„Wenn ich deutschen Freunden erzähle, was mir widerfahren ist – die Leute glauben mir nicht, dass so was in Deutschland passiert.“ Seit mehr als zwei Stunden laufen 40 Teilnehmer eines Stadtteilspaziergangs durch den Duisburger Stadtteil Marxloh, als dieser Satz fällt. Sie haben viel über die rassistische Entmietungspolitik der Stadt Duisburg gehört, Erschreckendes und Absurdes.
Dennoch schockiert sie der Bericht einer Betroffenen, obwohl die ihre Wohnung noch nicht verloren hat. Sie lebe seit 35 Jahren in Deutschland, erzählt die Mutter mehrerer Kinder. Aus Angst um ihre Sicherheit möchte sie anonym bleiben. Sie arbeite, Sozialhilfe habe sie nie bezogen. Das ist der Frau wichtig. Weil das nicht passt zu den rassistischen Vorurteilen, mit denen mancher Duisburger Kommunalpolitiker versucht, die Stadtgesellschaft zu spalten. Sie wohnt in einem Wohnblock, der dem verrufenen Immobilienkonzern IPG I gehört.
Deren Geschäftsmodell hat ein Vorredner der Betroffenen dargestellt. Er engagiert sich in der Initiative Marxloher Nachbarn, die zu dem Stadtteilspaziergang am 10. Mai eingeladen hat. Auch er möchte anonym bleiben. Firmen wie IPG I kauften in Zwangsversteigerungen große Häuser auf, bezahlten dann nur die erste Rate und kassierten Miete, bis die Gebäude erneut zwangsversteigert würden.
Im September vergangenen Jahres bekam die Betroffene Post. Weil die Hausverwaltung, damals Ivere Property Management, Kosten für die Wasserversorgung bei ihren Mietern kassiert hatte, diese aber nicht an die Stadtwerke weiterleitete, drohte den Mietern Wassersperrung. Die Stadt Duisburg drohte gar mit Zwangsräumung. Die „Argumentation“ dafür: Wohnungen ohne fließendes Wasser seien nicht bewohnbar. Ivere Property Management gehört zu einem schwer zu durchschauenden Firmengeflecht um IPG I und deren Geschäftsführer. Handelsregistereinträge belegen das.
Die Hausverwaltung wechselte, doch bekam sie neulich wieder Post, erzählt die Betroffene. Der Vermieter habe wieder nicht bezahlt. „Ich kaufe nicht mehr viel ein, weil ich nicht weiß, ob ich morgen noch eine Wohnung habe“, berichtet die Betroffene. „So was habe ich noch nie erlebt. Das ist nicht menschlich. Das würde man woanders nicht machen.“
In Duisburg scheint das Normalität zu sein, im migrantisch geprägten Stadtteil Marxloh sowieso. Beispiele dafür zeigen Aktive der Initiative Marxloher Nachbarn immer wieder. Aus den zwei geplanten Stunden für den Stadtteilspaziergang werden drei, trotz gekürztem Programm.
Vor einem Haus, das Mitte Dezember vergangenen Jahres binnen Stunden zwangsgeräumt wurde, berichtet Shabnam Shariatpanahi vom Vorgehen der Stadt. Die Sozialarbeiterin engagiert sich in der Initiative Marxloher Nachbarn, sie war Augenzeugin der Räumung. Etwa 50 Menschen verloren dabei ihr Zuhause. Das massive Durchgreifen von Ordnungskräften habe die Bewohner verängstigt. Mitarbeiter des Ordnungsamtes weigerten sich, ihre Fragen zu beantworten, erinnert sich Shariatpanahi. Die betroffenen Familien seien „sehr freundlich“ zu ihnen gewesen, dennoch habe das Ordnungsamt die Polizei gerufen. Die hochschwangere und diabeteskranke Mutter einer zwölfköpfigen Familie habe in der Kälte gezittert.

Als Shariatpanahi nach Ersatz für den geräumten Wohnraum fragte, habe es geheißen, der sei nicht nötig, die gingen doch alle zu ihren Familien. Die Sozialarbeiterin begleitete Betroffene tags darauf zum Amt für Soziales und Wohnen der Stadt Duisburg. Wird Wohnraum unbewohnbar, sind Vermieter in Deutschland verpflichtet, Ersatz zu stellen. Unterlassen sie das, ist die Kommune in der Pflicht. „Die waren keine Hilfe“, schildert Shariatpanahi ihre Erfahrung. Die Mitarbeiter des Amtes hätten aggressiv und rassistisch reagiert. Der „Ersatz“: Eine heruntergekommene Notunterkunft für Geflüchtete, für 11 Euro pro Person und Nacht, 15 Kilometer entfernt von Schulen, von Arbeitsplätzen, vom Lebensmittelpunkt der Betroffenen. Der Verlust der Wohnung bedeutet auch den Verlust der Anschrift. Betroffene bekommen plötzlich kein Kindergeld mehr und können ihre Arbeitsplätze verlieren. Das Haus sei wegen nicht gewährleisteten Brandschutzes geräumt worden, berichtet Shariatpanahi. Sie zeigt auf einen Rolladen an einem Fenster neben sich, der zu etwa einem Viertel heruntergelassen ist. Ein Gutachter von TÜV Nord habe versperrte Fluchtwege bemängelt. Ob der Rolladen sich hochziehen lasse, damit der Fluchtweg durch das Fenster im Erdgeschoss wieder frei werde, habe er nicht getestet.
Der Stadtteilspaziergang stellt die rassistische Entmietungspolitik der Stadt Duisburg anschaulich dar. Aus den Berichten Betroffener geht hervor, warum die Stadt damit durchkommt: Viele von ihnen erfahren Rassismus in ihrem Alltag. Sie haben Ämter und staatliche Stellen nicht als helfende Instanzen wahrgenommen. Das Vorgehen der Stadt und ihrer „Task Force Problemimmobilien“ verstärkt ihre Angst vor Behörden. „Viele der Betroffenen sind so mit Überleben beschäftigt, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, dagegen zu klagen“, erzählt ein Aktiver der Initiative Marxloher Nachbarn im Gespräch mit UZ. Schlage man ihnen den Rechtsweg vor, hätten viele Angst, etwa ihre Kinder zu verlieren.
Hoffnung macht nur der gemeinsame Kampf. Auch das zeigt der Stadtteilspaziergang. Wer seine Rechte kenne und sich mit anderen Betroffenen vernetze, habe Chancen, gegen die Stadt zu gewinnen. Ein Slogan der Initiative: „Wir bleiben!“ Kinder aus betroffenen Häusern riefen den heute noch, wenn Mitglieder der Initiative Marxloher Nachbarn vorbeikämen, grinst ein Aktiver der Initiative.