Bemühungen um einen antifaschistisch-demokratischen Neubeginn im Winter 1945/46

Das Leben musste neu gestaltet werden

So froh die Menschen in Deutschland im Sommer 1945 waren, den Krieg überlebt zu haben, so unklar waren den meisten von ihnen die Zukunft und der Weg dorthin. Depression und Unsicherheit herrschten bei großen Teilen der Bevölkerung, tagtäglicher Überlebenskampf im zerstörten Land standen im Mittelpunkt. Aus diesem lähmenden Zustand auszubrechen und bewusst die Grundlagen für einen friedlichen Neubeginn zu gestalten – das war die Aufgabe im Winterhalbjahr 1945/46.

Die Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus und die Zerschlagung der faschistischen Truppen durch die sowjetische Rote Armee und ihre Verbündeten in der Antihitlerkoalition schufen Voraussetzungen für eine Wende in der deutschen Geschichte. Die entscheidende Schwächung der imperialistischen Kräfte schuf für das deutsche Volk die Möglichkeit, die Reaktion endgültig zu schlagen.

Als Aktivisten der ersten Stunde begannen Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Hitlergegner erste antifaschistisch-demokratische Maßnahmen zu verwirklichen. Aber der Kampf für eine antifaschistisch-demokratische Umwälzung wurde dadurch kompliziert, dass Deutschland von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung, die auch die oberste Staatsgewalt ausübten, besetzt worden war.

Trotz der ungleichen Bedingungen in den einzelnen Besatzungszonen verfolgte die KPD das Ziel, ganz Deutschland auf den Weg einer friedlichen und demokratischen Entwicklung zu führen. Die notwendige Auseinandersetzung mit der imperialistischen Reaktion wollte sie im offenen, demokratischen und reichsweiten Kampf austragen. Durch Vernichtung von Faschismus, Militarismus und Imperialismus in ganz Deutschland sollte die demokratische Einheit der Nation gesichert werden.

Einen weiteren Schwerpunkt bildete die Forderung nach einer demokratischen, nicht von den Inte­ressen der Monopole geprägten Wirtschaftsordnung, die nicht nur von den Kommunisten, sondern ebenso von Sozialdemokraten und selbst von Kräften in der CDU erhoben wurde. Seitens der SPD hatte Kurt Schumacher am 27. Oktober 1945 gefordert: „Auf der Tagesordnung steht heute als der entscheidende Punkt die Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung und die Überführung der Produktionsmittel aus der Hand der großen Besitzenden in gesellschaftliches Eigentum, die Lenkung der gesamten Wirtschaft nicht nach Profitinteressen, sondern nach den Grundsätzen volkswirtschaftlich notwendiger Planung.“ Die Voraussetzung für die Überwindung des Kapitalismus, die Aktionseinheit der Arbeiterklasse, wurde allerdings durch die Schumacher-SPD unter dem Patronat der westlichen Alliierten verhindert.

Im Osten Deutschlands fanden KPD und SPD zusammen. Die Aktionseinheit wurde zur Grundlage für die Mobilisierung breiter Kreise der Bevölkerung – für die Herstellung eines breiten Bündnisses der Arbeiterklasse mit der Bauernschaft, den Mittelschichten und Hitlergegnern.

Auf dieser Grundlage wurden im Herbst 1945 die demokratische Schulreform und die Erneuerung der deutschen Kultur eingeleitet. Ein tiefgreifender ideologischer Umerziehungsprozess wurde durchgesetzt, um das Bildungsmonopol der besitzenden Klassen zu brechen. Im Mittelpunkt der ideologischen Arbeit stand die Aufklärung des deutschen Volkes über die verhängnisvolle Rolle des deutschen Faschismus und Militarismus.

Auch in den westlichen Zonen entwickelte sich unter den Werktätigen die Bereitschaft, Faschismus und Militarismus zu entmachten, die Kriegsschuldigen zu bestrafen und den Weg einer friedlichen und demokratischen Entwicklung zu beschreiten. In Bremen, Frankfurt am Main, Hamburg, Karlsruhe, Nürnberg, im Ruhrgebiet und in Südbaden kam es zu Vereinbarungen zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten und zu gemeinsamen Aktionen.

Zwar hatten auch dort die Arbeiter gemeinsam mit allen Aufbauwilligen Hand angelegt, um das Leben zu normalisieren und zugleich demokratische Verhältnisse zu schaffen. Aber die Politik der westlichen Besatzungsmächte wirkte sich lähmend aus. Konzernherren und Junker saßen noch in ihren alten Sesseln. Die Besatzungspolitik stützte sich nicht auf die Antifaschisten, sondern auf sogenannte „Fachleute“. Und je mehr reaktionäre und antisowjetische Züge in der britischen und US-amerikanischen Politik wirksam wurden, desto mehr bekam auch die deutsche Reaktion Oberwasser.

Die britische Position – und hinsichtlich Frankreichs und der USA war es ähnlich – macht das deutlich. Im März 1946 legte Außenminister Ernest Bevin dem Kabinett eine Vorlage zur Deutschlandpolitik vor, in der mit Ziffer 47 festgelegt wurde, „die Einrichtung einer Zentralregierung mit Sitz in Berlin zu verzögern“. In Ziffer 59 wurde ein „nach Westen ausgerichtetes Deutschland“ als Ziel bezeichnet.

Der Winter 1945/46 war also in Deutschland durch eine bedeutende Zuspitzung des Klassenkampfs charakterisiert. Weitere Erfolge in der antifaschistisch-demokratischen Entwicklung sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands hingen jetzt in entscheidendem Maße davon ab, inwieweit es der organisierten Arbeiterklasse gelang, durch die Festigung ihrer Einheit ihre eigene Stärke zu erhöhen.

In dieser Situation kam der für den 20. und 21. Dezember 1945 einberufenen gemeinsamen Konferenz des ZK der KPD und des Zentralausschusses der SPD (60er-Konferenz) mit Vertretern aus ganz Deutschland eine sehr große Bedeutung zu. Die Konferenz fasste den Beschluss, die Aktionseinheit weiter zu vertiefen und die organisatorische Verschmelzung der KPD und der SPD zu einer einheitlichen Partei der sozialistischen Bewegung in ganz Deutschland vorzubereiten.

In dieser Beratung wurde Klarheit darüber erzielt, dass die Vereinigung von KPD und SPD auf dem Boden des Marxismus erfolgen müsse. Dies bedeutete, wie es in der Entschließung der Konferenz hieß, im Programm der Partei „im Minimum die Vollendung der demokratischen Erneuerung Deutschlands im Sinne des Aufbaus einer antifaschistisch-demokratischen, parlamentarischen Republik mit gesetzlich gesicherten weitgehenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechten der Arbeiter und Werktätigen“ festzulegen. „Im Maximum soll das Programm die Verwirklichung des Sozialismus auf dem Wege der Ausübung der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse im Sinne des konsequenten Marxismus sein, wie sie im ‚Kommunistischen Manifest‘, im Eisenacher Programm der deutschen Sozialdemokratie und in der Kritik von Marx und Engels zum Gothaer Programm festgelegt sind.“

Die 60er-Konferenz leitete die zweite Etappe im Kampf um die Schaffung der Einheit der Arbeiterbewegung ein.

Die Gegner der Einheit hatten aber nicht aufgegeben – Misstrauen gegenüber Kommunisten wurde geschürt, Die von ihnen betriebene Spaltung der SPD begründeten Schumacher und seine Anhänger damit, dass – solange ein einheitliches Reich nicht bestehe – auch die Einheit der Partei nicht gegeben sei. Die Einberufung eines Reichsparteitags der SPD lehnten sie mit der demagogischen These ab, man müsse erst die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands und die Aufhebung der Besatzungszonen durch die vier Mächte abwarten.

So zeichneten sich bereits im Winter 1945/46 sehr deutlich zwei Wege ab, die zu völlig gegensätzlichen Ergebnissen führen mussten.

Die Beseitigung der Grundlagen des Imperialismus und Militarismus entsprechend den Vereinbarungen der alliierten Mächte erforderte, dass die deutsche Arbeiterklasse den verhängnisvollen Einfluss der bürgerlichen Ideologie in ihren Reihen überwinden und ihre Einheit auf revolutionärer Grundlage herstellen konnte.

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"Das Leben musste neu gestaltet werden", UZ vom 19. Dezember 2025



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