jammern – nur kämpfen! Es ist nicht alles wieder gut in Seelow und im ganzen Land.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Alles gut in Seelow?", UZ vom 8. September 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flagge.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit