Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (BSW) leitet zusammen mit Matthias Schrappe den Expertenrat Corona des BSW. UZ sprach mit ihm über die notwendige Aufarbeitung, den Zusammenhang von Pandemie- und Kriegspolitik und die Auswirkungen der Corona-Zeit auf die Gegenwart.
UZ: Die vom Bundestag beschlossene Enquete-Kommission zur Corona-Pandemie nimmt ihre Arbeit auf. Geht es jetzt endlich los mit der politischen Aufarbeitung?
Andrej Hunko: Nicht wirklich. Zuerst handelt es sich um das falsche Instrument. Wir haben uns immer für einen Untersuchungsausschuss ausgesprochen. Das wäre das „scharfe Schwert“. Ein Untersuchungsausschuss hat harte Rechte, kann Akteneinsicht nehmen und Verantwortliche zitieren. Falschaussagen sind – wie vor Gericht – strafbar. Eine Enquete-Kommission hat diese Rechte nicht und dient eher dem Austausch.
Und dann kommt es auch auf das genaue Mandat an. Der Mandatstext für die Kommission zur Pandemiepolitik ist äußerst schwach. Das war auch nicht anders zu erwarten. Viele der Leute, die in der Corona-Zeit Verantwortung getragen haben – vor allem die Gesundheitsminister von CDU und SPD –, sind immer noch in der Bundespolitik und spielen dort auch eine gewisse Rolle. Jens Spahn ist ja sogar Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion. Man kann sich also ausrechnen, dass das nicht sehr kritisch sein wird.
Dabei könnte es anders laufen: In Brandenburg gibt es eine Enquete-Kommission auf Landesebene, die vom BSW mit eingerichtet wurde. Das ist auch sinnvoll, weil es dort zuvor bereits einen Untersuchungsausschuss gegeben hat. Diese Kommission hat unter anderem den Auftrag, ein Amnestiegesetz zu erarbeiten. Da geht es um nachträgliche Straffreiheit für Verstöße gegen unsinnige Auflagen. Wir erinnern uns an den gefährlichen Aufenthalt auf Parkbänken oder die verbotene Zusammenkunft von mehr als fünf Personen im öffentlichen Raum. Einen so konkreten Auftrag hat die Enquete-Kommission im Bundestag nicht, obwohl es auch heute noch Prozesse wegen Auflagenverstößen gibt. Vor einem Jahr waren noch etwa 15.000 Verfahren anhängig – und das läuft weiter.
UZ: Einige Mitglieder der Enquete-Kommission wollen über Spahns Maskenaffäre sprechen, von anderen hört man bislang gar nichts. Welche Themen müssten deiner Meinung nach bearbeitet werden?
Andrej Hunko: Spahns Maskenaffäre ist natürlich skandalös, betrifft aber nicht den Kern der Corona-Aufarbeitung. Die Hauptfrage ist doch: Warum wurden rigide Maßnahmen bis hin zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht oder 2G (Zugangsbeschränkungen nur für Geimpfte und Genesene) eingeführt, obwohl es keine hinreichende wissenschaftliche Evidenz dafür gab? Wie ist es dazu gekommen, dass die Wissenschaft der Politik gefolgt ist? Wie konnte es passieren, dass die Politik der Wissenschaft Vorgaben gemacht hat, um sich danach hinter der Wissenschaft zu verstecken? Wie sind diese Krisenstäbe zustande gekommen und wer hat dabei welche Rolle gespielt? Das sind die entscheidenden Fragen.
UZ: Die Frage nach den Gremien ist interessant. Aktuell haben wir einen „Expertenrat“, der Klingbeil dabei hilft, das sogenannte „Sondervermögen“ auszugeben. Die Regierung gründet einen „Nationalen Sicherheitsrat“. Es drängt sich der Eindruck auf, dass man für die Kriegspolitik auf Modelle zurückgreift, die in der Corona-Zeit geschaffen und ausprobiert worden sind …
Andrej Hunko: Wann ist die Corona-Zeit eigentlich zu Ende gegangen? Nachdem alle Impfungen durch waren? Nein. Am 24. Februar 2022. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine gab es de facto keine Reisebeschränkungen mehr. Die geflohenen Ukrainer wurden ja nicht mehr an der Grenze kontrolliert. Man hat die Praxis von einem Tag auf den anderen fallen lassen und die Gesetzesgrundlagen dafür sind klammheimlich ausgelaufen. Wenige Wochen zuvor war ich in Tunesien. Es war fast unmöglich, dort hinzukommen. Man brauchte den Impfpass, einen aktuellen PCR-Test, es gab Kontrollen an den Flughäfen. Das war dann einfach weg. Die Corona-Zeit ist ersetzt worden durch die Kriegszeit – und viele Mechanismen wurden einfach übertragen.
UZ: Das Parlament überträgt Kompetenzen an die Exekutive, die ihr Handeln mit der sachkundigen Meinung von eigens dafür ausgegliederten Gremien begründet …
Andrej Hunko: Genau. Heute gibt es zum Beispiel die Figur des „Osteuropa-Experten“. Das sind die Leute, die uns täglich die Motive von Putin erklären und wissen, dass dahinter „Neo-Imperialismus“ steckt, während die Ukraine für Demokratie kämpft und so weiter. Anderen Leuten wird die Kompetenz abgesprochen, wenn es keine „Osteuropa-Forscher“ sind. Das ist ein Gebiet, das in den vergangenen Jahren systematisch aufgebaut wurde und in dem ein pseudowissenschaftlicher Expertenstatus eingerichtet wird. Da gibt es also gewisse Analogien zur Corona-Zeit – zumindest in der Tendenz.
UZ: Schauen wir einmal weg von den Höhen des Regierungshandelns, hin zur großen Mehrheit der Bevölkerung. Inwiefern wäre eine gesellschaftliche Aufarbeitung der Pandemiezeit notwendig?
Andrej Hunko: Sehr, sehr viele Akteure auf politischer und auch auf journalistischer Ebene sind sehr weit gegangen in ihren Kommentaren und mit ihrer Hetze gegen Kritiker. Was da angerichtet wurde, zieht sich bis in den privaten Bereich hinein. Ich kenne etliche Familien, die nicht mehr miteinander reden. Die eine Seite war „Team Lauterbach“ oder „Team Drosten“, die andere Seite hatte sich in das Team der Kritiker begeben. Es war eine Situation, in der sich sehr viele Menschen persönlich sehr stark positioniert haben. Um hier zu vermitteln, müssen natürlich dicke Bretter gebohrt werden.
Aber ich glaube, es bröckelt langsam. Auch in den Mainstream-Medien gibt es inzwischen ab und zu kritische Berichte – sogar in der ARD oder beim ZDF. Aber das geschieht nicht in dem Maße, in dem es eigentlich notwendig wäre. Die meisten, die damals eine andere Meinung hatten als heute, schweigen einfach. Mit den Änderungen an den Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) oder dem Pandemievertrag stehen wir aber vor politischen Entscheidungen, in denen die ganze Diskussion wieder hochkommen wird.
Die Pandemiepolitik war die größte Grundrechtseinschränkung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, begründet mit einer pandemischen Notlage. Im Nachgang hat sich – auch belegt durch die geleakten Protokolle des RKI-Krisenstabs – herausgestellt, dass etliche der damaligen Begründungen konstruiert worden waren. Das muss die Gesellschaft doch beschäftigen. Wenn auf diese Weise Grundrechte eingeschränkt werden können, leben wir vielleicht bald in einer anderen Republik.
UZ: Geht es dabei auch um den moralischen Ansatz, der das politische Handeln erschwert, weil die große Spaltlinie in der Gesellschaft zwischen „guten“ und „schlechten“ Menschen festgelegt wird?
Andrej Hunko: Ja, auch in der Debatte über den Ukraine-Krieg oder über die deutsche Unterstützung des Völkermords in Gaza sind ähnliche Mechanismen am Werk, die die Meinungsfreiheit einschränken. Im Diskurs geht es häufig nicht um den Austausch von Argumenten, sondern um die Versicherung, „ein guter Mensch“ zu sein – weil man die richtige Meinung hat. Das war in der Corona-Zeit ganz extrem.

Die große Frage, die sich für mich in dieser Zeit gestellt hat: Warum war ein Großteil der gesellschaftlichen Linken dafür so empfänglich? Es war ja nicht so, dass diese Spaltung eher von rechten Kräften vorangetrieben wurde. Die Speerspitze für die Forderung nach noch härteren Maßnahmen hatten die Grünen gebildet, aber auch Teile der Partei „Die Linke“ oder der SPD waren ganz vorne mit dabei gewesen. Das treibt mich weiterhin um. Denn wir hatten es ja mit einer Konstruktion zu tun, in der die Interessen der Pharma- und Gesundheitsindustrie eine große Rolle spielten: von der privaten Finanzierung der WHO über die Geheimverträge, die zwischen den Staaten und Pharmakonzernen geschlossen wurden. Der Einfluss der großen Pharmakonzerne auf die öffentliche Gesundheit: Das ist ein Themenfeld, das eigentlich klassisch von links kritisiert wurde. Und plötzlich durfte das nicht mehr thematisiert werden.
Sicherlich hat das etwas damit zu tun, dass sehr auf den Begriff der Solidarität gesetzt wurde, der eher in linken Kreisen verfängt. Und das ist übertragbar auf künftige Auseinandersetzungen. Heute muss man „solidarisch“ mit der Ukraine sein. Bald wird es vielleicht heißen, dass junge Menschen, die sich der Wehrpflicht verweigern, „egoistisch“ sind.
UZ: Solidarität war allerdings nur das Schlagwort nach innen. Zugleich wurden nach außen Kampagnen gefahren, zum Beispiel gegen die Impfstoffe aus China oder Kuba …
Andrej Hunko: Die ganze Impfstoffpolitik verlief entlang geopolitischer Blöcke. Bei uns waren nur Impfstoffe aus NATO-Ländern zugelassen. In Russland war nur Sputnik zugelassen. Ich war im Februar 2022 in Moskau und habe dort Gespräche geführt. Der stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Russischen Handelskammer erzählte mir, dass diejenigen, die über Weihnachten nach Deutschland gefahren waren, zweimal mit Biontech oder Moderna geimpft werden mussten – obwohl sie schon vorher zweimal mit Sputnik geimpft worden waren.
Sputnik wurde hier nicht anerkannt, obwohl es recht gute Werte hatte. Ich habe damals die Lieferung von Sputnik nach San Marino mitorganisiert. Weil San Marino kein EU-Mitglied ist, war man dort von den westlichen Impfstoffen abgeschnitten. Ich habe den Kontakt nach Russland hergestellt. Nach elf Tagen waren die Impfstoffe in ausreichender Menge da. Zwei italienische Universitäten wurden beauftragt, die Impfkampagne wissenschaftlich zu begleiten. Etwa ein halbes Jahr später habe ich mit dem Gesundheitsminister gesprochen und der sagte mir, dass die Werte hervorragend seien. Dennoch wurde der Impfstoff hier in den Medien diffamiert. Ähnlich lief es auch mit Sinovac aus China. Den gab es beispielsweise in der Türkei. Wer von dort in die EU einreisen wollte, musste sich auch noch zweimal impfen lassen.
UZ: Du hast vorhin gesagt, dass Beschlüsse auf uns zukommen, die die Auseinandersetzungen aus der Corona-Zeit wieder hochkochen werden. Kannst du kurz zusammenfassen, was du damit meinst?
Andrej Hunko: Konkret steht uns die Änderung der Internationalen Gesundheitsvorschriften bevor. Die Änderungen wurden im vergangenen Jahr in einer Nacht-und-Nebel-Abstimmung auf der internationalen Gesundheitsversammlung beschlossen. Der Beschluss ist inzwischen völkerrechtlich bindend, aber es gibt noch kein deutsches Gesetz dazu. Das Besondere an den Änderungen ist, dass innerhalb der WHO eine weitere Zentralisierung stattfindet. Der Generalsekretär kann ohne die Mitwirkung weiterer Gremien eine pandemische Notlage von internationaler Tragweite ausrufen. Neu sind auch Maßnahmen, die unter dem Label „Desinformation“ auf Einschränkungen der Meinungsfreiheit hinauslaufen. Dazu passend gibt es Verträge zwischen der WHO und den großen Tech-Konzernen. Zudem wird der Aufbau von nationalen Strukturen zur Vorbereitung auf die nächste Pandemie eingefordert. Dadurch gibt Deutschland seine Souveränität nicht auf, wie manchmal gesagt wird. Aber der Druck wächst, in der nächsten pandemischen Notlage ähnlich zu agieren wie zur Corona-Zeit.
Zusätzlich kommt ein neuer völkerrechtlicher Vertrag – der Pandemievertrag. Der ist zwar im Wesentlichen beschlossen worden, aber noch nicht in trockenen Tüchern, weil es Auseinandersetzungen um den Anhang gibt. In den strittigen Passagen geht es um die Verteilung von Gesundheitsprodukten und Impfstoffen zwischen dem globalen Süden und Norden.
Der nächste große Themenkomplex ist die „Gain-of-Function-Forschung“, also die Versuche, an Viren herumzuexperimentieren – möglicherweise bis hin zu der Möglichkeit, Viren als Biowaffe einsetzen zu können. Diese Forschung läuft weiter, auch in Deutschland. Das ist meiner Meinung nach eine tickende Zeitbombe.
Und dann gibt es noch das ganze Thema der mRNA-Technologie. Die Impfkampagne hierzulande war auch ein Versuch, dieser Technologie – an der schon seit Jahrzehnten geforscht wird – zum Durchbruch zu verhelfen. In diesem Sinne war es also ein riesiges Massenexperiment. Angesichts der extremen Untererfassung von Nebenwirkungen habe ich da jedoch große Fragezeichen. Meiner Meinung nach wäre neben der Anerkennung und unbürokratischen Hilfe für Betroffene ein Moratorium notwendig, solange der tatsächliche Umfang der Nebenwirkungen nicht aufgearbeitet ist.
UZ: Man bereitet sich vorgeblich auf die nächste Pandemie vor, unternimmt zugleich aber gar nichts für materielle Verbesserungen im Gesundheitswesen. Ein Widerspruch?
Andrej Hunko: Im Mittelpunkt der Pandemie-Politik steht die Frage: Wie lassen sich Menschen steuern? Wie kann man mit Angst oder gesellschaftlichem Druck Verhaltensökonomie organisieren? Auch die Frage, wie Menschen erzogen werden können, spielt eine große Rolle. Das beantwortet vielleicht auch die Frage, warum die Grünen zu den treibenden Kräften in der Corona-Zeit gehörten. Ich glaube, bei den Grünen ist die Erziehungsvorstellung am stärksten ausgeprägt, auch in anderen Bereichen wie der Verkehrspolitik oder beim Klimawandel. Es sollen andere Verhaltensweisen anerzogen werden, anstatt beispielsweise auf den Aufbau eines guten, attraktiven ÖPNV zu setzen, um Fortschritte bei der Verkehrswende zu erzielen.
Das Gespräch führte Vincent Cziesla