Am Tag des Sieges, in Karl-Marx-Stadt: An Symbolen mangelt es nicht, wenn die Partei „Die Linke“ vom 9. bis zum 10. Mai ihren Chemnitzer Parteitag durchführt. Nach dem überraschenden Durchmarsch bei den Bundestagswahlen (8,8 Prozent der Stimmen, sechs Direktmandate) soll es ein Parteitag der (Wahl-)Sieger werden.
Dazu passt der eher nach innen gerichtete Leitantrag mit dem Titel „Wir sind die Hoffnung“. Folgt man dem Papier, soll „Die Linke“ zu einer „kraftvollen sozialistischen Mitgliederpartei für das 21. Jahrhundert“ weiterentwickelt werden. Die organisationspolitischen Ansätze zielen auf eine stärkere Präsenz der Partei vor Ort, auf Engagement in den Gewerkschaften und gesellschaftliche Verankerung. Von Haustüren ist die Rede und von Kampagnenfähigkeit. Fast schon nebenbei wird ein „Prozess der programmatischen Erneuerung“ verkündet, der bis zum Jahr 2027 abgeschlossen werden soll.
Was bei der Programmdebatte herumkommen wird, kann niemand so richtig vorhersagen. Immerhin hat „Die Linke“ nach eigenen Angaben in den vergangenen Monaten mehr als 50.000 neue Mitglieder aufgenommen. Rein zahlenmäßig sind die „Neuen“ eine Macht. Aber was sie denken, glauben, hoffen – Wer weiß das schon so genau?
Unter diesen Bedingungen bleibt die Parteiführung politisch lieber im Allgemeinen: ein bisschen Selbstlob, ein bisschen Nachtreten gegen die, die es in den vergangenen Jahren nicht hinbekommen haben. „Wir haben unsere Tonalität und unser Auftreten verändert: Wir waren nicht überheblich oder herabsetzend, sondern einladend und fordernd; nicht selbstbezogen und gereizt, sondern selbstsicher und humorvoll.“
Papier ist geduldig. Und dieses Papier macht den Eindruck, besonders geduldig zu sein. Klare Positionierungen beispielsweise zur Friedensfrage fehlen. Von der NATO ist im gesamten Dokument nicht einmal die Rede.
Bleibt es bei dieser Beschlusslage, kann die selbsternannte „Cheffriedenstaube“ Jan van Aken weiterhin davon sprechen, dass der „Aggressor (…) einzig und allein Russland“ heißt, wie er es vor wenigen Wochen im Interview mit der „taz“ tat. Und auch Wulf Gallert, Rechtsausleger des Parteivorstands, muss nicht nach dem Hauptfeind im eigenen Land suchen. In der vergangenen Woche stemmte sich Gallert gegen die Teilnahme von Vertretern Russlands bei Gedenkfeiern zur Befreiung in Deutschland. Eine Antwort erhielt er von der Kommunistischen Plattform (KPF) innerhalb der Linkspartei: „Das ist Geschichtsrevisionismus, wie es ihn in den vergangenen 80 Jahren hierzulande so noch nicht gegeben hat. Enkel und Urenkel der deutschen Mordbanden spielen sich als Moralapostel auf.“ Nicht die Vertreter Russlands, sondern Wulf Gallert gehöre „dort nicht hin“, hieß es in einer Erklärung.
Der Chemnitzer Parteitag könnte durchaus Hinweise geben, ob und wie die Klärung von drängenden strittigen Fragen gelingen kann. Dass sie früher oder später gelingen muss, steht außer Frage. Denn Gallert und van Aken sind keine Einzelfälle – das haben offenbar auch viele Delegierte erkannt. In einem Antrag fordern mehrere Delegierte die Ablehnung der in Deutschland fast überall angewendeten, wissenschaftlich nicht haltbaren Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Sie verbinden diese Forderung mit einer klaren Ablehnung der im Bundestag verabschiedeten „Antisemitismusresolution“, die vor allem auf Repressionen gegen die palästinasolidarische Bewegung abzielte. Die Linksfraktion im Bundestag hatte sich dazu enthalten.
Für Diskussionsstoff dürften auch mehrere Anträge sorgen, die eine klareren Antikriegskurs fordern und ausdrücklich die im Bundesrat erfolgte Zustimmung der „Linken“-Regierungsmitglieder in Mecklenburg-Vorpommern und Bremen zur Aufhebung der Schuldenbremse für Militärausgaben attackieren, bis hin zu Rücktrittsforderungen seitens der Linksjugend und des Studierendenverbandes SDS.
Wie diese und weitere Debatten ausgehen und welche Schlussfolgerungen für die Entwicklung der „Linken“ gezogen werden können, berichtet UZ auch dieses Mal live vom Ort des Geschehens – und natürlich in den kommenden Ausgaben.
Den UZ-Liveticker aus Chemnitz gibt es am 9. und 10. Mai hier.