Die Klang- und Formfülle der Gedichte Georg Herweghs begeistert bis in die Gegenwart

Dichtung, die politisch wirkt

Von Rüdiger Bernhardt

Georg Herwegh

Georg Herwegh

Georg Herweghs 200. Geburtstag am 31. Mai 2017 ist leicht zu würdigen; seine Gedichte sind durch ihre politische Klarheit und oft durch den schönen Ton schmerzlicher Entsagung, wie die „Strophen aus der Fremde („Ich möchte hingehn wie das Abendrot/Und wie der Tag in seinen letzten Gluten“) bekannt geblieben. Es gehörte zu den Eigenheiten des Dichters, dass er sehnsüchtige Entsagung nicht zuließ: „Du wirst nicht hingehn wie das Abendrot,/Du wirst nicht stille wie der Stern versinken.“ Trost war und ist aus seinen Versen nicht zu erwarten, seine Gedichte sind fordernd und kämpferisch. Viele sind liedhaft bekannt, einige von ihnen wurden zu Hymnen des proletarischen Kampfes: „Mann der Arbeit, aufgewacht!/und erkenne deine Macht!/Alle Räder stehen still,/Wenn dein starker Arm es will.“ („Bundeslied“)

Georg Herweghs zu gedenken ist aber auch schwer, weil Denunziatorisches im Umlauf ist, weil einige seiner Handlungen die Freunde zum Widerspruch reizten, weil der revolutionäre Dichter auch ein Wirrkopf war mit einem „Mangel an politischem Blick“ (Mehring). Bis heute schwankt das Bild des Menschen: Der Untertitel einer Herwegh-Biografie „Ein Heldenleben“ (von Ulrich Enzensberger) ist eine Ironisierung, ihr Inhalt noch vernichtender. Herwegh war ein Verbündeter der Arbeiter, er förderte mit seinen Gedichten die Revolution, ein Held war er nicht.

In einer widersprüchlichen Situation ist es sinnvoll sich zu entscheiden, wie es auch Karl Marx in diesem Fall tat: Herweghs Lebensweise stieß Freunde ab, Heine kritisierte ihn und auch Marx hatte keine Freude daran, aber ihm kam es auf die Dichtung, nicht auf die Lebensweise an. Marx behielt Recht, wenn auch die gegensätzliche Bewertung Herweghs zur Trennung zwischen ihm und Arnold Ruge führte: Gewirkt haben auf Dauer das Werk, seine Gedichte und die darin erkennbaren Überzeugungen des Mannes, nicht seine Fehlentscheidungen, seine spontanen Aktionen, seine Eitelkeiten. Mit dem Widerspruch, dass es Diskrepanzen zwischen Herweghs Dichtung und Herweghs Leben gibt, muss man und kann man leben. Erinnern wir uns eines poetischen Werkes, das Lieder, Sonette, Xenien und andere Formen, neben politischen Gedichten auch Liebes- und Naturgedichte, Gedichte über Dichter und Trauergedichte bietet.

Als die „Gedichte eines Lebendigen“ 1841 erschienen – bereits der Titel ein Gegensatz zu den „Briefen eines Verstorbenen“ des Aristokraten Fürst Hermann von Pückler-Muskau –, wurde das zur Sensation, den Autor kannte man nicht: Die Gedichte erschienen anonym; ihr Erfolg war beispiellos in der Publikationsgeschichte. 1843 erschien bereits die 7. Auflage. Herwegh war allerdings nicht der erste politische Dichter Deutschlands – so Ulrich Enzensberger: Die „Lieder eines Lebendigen“ gehörten zu den zahlreichen Gedichten, wie sie seit der Julirevolution 1830 und dem Polenaufstand von Nikolaus Lenau, Julius Mosen, Anastasius Grün und anderen entstanden waren. Sie alle waren nicht Ausdruck eines Individuums, sondern entsprachen der politischen Meinung vieler Menschen. Herwegh sah in der Literatur eine politische Macht, die von Gleichgesinnten, aber auch von Gegnern wie Metternich ernst genommen wurde. Er billigte der Dichtung im Gegensatz zu anderen eine politisch gestaltende Kraft zu. Das machte eine Besonderheit seiner Dichtung aus; inzwischen haben gesellschaftliche Systeme wie zum Beispiel die DDR ihre Literatur ähnlich gesehen und sie hochgeschätzt. Sie war ihnen Seismograph der gesellschaftlichen Entwicklung.

Eines der bekanntesten Gedichte Herweghs ist „Die Partei“ (1842). Die Schlussverse sind eindrucksvolle Verse deutscher Sprache: „O wählt ein Banner, und ich bin zufrieden,/Ob’s auch ein andres, denn das meine sei;/Ich hab gewählt, ich habe mich entschieden,/Und meinen Lorbeer flechte die Partei!“ Das Gedicht ist oft fehlinterpretiert worden. Es geht um keine Partei, auch nicht um die der Arbeiterklasse. Die gab es noch nicht. Vorläufer waren nicht in Sicht; der Bund der Kommunisten entstand 1847 in London und der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADVA) wurde 1863 gegründet. Auch dichtete Herwegh nicht von einer Partei, für die man sich entscheiden müsse, sondern von „Partei! Partei! Wer wollte sie nicht nehmen“. Es ging um die politische Wirksamkeit von Gedichten, um Verantwortung, die der Dichter übernehmen soll. Sein Gedicht richtete sich deutlich „An Ferdinand Freiligrath“, sein Plädoyer für Parteinehmen gegen Freiligraths These „Der Dichter steht auf einer höhern Warte/Als auf den Zinnen der Partei“. Herwegh sah die Dichter als „Könige der Hütte“ („An die deutschen Dichter“), durchaus ähnlich Georg Büchners „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ Herweghs „Bundeslied“ wurde die Hymne des ADAV von 1863.

An Georg Herwegh

Herwegh, du eiserne Lerche,

Mit klirrendem Jubel steigst du empor

Zum heilgen Sonnenlichte!

Ward wirklich der Winter zunichte?

Steht wirklich Deutschland im Frühlingsflor?

Herwegh, du eiserne Lerche,

Weil du so himmelhoch dich schwingst,

Hast du die Erde aus dem Gesichte

Verloren – Nur in deinem Gedichte

Lebt jener Lenz den du besingst.

Heinrich Heine

1842 wurde zu seinem Schicksalsjahr: Herwegh, „der Matador des Jahres 1842“ (Karl Gutzkow), hatte eine Zeitschrift in der Schweiz übernommen, reiste nach Frankreich, lernte Heine kennen – der Herwegh als „eiserne Lerche“ besang –, und fuhr dann durch Deutschland. In Köln hatte er mit Karl Marx Freundschaft geschlossen, in Jena Robert Prutz gesprochen, in Dresden war er mit Bakunin, Arnold Ruge und Julius Mosen zusammengetroffen und dann mit Ruge nach Berlin gereist, wo er seine spätere Frau kennenlernte. Manche trafen im Dichter den Kommunisten wie Julius Mosen, der am 30. Oktober 1842 an Adolf Stahr schrieb: Herwegh „leidet schwer an der Zerrissenheit dieser Zeit, aus welcher er einen Weg durch die Politik sucht auf der äußersten Linken … Er war in Paris, wo er sich viel mit dem Kommunismus beschäftigt hat.“ In Berlin trat Herwegh öffentlich gegen die sogenannten „Freien“ auf, Linkshegelianer im Umkreis von Bruno Bauer; in großer Klarheit wies Herwegh auf ihre politische Romantik hin, die das politische Konzept von Karl Marx, propagiert in der „Rheinischen Zeitung“, in Frage stellten. Aber er wurde auch vom König empfangen und fühlte sich geschmeichelt, nicht bedenkend, was für einen Eindruck das abgeben würde. Es hat sein Bild getrübt. Sein gescheiterter abenteuerlicher Freischärlerzug der Deutschen demokratischen Legion 1848, von der Marx und Engels entschieden abrieten, trübte das Bild noch weiter ein.

Herwegh schrieb nicht nur Gedichte, sondern war auch ein kongenialer Übersetzer Lamartines, Mitarbeiter an politischen Zeitschriften wie den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“. Seine essayistischen Schriften zur Literatur sind in Gefahr vergessen zu werden. Aber die Klang- und Formfülle der Gedichte Herweghs begeistert bis in die Gegenwart. Doch manches wirkt heute martialisch („Das Lied vom Hasse“), wirkt wie übersteigerte Dichtung der Befreiungskriege, erinnert an Theodor Körner, E. M. Arndt und Max von Schenkendorf, nationalistische Töne klingen mit: „Zur Seite blitzt uns das Gewehr,/Der Tod aus unserer Hand,/Wir reiten hin, wir reiten her,/Wir reiten ums Vaterland.“ („Husarenlied“). Das sagt wenig gegen Herweghs Anliegen und seine revolutionäre Haltung, wohl aber etwas über den Verschleiß an Wortmaterial.

1890, nach dem Fall des Sozialistengesetzes, befand sich der deutsche Naturalismus auf dem Höhepunkt – mit Gerhart Hauptmanns sozialem Schauspiel „Vor Sonnenaufgang“ (1889). Aber seine politische Funktion war zwischen Sozialdemokratie und den „Jungen“, einer oppositionellen Gruppe der Partei mit Bruno Wille und anderen Naturalisten, umstritten; Georg Herwegh wurde von Franz Mehring und Wilhelm Liebknecht wie zuvor schon von Arno Holz zu den Ahnherren einer sozialen Lyrik gerechnet, die in der entstehenden sozialistischen Literatur mit Leopold Jacoby, Rudolf Lavant und anderen eine eigene Tradition der politischen Lyrik gründe. Julius Hart, der Vertreter eines unpolitischen Naturalismus, disqualifizierte Herweghs Gedichte dagegen: Sie seien wie eine glänzende Rakete, „um rasch in der Luft zu verpuffen und als armseliger, toter Aschenrest auf die Erde zurückzukommen“. Aus einer literarischen Epoche entstanden zwei gegensätzliche Rezeptionen. Die Zukunft? Herweghs Freund Dingelstedt schrieb: „Herwegh hat eine Zukunft, wenn Deutschland eine Revolution erlebt, sonst nicht.“

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Über den Autor

Rüdiger Bernhardt (Jahrgang 1940). Nach dem Studium der Germanistik, Kunstgeschichte, Skandinavistik und Theaterwissenschaft (Prof. Dr. sc. phil.) tätig an Universitäten des In- und Auslandes und in Kulturbereichen, so als Vorsitzender der ZAG schreibender Arbeiter in der DDR, als Vorsitzender der Gerhart-Hauptmann-Stiftung (1994-2008) und in Vorständen literarischer Gesellschaften. Verfasser von mehr als 100 Büchern, Mitglied der Leibniz-Sozietät, Vogtländischer Literaturpreis 2018.

Er schreibt für die UZ und die Marxistischen Blätter Literaturkritiken, Essays und Feuilletons zur Literatur.

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"Dichtung, die politisch wirkt", UZ vom 26. Mai 2017



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