PCB-Envio-Prozess endet erwartungsgemäß mit Justizskandal

Arbeiter zu vergiften bleibt straffrei

Von Herbert Schedlbauer

Am 4. April hat das Landgericht Dortmund wieder einmal bestätigt, dass sich die herrschende Klasse auf die Justiz verlassen kann. Im Envio-Prozess gegen zwei Manager des Entsorgers aus Dortmund wurde das Verfahren ohne Anerkennung einer Rechtsschuld eingestellt. Sie zahlen lediglich 80 000 Euro an 21 Nebenkläger. Der Richter drängte auf eine Beendigung des Prozesses. Die Staatsanwaltschaft zog mit.

Das Verhalten der Justiz ist bezeichnend, wenn es um Nichteinhaltung von Arbeits- Gesundheits- und Umweltschutz durch Unternehmen geht. Envio konnte über Jahre schalten und walten, weil Politik und Aufsichtsbehörden nicht handelten. Über 50 Beschäftigte, darunter Leiharbeiter, wurden jahrelang hochgiftigen Polychlorierten Biphenylen (PCB) und Dioxinen ausgesetzt. Als Lohn zahlte der „Entsorger“ am Dortmunder Hafen 7,50 Euro die Stunde. Bei der Demontage ausrangierter Transformatoren und Kondensatoren aus Umspannwerken kamen die Arbeiter mit hochgiftigem PCB-Öl und -Trockenstaub in Kontakt. Im Blut der Betroffenen fand sich 25 000 Mal mehr PCB als beim Durchschnitt der Bevölkerung. Bei rund 300 Bewohnern im Umfeld, darunter auch Kinder, entdeckten die Ärzte ebenfalls erhöhte PCB-Blutwerte. Dies alles spielte für das Gericht im größten Umweltstrafverfahren keine Rolle. Nicht mal Berufskleidung gab es für die Beschäftigten. Gearbeitet wurde in Privatkleidung, die Zuhause gewaschen wurde. So kontaminierten sich ganze Familien mit den giftigen Stoffen.

Fünf Jahre dauerte der Prozess. Auf Wunsch der Verteidiger der Angeklagten gab es jetzt eine Einstellung des Verfahrens. Musste die Staatsanwaltschaft wegen des öffentlichen Drucks von Betroffenen und der Bewohner eines ganzen Stadtteils 2011 noch Anklage erheben, zeigte sich wenig später, wie lasch in Wirklichkeit wegen vielfacher Körperverletzung ermittelt wurde. Der ehemalige Geschäftsführer Dirk Neupert und sein Betriebsleiter der mittlerweile insolventen Envio Recycling-GmbH & Co KG, konnten sich mit Unterstützung der Justiz während des Prozesses immer mehr aus der Verantwortung stehlen. Hilfreich waren dabei die vom Gericht bestellten Gutachter. Ein Essener Arbeitsmediziner sah keine Verbindung zwischen einer PCB-Kontaminierung und den Erkrankungen der Beschäftigten. Weitere „Sachverständige“, unter anderem für die BASF tätig, fanden keine Zusammenhänge zwischen der festgestellten PCB-Menge im Blut und den Arbeitsbedingungen. Sie bestritten auch ein erhöhtes Krebsrisiko durch die Umweltgifte. Dies könne, wenn überhaupt, erst in Jahrzehnten nachgewiesen werden. Ganz im Sinne der Verteidigung der Envio-Geschäftsführung lehnte das Gericht einen Gutachter der Nebenkläger ab. Der Mann sei befangen. Er habe auf einem Umweltkongress mit einem Envio-Arbeiter an einer Diskussion teilgenommen.

Der Justizskandal Envio wurde erst möglich durch Wegschauen der Politik und deren Aufsichtsbehörden. SPD, CDU und Grüne im Landtag machten den Weg dazu frei. Sie sind es auch, die dazu beitragen, dass das System der Profitwirtschaft ein entscheidendes Hindernis bei der Lösung aller Umweltfragen bleibt. Beim PCB-Umweltskandal wurden Hinweise und Beschwerden von Beschäftigten, die über kriminelle Machenschaften detailliert berichteten, ignoriert. Schon 2008 ist die Stadt Dortmund über die nicht ordnungsgemäße Entsorgung der PCB verseuchten Transformatoren und deren Belastungen für Mensch und Umwelt informiert worden. Untätigkeit wird auch der Bezirksregierung Arnsberg zur Last gelegt. Gegen sie wurde 2010 Strafanzeige gestellt. Ermittelt wurde für kurze Zeit gegen verantwortliche Mitarbeiter der Bezirksregierung. Doch dann verlief alles im Sande. Anlass könnten Kontakte zwischen dem Justizministerium und der Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens gegen die Bezirksregierung Arnsberg gewesen sein.

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"Arbeiter zu vergiften bleibt straffrei", UZ vom 21. April 2017



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