DKP-Vorsitzender Patrik Köbele im Interview mit Prawda, Zeitung der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF)

Die deutsche Großbourgeoisie ist die am besten geschulte in der Niederhaltung von Revolutionen

Kapitalismus macht alles zur Ware: Was tun? Warum ist die Bundesrepublik Deutschland eine Hochburg des Antikommunismus? Ist Lenin aktuell? Wussten Sie, dass deutsche Kommunisten vom Verfassungsschutz bespitzelt werden? Mehr dazu im Interview mit dem Vorsitzenden der Deutschen Kommunistischen Partei Patrik Köbele.

Prawda: Warum würdest du heute raten, der DKP beizutreten? Warum ist die Deutsche Kommunistische Partei strukturell als Parteiorganisation nicht überholt?

Patrik Köbele: Der Kapitalismus als profitorientiertes System kann nicht die Zukunft der Menschheit sein: Es ist ein System, das zwingend auf der Konkurrenz basiert und das nicht in der Lage ist, einen planmäßigen Umgang mit der Zukunft der Menschheit und der Zukunft der natürlichen Lebensgrundlagen sicherzustellen. Die einzigen, die für einen konsequenten Bruch mit diesem System stehen, sind Kommunisten. Wenn man zur Überzeugung gelangt, dass mit diesem Profitsystem gebrochen werden muss, und die Verhältnisse schreien danach, so kommt man an der kommunistischen Partei nicht vorbei. Von diesem Standpunkt aus ist sie hochmodern. In Zeiten, in welchen streikende Krankenschwestern von der Polizei verprügelt werden, wie jüngst in Paris es der Fall war, bietet unsere Partei hochmoderne Antworten.

Die Organisationsform als Partei hängt bei uns mit der Frage des Klassenkampfes zusammen: Formal leben wir in einer bürgerlichen Demokratie, tatsächlich aber in einer Klassengesellschaft, in der die Kapitalistenklasse herrscht. Diese hat ihre Herrschaftsinstrumente dermaßen verfeinert, und dazu zählen unter anderem sowohl staatliche Repressionsorgane als auch Medien, sodass ihr allein eine hochorganisierte Kraft Widerstand leisten kann. Daher bedarf es unserer Partei, wobei wir als kommunistische Partei zugleich eine Antipartei sind. Wir sind keine Partei im bürgerlich-parlamentarischen Sinn, sondern wir sind eine Kampforganisation. Und das bedeutet viel mehr als eine politische Bewegung, die sich temporär zu Einzelfragen zusammenfindet.

Prawda: Seit 2013 bist du Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei. Was hat sich an der Ausrichtung der DKP unter deinem Vorsitz geändert? Was ist die aktuelle Strategie?

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Patrik Köbele: Als ich Vorsitzender der DKP wurde, bestand die Gefahr, dass unsere Partei sich von ihrer kommunistischen Identität entfernt. Es gab immer stärkere Tendenzen, sich der linkssozialdemokratischen Partei Die Linke oder der Europäischen Linkspartei anzunähern, und damit einen Bruch und eine Öffnung dem Reformismus gegenüber zu erzwingen. Ich stand dafür, dass die Mehrheit an der Basis der DKP das nicht wollte. Woran wir im Moment arbeiten, ist eine Strategieentwicklung, um gegen die politischen Verhältnisse von heute zu agieren: gegen ein monopolistisch-imperialistisches Deutschland und gegen eine Weltlage, die von imperialistischen Großmächten wie den USA und der BRD, die zur Führungsmacht innerhalb der Europäischen Union avanciert ist, dominiert wird.

Prawda: Warum ist Kommunismus in Deutschland im großen medialen Kontext der bürgerlichen Medien ein Unwort? Seit 30 Jahren gibt es keine politische Gefahr mehr, die von realsozialistischen Staaten ausginge? Wie kann es sein, dass Journalisten, die die Ost-West-Teilung nicht mehr bewusst erlebten, antikommunistisch-hysterisch sind?

Patrik Köbele: Der Antikommunismus hat eine lange historische Kontinuität in Deutschland: Seine Wurzeln kann man schon im beginnenden 19. Jahrhundert in den Karlsbader Beschlüssen sehen, und die haben sich natürlich erst recht zugespitzt, als die Kommunisten mit dem Manifest der kommunistischen Partei 1848 ihre Geburtsurkunde von Marx und Engels erhielten. Schon dort schrieben Marx und Engels: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Czar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten“. Bereits damals wurde Kommunismus verteufelt, und diese Verteufelung hat sich über die Sozialistengesetze, über die Ermordung von Karl und Rosa, danach über den deutschen Faschismus, nach welchem es entgegen der breitvertretenen Meinung auch keine „Stunde Null“ gab, nur fortgesetzt. Bereits 1951, sechs Jahre nach Kriegsende, gab es erste Repressionen gegen Kommunisten in Westdeutschland, und 1956 wurde die Kommunistische Partei Deutschlands in der BRD verboten. Dieses Verbot gilt bis heute. 1968 konstituierte sich die Deutsche Kommunistische Partei als neue Organisation, weiterhin unter den Bedingungen des KPD-Verbots. In meinen DKP-Jugendjahren sagte man zu uns, als wir auf der Straße standen: „Geh doch nach drüben!“: Man wollte uns in die DDR schicken und man nahm uns das Recht des politischen Daseins in unserer Heimat.

Prawda: Womit man euch aus der westdeutschen Gesellschaft ausschloss?

Patrik Köbele: Das hat sich nach 1989 fortgesetzt: 1991 verkündete der damalige Bundesjustizminister Kinkel, die zentrale Aufgabe sei die Delegitimierung der DDR und des Sozialismus, weil man, nachdem es gelungen war, den Sozialismus auf deutschem Boden zu beseitigen, es deutlich machen wollte, dass jeder, der über den Kapitalismus hinausdenkt, ein Verbrecher ist. Bis heute gelten Berufsverbote und Strafrenten für Menschen, die in der DDR den Sozialismus mitaufgebaut haben. Die DKP wird heute noch vom Verfassungsschutz überwacht: Mein Name steht jährlich im Bundesverfassungsschutzbericht als Verfassungsfeind, das ist auch Teil dieser historischen antikommunistischen Kontinuität. Außerdem ist Deutschland, und das unterscheidet es zum Beispiel von Frankreich, das Land der verlorenen Revolutionen – die bürgerliche Revolution von 1848/1849 und die Novemberrevolution von 1918 wurden niedergeschlagen, und die Befreiung vom Faschismus erfolgte nicht durch das deutsche Volk selber, sondern sie musste bewaffnet von den Alliierten hereingetragen werden. Insofern ist es gerechtfertigt zu sagen, dass die herrschende Klasse in Deutschland die am besten geschulte in der Niederhaltung revolutionärer Bestrebungen ist. Und der Antikommunismus der herrschenden Klasse ist ein wichtiger logischer Zusammenhang in der Taktik der Kontrolle.

Prawda: Kann es sein, dass der Zerfall der UdSSR auch darauf zurückzuführen ist, dass es in den realsozialistischen Staaten rückwärtsgewandte kleinbürgerliche Elemente gab, die sich in der sozialistischen Gesellschaft breitmachten und die zu einem gewissen Zeitpunkt bestimmend wurden. Sodass die alte Partei- und Staatsführung ihnen einfach nicht mehr standhalten konnte?

Patrik Köbele: Du kannst den Sozialismus nicht aufbauen, indem du Geschichte negierst. Was für die DDR ein riesiges Problem war, ist der Umstand, dass auf der materiellen Ebene Bürger der Deutschen Demokratischen Republik sich nicht mit dem Durchschnitt des Kapitalismus weltweit verglichen, also nicht mit Portugal, Mexiko oder afrikanischen Ländern, an deren Beispiel man sehen kann, dass Menschen im Kapitalismus leiden und auch verhungern. Sie verglichen ihr Leben mit dem Schaufenster BRD… Andersrum ist es für die Arbeiterklasse der BRD fortdauernd ein Problem, weil damals, um als Schaufenster gegenüber der DDR dienen zu können, Zugeständnisse an die Arbeiterklasse hier in diesem Land gemacht wurden. Diese Zeiten sind jedoch vorbei. Ich bin überzeugt: Agenda 2010 hätte es mit einer existierenden DDR nicht gegeben. Sobald es die DDR nicht mehr gab, ging es 1990 in der BRD sofort mit einer politisch-wirtschaftlichen Umwälzung los: Der Abwicklung des Asylrechts, Angriffskriegen gegen Jugoslawien, den Agenda-Gesetzen. Das traf die Arbeiterklasse in Deutschland, die einen integrativen Stil des Umgangs mit der herrschenden Klasse gewohnt war, unvorbereitet.

Prawda: An wenigen Beispielen hast du aufgeführt, dass soziale und politische Rechte in der BRD nach 1989 abgewickelt wurden. Du hast selbst erwähnt, dass du in deren Bericht namentlich stehst. Fühlst du dich als Kommunist in der Bundesrepublik heute bedroht?

Patrik Köbele: Die KPD, die mit anderen Parteien an der Quelle des westdeutschen Grundgesetzes stand, wurde 1956 verboten. Dieses Verbortsurteil hängt weiterhin über uns wie ein Damoklesschwert. Es ist nicht aufgehoben. Und nach diesem Verbotsurteil darfst du zum Beispiel nicht eine Partei auf marxistisch-leninistischer Grundlage nach dem Prinzip des demokratischen Zentralismus aufbauen. Als ich zu meinem sechzehnten Geburtstag in die Deutsche Kommunistische Partei eingetreten bin, akzeptierte es meine Familie zum Beispiel, lebte jedoch im Widerspruch zu meinem Parteibuch: Sie hatten Angst um meine Zukunft, da Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland damals halblegalen Existenzen durch Berufsverbote ausgesetzt waren.

Was die konkrete Bedrohungssituation angeht: Es gibt immer wieder Todeslisten von Faschisten, auf denen auch wir auftauchen. Zur staatlichen Repression: Ich weiß, dass wir beobachtet werden – du kannst sehr sicher sein, dass unser heutiges Telefonat vom Verfassungsschutz abgehört wird. Wir wissen auch, dass unser Büro, das Haus des Parteivorstandes beschirmt wird. Das können wir auch beweisen. Ich persönlich fühle mich heute körperlich nicht bedroht, was aber dem Umstand, dass wir klein sind, geschuldet ist. Die herrschende Klasse hat es derzeit nicht nötig, uns körperlich anzugreifen. Zugleich ist mir klar, dass es sich ändern wird sobald andere Zeiten kommen. Einer unserer Genossen in der Tradition der KPD der Weimarer Republik pflegte zu sagen, Kommunisten seien Tote auf Urlaub. So fühle ich mich heute nicht, glücklicherweise. Aber ich traue der herrschenden Klasse unter anderen historischen Bedingungen alles zu – wenn sie es für notwendig erachten, werden sie notfalls auch zu Terror, Gewalt und Faschismus greifen.

Prawda: Lass uns zwölf Jahre zurückspulen. 2008, als noch keine neue Nazi-Partei in allen deutschen Parlamenten saß, als Politiker wie Gauland und Höcke noch nicht mit offen faschistischen Sprüchen vor laufende Kameras gingen, als die herrschende Klasse beim Wort Skinhead die Nase rümpfte und das Label „Deutschland“ an allen Ecken und Enden der Welt als den reuigen Musterschüler der Geschichte vermarkten wollte, um die hausbackene Exportwirtschaft zu pushen, schrien die Medien, sobald das Wort Kommunismus irgendwo fiel, dennoch hysterisch auf. Damals wurde die Kommunistin Christel Wegner über die Liste der Linken in den niedersächsischen Landtag gewählt. Zum ersten Mal in 40 Jahren seit Bestehen der DKP schaffte es eine Kommunistin in ein deutsches Parlament auf Landesebene. Kurz darauf kam es zur Hexenjagd – eine Journalistin der Sendung Panorama vom Norddeutschen Rundfunk führte ein Interview mit Christel Wegner, dessen Mitschnitt Frau Wegner bis heute nicht ausgehändigt wurde. Die Journalistin riss einzelne Worte aus dem Kontext und dichtete zusammen, Frau Wegner wolle die Mauer und die Stasi zurück. Woher dieser absurde mediale Hass auf eine Krankenschwester, die ein Landtagsmandat in Niedersachsen erhalten hat? Als wäre sie die Revolutionsgefahr per se und als könne sie mit ihrem Mandat den deutschen Staat ins Wanken bringen?

Patrik Köbele: Es war eine besondere Situation, da damals in der Partei Die Linke manche Entwicklungswege noch offener waren als sie es heute sind. Vermutlich befürchtete man, dass der Einfluss von Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei Die Linke zunehmen könne, und es gar zu einer Revolutionierung der Linken kommen könne, was aus meiner Sicht auch damals Quatsch war.

In anderen Ländern kann die herrschende Klasse auch anders damit umgehen, wenn Kommunistinnen und Kommunisten im Parlament vertreten sind. Hierzulande ist man hysterisch, was etwas mit der Tradition zu tun hat, aber auch damit, dass es einen Teil der Medien gibt, die ihre Rolle darin sehen, die antikommunistische Hetze fortzusetzen. Ich glaube noch nicht einmal daran, dass es von den einzelnen Journalisten bewusst so gedacht wie niedergeschrieben ist, aber auch sie sind in der Tradition, dass Kommunisten das Schlimmste, was es gibt ist, aufgewachsen. Und wenn du so aufwächst und nichts anderes mitkriegst, und in der deutschen Geschichte ist es bis auf ein kleines historisches Zeitfenster nicht anders gewesen, so weißt du auch, was man von dir als Berichterstattung erwartet.

Prawda: Was hat euch an der damaligen Situation mit Christel Wegner eigentlich mehr enttäuscht – die Provokation der Presse oder die Reaktion der Linkspartei?

Patrik Köbele: Die Reaktion der Linkspartei. Die Provokation war absehbar, da hat man Christel damals auch bestimmt vorgeführt. Ich habe so etwas auch schon erlebt: Man ist drauf eingestellt, da man die Rolle der bürgerlichen Medien nur zu gut kennt. Man hatte damals mehr Hoffnungen auf einen solidarischen Umgang seitens der Linkspartei. Die Linkspartei hat sich im Wesentlichen aber als Systemspieler arrangiert: Sie weiß, dass wenn sie zu sehr in Verbindung mit Kommunisten gebracht wird, ihr es medial um die Ohren gehauen wird.

Prawda: Wäre es richtig, anhand des Beispiels von Christel Wegner zu konkludieren, dass in der BRD eine Taktik der Ausgrenzung durch Verleumdung und politischen Mord an der Tagesordnung steht? Bezogen nicht nur auf Personen sondern auch auf Organisationen? Eine Taktik des Todschweigens der wirklichen Gegner? Während den vermeintlichen Gegnern, den von der herrschenden Klasse eigens hochgezogenen, wie zum Beispiel den neuen Nazis aus der AfD, das mediale Feld frei überlassen wird?

Patrik Köbele: Ja, das ist die heutige Taktik im Wesentlichen. Manchmal variiert sie. In meiner Zeit als Stadtabgeordneter der Stadt Essen hatte ich Kontakt zu Journalisten, zu denen ich ein vernünftiges Verhältnis entwickeln konnte, die in ihrer Berichterstattung objektiv blieben. Es gibt auch kleine linke und linksradikale Medien: Unsere eigene Zeitung, „Unsere Zeit“ oder die „junge Welt“… Bei großen Medien herrscht Totschweigen. Wenn wir es schaffen, dann nur mit einem Skandal, und das ist dementsprechend selten. Was mich in diesem Zusammenhang sehr ärgert ist, am Beispiel dieser sogenannten AfD, wie eine rassistische und nationalistische Partei von den Medien hochgeschaukelt wird. Es gibt im Massenbewusstsein leider Ansatzpunkte für diese Partei, das lässt sich nicht ausblenden, aber die Tribünen, die sie geboten bekommen hat, und zwar von Anfang an, würden uns als Partei nie zur Verfügung stehen.

Prawda: Spätestens seit der Flüchtlingskrise 2015 ist die AfD zum Medienstar in der Berichterstattung der Bildzeitung geworden… Aber nicht jede Partei, und vor allem keine Linke hat Gründer mit dem Kapital und dem politischen Einfluss wie dem der Familie von Finck oder Olaf Henkel im Hintergrund…

Patrik Köbele: Wir haben auch keine Sponsoren, die Werbekampagnen in ähnlicher Größe finanzieren könnten…

Prawda: Die 1956 verbotene KPD, mit der die DKP von der politischen Tradition her verwandt ist, bleibt nach wie vor verboten. Gibt es im deutschen bürgerlichen Spektrum nennenswerte politische Kräfte, die sich, an demokratischen Grundwerten orientierend, gegen dieses historische Unrecht wehren und für die Aufhebung des Verbots der KPD einsetzen? Es geht ja auch um Kommunistinnen und Kommunisten, die, nachdem sie die KZs der Nazis einmal überlebt haben, 1956 in BRD-Knästen erneut landeten?

Patrik Köbele: Die gibt es, aber schwächer denn je… Ende der 60-er und in den 1970-er Jahren gab es verstärkt Bestrebungen dieses Unrecht aufzuarbeiten, es war eine starke Tendenz auch im linksliberalen Bürgertum, die sagte, das KPD-Verbot muss weg. Später erneut um 1989/1990 herum, weil im KPD-Verbot stand, dass im Falle einer Wiedervereinigung Deutschlands dieses Urteil hinfällig wäre. Das war auch einer der Hauptgründe, warum es juristisch keine Vereinigung der BRD und der DDR, sondern lediglich einen Beitritt der DDR zur BRD gab. Sonst würde es zu einem Problem mit der Legitimierung des KPD-Verbotsurteils führen. Heute gibt es kaum nennenswerte Äußerungen in diese Richtung, außer von uns selbst. Der Masse der Menschen ist es auch nicht mehr bewusst, dass 1956 bis 1968 in der Bundesrepublik Deutschland die kommunistische Partei verboten war, was in dieser Zeit nur in faschistischen Ländern wie Spanien der Fall war. Und sie werden auch nicht wissen, dass es drei Jahre nach Gründung der DKP, 1971, unter dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Willi Brandt bereits wieder Berufsverbote gegen Kommunistinnen und Kommunisten gab: Das alles wurde aus dem historischen Gedächtnis Deutschlands ausradiert…

Prawda: Die Deutsche Demokratische Republik, deren Ende 30 Jahre zurückliegt, erscheint vor allem in Frankreich als ein der BRD politisch und gesellschaftlich zumindest gleichwertiger Staat. Die Deutsche Demokratische Republik wird hier selten und nur in reaktionären Kreisen dämonisiert. Mehr noch, Franzosen, die über ein ähnliches Kindergarten- und Bildungssystem wie die DDR verfügen, die Emanzipation als einen der Grundwerte der französischen Republik hochhalten, können teilweise mehr Sympathien für die Deutsche Demokratische Republik empfinden als für die BRD… Die DKP verteidigt das humanistische Erbe der DDR, worin besteht für dich das humanistische Erbe der Deutschen Demokratischen Republik? Warum ist es wichtig, die DDR nicht abzutun und nicht zu vergessen, und was war in der Deutschen Demokratischen Republik besser als in der BRD?

Patrik Köbele: Das humanistische Erbe ist sehr vielfältig. Die Deutsche Demokratische Republik war der erste Staat auf deutschem Boden, der nie in einen Angriffskrieg verwickelt war. Und die DDR hat meines Erachtens in der Zeit ihrer Existenz erzwungen, dass auch die BRD, was allerdings mit dem Angriff auf Jugoslawien endete, keinen Krieg führte. Im Grundgesetz war damals verankert, dass die BRD auf Kriege verzichtet. Mit dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik war das zu Ende. Gleichzeitig war in der DDR zum Beispiel die Hochkultur von der Unterhaltungskultur nicht so wie es bisher in der bürgerlichen Gesellschaft üblich war, getrennt. Die sogenannte Hochkultur – Museen, Konzerte, Theater – waren Bestandsteil des Alltags der DDR-Bürger. Die DDR war städtebaulich weiter: Sozialeinrichtungen, Jugendclubs wurden beim Städtebau mit eingeplant. Im Kapitalismus verzichtet man auf diesen sozialen Klimbim, da er keinen Profit bringt. Die DDR war in Fragen Literatur wesentlich weiter. Als ich als junger Mensch in die DDR kam, war die erste Schlange, die ich vor einem Geschäft gesehen habe, vor einer Buchhandlung… Und zwar deswegen, weil man diese Buchhandlung nur betreten konnte, wenn man einen Einkaufskorb hatte – und die waren alle belegt…

Prawda: Kulturschaffenden in der DDR wurden alle erdenklichen Privilegien zugestanden, sogar eine eigene politische Fraktion, die Kulturbund-Fraktion. Berthold Brecht, Anna Seghers, Hanns Eisler und viele andere sind nicht umsonst nach Kriegsende in die DDR, die das bessere Deutschland versinnbildlichte, und nicht in die BRD zurückgekehrt. Wie kam es dazu, dass manche Intellektuelle die Deutsche Demokratische Republik so verteufelten und noch heute so verteufeln? Bis auf Einzelausnahmen wie die kommunistischen Schriftsteller der BRD Gisela Elsner und Ronald M. Schernikau, die stets haarscharf und ehrlich-kritisch waren?

Patrik Köbele: Man muss Intellektuelle als eine immer hin- und hergerissene soziologische Schicht betrachten. In meiner Jugend war es so, dass Intellektuelle eher links standen. Mit der geistig-moralischen Wende des neuen Kanzlers Kohl, begann sich das 1982 zu ändern. Wir hatten das unterschätzt, wir hatten diese Politfloskel belächelt. Tatsächlich ist aber der herrschenden Klasse diese Umorientierung von Intellektuellen gelungen, die in den Schoß der herrschenden Klasse zurückgekrochen sind. Heute sind Intellektuelle zum Minnesänger der herrschenden Klasse degradiert. Ich glaube auch, dass sie in den meisten Phasen als Schicht, zumindest in Deutschland, als Minnesänger der herrschenden Klasse agieren werden. Was wiederum nicht heißt, dass einzelne Intellektuelle damit brechen. Marx und Engels stehen als Beispiel dafür, mit ihrer Klasse gebrochen zu haben, um sich in den Dienst des Proletariats zu stellen. Gisela Elsner und Ronald M. Schernikau stehen in deren Tradition. Bei Gisela hat es dramatisch dazu geführt, dass sie am Ende nur noch den Ausweg sah, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Ronald M. Schernikau hat auf dem letzten Schriftstellerkongress der DDR seinen Kollegen die Leviten gelesen, indem er ihnen vorwarf, sie glaubten, sie müssten die Konterrevolution unter dem Stichwort Freiheit begrüßen, ohne dabei zu bemerken, dass ihnen die materielle Grundlage weggenommen werden würde. Diese Rede von Ronald M. Schernikaus ist sein wichtiges politisches Erbe.

Prawda: Dieses Jahr feiern wir den 150. Geburtstag von Wladimir I. Lenin. Was mich frappiert, ist der Umstand, dass eines der wenigen Medien, die den Geburtstag Lenins überhaupt erwähnte, allerdings dann auch ein Themenheft herausbrachte, die DKP-nahe Zeitschrift „Marxistischen Blätter“ war. Was ist heute von dem wissenschaftlich-publizistischen Erbe von Lenin für deutsche Kommunistinnen und Kommunisten aktuell?

Patrik Köbele: Man darf, und das sei vorangestellt, unsere Klassiker Marx, Engels und Lenin nicht einfach auswendig lernen, um sie herunterzubeten. Man muss ihr Werk als Instrument erkennen, um die Welt und ihre Entwicklung zu analysieren, und um eine Strategie zur Veränderung der Welt zum Sozialismus und Kommunismus hin zu entwickeln.

Prawda: Unter Instrument verstehst du Marxismus-Leninismus nicht als Ansammlung metaphysischer Dogmen, sondern als dialektische Methodologie?

Patrik Köbele: Genau. So ist Lenin auch an Marx und Engels herangegangen, er hat mit den Instrumenten von Marx und Engels analysiert, wie sich die Welt weiterentwickelt hat, und warum es Ende des 19. Jahrhunderts keine kurzfristige weltweite Revolution, die Marx und Engels kommen sahen, gab, die den Übergang zum Sozialismus eingeläutet hätte. Diese Analyse hat Lenin mit den drei Elementen der Marx’schen Lehre – der Dialektik, der politischen Ökonomie und der Theorie vom Klassenkampf gemacht, und hat daraus Schlussfolgerungen für die weitere Entwicklung im Zeitalter des Imperialismus gezogen. Ohne die Imperialismus-Analyse von Lenin kann man heute keine moderne marxistische Analyse ansetzen, was umgekehrt nicht heißt, dass der Imperialismus seit Lenin sich nicht fortentwickelt hat. Gleiches gilt für die Staatsfrage: „Staat und Revolution“ von Lenin ist ein unverzichtbares Werk ist. Weil sich vom Kapitalismus der freien Konkurrenz von Marx und Engels bis hin zum Imperialismus auch die Ausprägung des bürgerlichen Staates als ideeller Gesamtkapitalist weiterentwickelt hat und eine andere wurde, und es mit der Herausbildung des Imperialismus zu anderen imperialistischen unterdrückenden Ländern kam, wie zum Beispiel heute der Bundesrepublik im Maßstab der EU. Gleichzeitig kann man weder auf die Revolutions- noch auf die Parteitheorie Lenins verzichten. Daher stimmt der Satz: Marxismus-Leninismus ist der Marxismus der heutigen Zeit. Lenin ist hochaktuell.

Prawda: Auch wenn das sowjetische Projekt, an deren Ursprung Lenin stand, in Russland vorerst beendet wurde? Da wir aber nun beim Thema Russland sind: Siehst du heute linkes Potenzial in diesem Land? Warum ist es wichtig, und warum setzt ihr euch in der DKP gegen Sanktionen gegen Russland ein?

Patrik Köbele: Russland ist heute eindeutig ein kapitalistisches Land, womit Putin ein Repräsentant der herrschenden Klasse in Russland ist und auch der Staat Russland ist der ideelle Gesamtkapitalist der russischen Kapitalistenklasse. Dennoch: Es gibt zum einen eine sehr wichtige historische Komponente, wie den Bezug auf die Niederschlagung des Hitlerfaschismus, welche es ohne die Sowjetunion, die die führende Rolle in der Anti-Hitler-Koalition spielte, nicht gegeben hätte. Die andere Besonderheit besteht darin, dass Russland heute ein aufkommender Konkurrent für die imperialistischen Großmächte ist, und es soll von diesen im Zaum gehalten werden. Deswegen ist Russland ein zentrales Objekt der NATO-Aggression. Russland und die Volksrepublik China werden militärisch und ökonomisch umzingelt, und aus unserer Sicht geht von dieser Umzingelungspolitik heute die größte Kriegsgefahr weltweit aus. Und Russland, mit seinem Versuch eine Außenpolitik zu gestalten, die dem entgegenwirkt, ob mit dem Zweck, eines Tages selbst zu dem Klub der führenden Imperialisten zu gehören, sei dahingestellt, ist heute ein Gegner der Politik, die aus unserer Sicht die Hauptkriegsgefahr heute darstellt. Die russische Außenpolitik ist sicherlich nicht bewusst antiimperialistisch – objektiv ist sie es aber. Deshalb sagen wir heute: Die Aufgabe der Friedenskräfte, zu denen wir uns zählen, ist es, der Angriffspolitik der NATO Widerstand entgegen zu stellen und zu sagen „Für Frieden mit Russland und der Volksrepublik China“.

Prawda: Warum hat die kommunistische Idee Zukunft? Nach dem Ende der realsozialistischen Staaten Osteuropas 1989, ist der Traum der Menschheit von einer klassenlosen Gesellschaft ohne Ausbeutung, ein Traum, der von den besten humanistischen Denkern der Menschheit, noch lange vor Marx und Engels, die anhand der modernen soziologischen, philosophischen und wirtschaftlichen Erkenntnisse die wissenschaftliche Grundlage lieferten, man möge sagen, in weite Ferne gerückt. Was ist deine Prognose, wann wird dieser konterrevolutionäre Trend umkehren?

Patrik Köbele: Wenn die Menschheit Zukunft haben will, dann muss die kommunistische Idee Zukunft haben… Ich glaube, dass Rosa Luxemburg recht hatte, indem sie von Sozialismus oder Barbarei sprach. Ich glaube tatsächlich, dass wenn es nicht gelingt, den Kapitalismus zu bezwingen, zu beseitigen, das Kräfteverhältnis zu ändern, die Barbarei eines Tages vor unserer Tür steht – in der Praxis werden es riesige Menschheitskatastrophen sein.

Ich bin aus heutiger Sicht recht sicher, dass es uns in den nächsten zwanzig-dreißig Jahre in Deutschland nicht gelingen wird den Sozialismus zu erringen. Allerdings muss man auch sehen, dass, historisch betrachtet, auch der Kapitalismus mehrere Anläufe brauchte bis er peu à peu im Weltmaßstab gegen den Feudalismus führend wurde, dieser Weg begann in Italien vor hunderten von Jahren… Der Widerspruch zwischen den modernen kapitalistischen Produktionsverhältnissen und den Produktivkräften ist heute nicht wegzudiskutieren, er bedarf einer Lösung. Insofern bin ich historisch optimistisch, dass wenn die Gattung Mensch überleben will, dann nur durch die Beseitigung des Klassenantagonismus und der kapitalistischen Produktionsverhältnisse.

Prawda: Der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die sich in der modernen Welt viel weiter, als zu Marx‘ Zeiten ausdehnen – die Frage ist ja ganz einfach die, in wessen Hand Produktionsmittel sind oder, neoliberal ausgedrückt, wer bringt das Investment? Und wer arbeitet auf Lohnbasis für den Profitbezieher? Und nach dieser Linie kann man ganz klar die Produktivkraft vom Kapitalisten unterscheiden?

Patrik Köbele: Du kannst es drehen und wenden wie du willst, es kann keine menschliche Existenz ohne menschliche Arbeit geben. Die Form der Arbeit hat sich umgewälzt, die Arbeitsform der körperlichen Arbeit des industrieproletarischen Milieus ist nicht mehr vorherrschend, nicht in den imperialistischen Ländern, aber selbst die Digitalisierung ist nichts anderes, als die Vergegenständlichung von Arbeit in modernen Rechnern und Netzen. Solange es den Widerspruch gibt, dass die Masse der Menschen arbeitet, und ein kleiner Teil der Menschen sich das Produkt dieser Arbeit und den Profit aneignet, weil ihm die Produktionsmittel gehören, solange werden Kriege und Hunger große Teilen der Welt plagen, solange werden keine Sozialstandards gewährleistet sein… Das sind die Widersprüche des Kapitalismus, die wir tausendfach erleben. Leider werden diese von vielen Menschen nur nicht als Widersprüche erkannt, sondern als Unrecht oder ähnliches verkürzt gedeutet…

Prawda: Als auch die erfolgten Flüchtlingswellen, und die, die auf die westliche Welt noch zukommen werden… Wobei sie weniger Unrecht und Krieg bedeuten als vielmehr Ausdruck einer konsequenten rassistischen und imperialistischen Politik des Nordens gegen den Süden sind.

Patrik Köbele: Aus meiner Sicht gibt es bei diesen Voraussetzungen wirklich nur die Alternative, Sozialismus oder Barbarei. Ich weiß nicht, ob ich den Übergang je erleben werde… Zumindest werde ich in den Spiegel schauen können und zu mir sagen: „Du hast dich nicht mit diesem schweinischen System abgefunden, das zwangsläufig Krieg, Hunger, Flucht, Privatisierung des Gesundheitswesens, Schließung sozialer Einrichtungen, Lohnsenkungen produziert“. Kapitalismus macht alles zu Ware, zwangsläufig. Und wenn man mit dieser Verwertung brechen will, so muss man mit dem Kapitalismus brechen.



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