Deutschland, Frankreich und Großbritannien bauen ihre Militär- und Rüstungskooperation aus – mit dem Ziel, langfristig von den USA unabhängig zu werden

Europas Mächtedreieck

Deutschland, Frankreich und Großbritannien intensivieren ihre Militär- und Rüstungskooperation und zielen damit auf den Aufbau einer eigenständigen Militärmacht Europa mit einer unabhängigen rüstungsindustriellen Basis. Der Kensington-Vertrag, den Bundeskanzler Friedrich Merz und Premierminister Keir Starmer vergangene Woche unterzeichneten, dient diesem Ziel ebenso wie mehrere französisch-britische Erklärungen, die am 10. Juli verabschiedet wurden. Ziel ist es, mit einem System bilateraler Übereinkünfte der drei stärksten Staaten Westeuropas einerseits die Aufstellung schlagkräftiger binationaler Truppenverbände zu initiieren und andererseits eine gemeinsame Waffenproduktion anzuschieben, die perspektivisch ohne US-Bauteile auskommen und dadurch den Ländern Europas rüstungsindustrielle Unabhängigkeit von den USA verschaffen soll. Elemente dazu sind nicht zuletzt die gemeinsame deutsch-britische Entwicklung von Marschflugkörpern, die Produktion gepanzerter Fahrzeuge durch Rheinmetall im Vereinigten Königreich und britisch-französische Pläne, die binationale Combined Joint Expeditionary Force (CJEF) für Einsätze an der NATO-Ostflanke auf 50.000 Soldaten aufzustocken.

Berlin – Paris

Als Grundlagendokumente für die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich gelten der Élysée-Vertrag, der am 22. Januar 1963 unterzeichnet wurde, und der Vertrag von Aachen vom 22. Januar 2019. Letzterer sieht unter anderem vor, die Kooperation der Streitkräfte beider Länder „mit Blick auf eine gemeinsame Kultur und gemeinsame Einsätze weiter zu verstärken“. Zudem enthält er eine Beistandsklausel. Bereits 1989 wurde mit der Deutsch-Französischen Brigade eine erste gemeinsame Einheit aufgestellt, die rund 5.500 Soldaten umfasst. Die Truppe, deren Brigadestab in Müllheim (Baden-Württemberg) angesiedelt ist, wurde bislang in Südosteuropa, in Afghanistan und in Mali eingesetzt. Zuletzt war ihre Verlegung nach Litauen im Gespräch, wo die Bundeswehr zur Zeit ihren ersten festen Auslandsstützpunkt aufbaut. 2022 wurde in Évreux in der Normandie die deutsch-französische Lufttransportstaffel aufgestellt. Eingesetzt wurde sie zum Beispiel Anfang 2024; dabei warf sie Hilfsgüter über dem Gazastreifen ab. Hinzu kommen diverse gemeinsame Rüstungsprojekte, darunter das Vorhaben, einen Kampfjet der sechsten Generation zu entwickeln (Future Combat Air System, FCAS). Es gehört zu den Themen der Gespräche, zu denen Präsident Emmanuel Macron am Mittwoch in Berlin erwartet wurde.

Paris – London

Ein wichtiger Meilenstein für den Ausbau der Militär- und Rüstungskooperation zwischen Frankreich und Großbritannien sind die Lancaster House Treaties, die am 2. November 2010 unterzeichnet wurden. Sie sahen unter anderem den Aufbau einer gemeinsamen Einsatztruppe, der Combined Joint Expeditionary Force (CJEF), vor. Die CJEF ist schon seit Jahren mit mehr als 10.000 Soldaten einsatzbereit. Darüber hinaus kooperieren London und Paris, den Verträgen von 2010 Rechnung tragend, in Teilaspekten der Modernisierung ihrer Atomstreitkräfte. Spürbar weniger erfolgreich verlief dagegen die geplante Stärkung der bilateralen Rüstungskooperation. Präsident Emmanuel Macron sowie Premierminister Keir Starmer haben sie am 10. Juli 2025 in einer Gemeinsamen Erklärung erneut zu stärken versucht. Darin heißt es nicht nur, die CJEF solle auf neue Kriegsszenarien ausgerichtet – gemeint ist ein Krieg gegen Russland – und zu einer Combined Joint Force (CJF) mit bis zu 50.000 Soldaten aufgestockt werden. Explizit ist auch von einer „Entente industrielle“ die Rede, die etwa die Entwicklung neuer Lenkraketen (FC/ASW) und Flugabwehrsysteme gewährleisten soll. Nicht zuletzt ist engere Kooperation bei der Entwicklung von Energie- und von elektromagnetischen Waffen und bei der Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) für die Kriegsführung geplant.

Atomwaffen

Am 10. Juli 2025 haben Großbritannien und Frankreich zudem in der Northwood Declaration ihre Zusammenarbeit in puncto Atomwaffen intensiviert. Bereits am 30. Oktober 1995 hatten sie in der Chequers Declaration festgehalten, es sei nicht vorstellbar, dass Kerninteressen einer Seite bedroht seien, ohne dass zugleich Kerninteressen auch der anderen Seite in Gefahr gerieten. In diesem Zusammenhang wurde auch eine engere Kooperation in Nuklearfragen in Aussicht gestellt – freilich bei strikter Wahrung der jeweiligen Unabhängigkeit. In der Northwood Declaration heißt es nun, man stimme überein, dass es „keine extreme Bedrohung für Europa“ gebe, die nicht „eine gemeinsame Antwort unserer zwei Nationen auslösen“ würde. Man werde deshalb „Kooperation und Koordination“ mit Blick auf die jeweiligen Nuklearwaffen vorantreiben. Eine bilaterale Steuerungsgruppe solle das anleiten. Dem Schritt wird einige Bedeutung beigemessen – auch im Hinblick auf aktuelle Überlegungen, wie sich eine von den USA unabhängige nukleare Abschreckung für Europa realisieren ließe.

Berlin – London

Deutschland und Großbritannien wiederum sind seit dem britischen Austritt aus der EU ebenfalls dabei, ihre außen- und militärpolitischen Beziehungen auszubauen. Den Anstoß gab eine Gemeinsame Absichtserklärung der Außenminister beider Länder „über die deutsch-britische außenpolitische Zusammenarbeit“ vom 30. Juni 2021. Am 24. April 2024 folgte eine Übereinkunft von Bundeskanzler Olaf Scholz und Premierminister Rishi Sunak, die insbesondere eine Intensivierung der Militär- und Rüstungskooperation vorsah. Am 24. Juli 2024 folgte eine Erklärung der Verteidigungsminister beider Länder, die auf die Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO zielte und dazu auch die gemeinsame Entwicklung und Beschaffung von Kriegsgerät in den Blick nahm. Weiter formalisiert wurde dies im Trinity House Agreement vom 23. Oktober 2024, das erste „konkrete Schlüsselprojekte für den gemeinsamen Fähigkeitsaufbau in allen Dimensionen“ auflistete. Zudem sah es gemeinsame Kriegsübungen an der NATO-Ostflanke vor. Den Abschluss bildet nun der Kensington-Vertrag vom 17. Juli 2025, der als generelles Abkommen „über Freundschaft und bilaterale Zusammenarbeit“ gehalten ist. Der Schwerpunkt liegt – neben Bestimmungen etwa zu Wirtschaft, Forschung und Bildung – erneut auf der Außen- und Militärpolitik.

Radpanzer und Marschflugkörper

Konkret planen Berlin und London die Entwicklung von Marschflugkörpern, von Drohnen und von „Combat Cloud“-Fähigkeiten, die verschiedene Waffensysteme in verbundenen Operationen steuern sollen. Darüber hinaus ist die Bewaffnung der deutschen Seefernaufklärer vom Typ P-8A Poseidon, die die deutsche Marine gegenwärtig beschafft, mit Leichtgewichtstorpedos Sting Ray Mod2 vorgesehen. Diverse Seefernaufklärer sollen dauerhaft in Lossiemouth im Norden Schottlands stationiert werden, wo sie sich an der Überwachung des Nordatlantiks beteiligen sollen. Es geht darum, womöglich aus arktischen Gewässern in den Nordatlantik einfahrende russische U-Boote aufzuspüren. Die Sting Ray-Torpedos werden von dem britischen Rüstungskonzern BAE Systems hergestellt, dessen Landfahrzeugsparte im Jahr 2019 zu 55 Prozent von Rheinmetall übernommen wurde. Rheinmetall BAE Systems Land (RBSL) stellt in seinem Werk in Telford unter anderem – mit Zuarbeit des deutsch-französischen Panzerbauers KNDS – den Radpanzer Boxer her, dessen erstes Modell im Januar präsentiert wurde. Rheinmetall hat zudem angekündigt, in Telford über 400 Millionen Pfund in ein neues Artillerierohrwerk zu investieren. Den Stahl soll Sheffield Forgemasters liefern, ein Unternehmen, das 2021 verstaatlicht wurde, um den Bedarf britischer Rüstungskonzerne zu sichern.

Die rüstungsindustrielle Basis

London zielt mit dem Ausbau der Rüstungskooperation mit Deutschland und Frankreich auch darauf ab, an den gewaltigen Summen teilzuhaben, die die EU für die Aufrüstung Europas mobilisiert. Vor allem geht es um SAFE, ein Teilprogramm von ReArm Europe, das Kredite im Volumen von bis zu 150 Milliarden Euro bereitstellt. Freilich wird Großbritannien bei Aufträgen, die mit EU-Mitteln zustande kommen, Teilbeträge nach Brüssel zurücküberweisen müssen. Darüber hinaus geht es insbesondere darum, mit dem Verschmelzen von Teilen der Rüstungsindustrie die Basis für einen europäischen Militärisch-Industriellen Komplex zu legen, der zumindest theoretisch als Grundlage für eine künftig eigenständige europäische Militärmacht dienen kann.

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