Bundesregierung einigt sich auf Abzug aus Mali für 2024

Flucht in Zeitlupe

Christoph Marischka

Nun scheint doch festzustehen, dass sich die Bundeswehr vollends aus Mali zurückzieht. Das aktuelle Mandat für die deutsche Beteiligung an der UN-Mission MINUSMA, das im Mai kommenden Jahres ausläuft, soll noch einmal verlängert werden, um nach der Verlängerung in die Vorbereitung des Abzugs einzusteigen. Das erscheint einerseits als Kompromiss zwischen dem Außenministerium (Bündnis 90/Die Grünen) – das bleiben will – und dem Verteidigungsministerium (SPD), das die Perspektiven der Bundeswehr in Mali realistischer einschätzt. Eine entscheidende Rolle in der Auseinandersetzung wird auch die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (ebenfalls SPD), gespielt haben. Ihrer Aufgabe, die Interessen der Soldatinnen und Soldaten im Bundestag zu vertreten, kam sie nach, als sie im September prominent auf die Schwierigkeiten einer fortgesetzten Präsenz unter den aktuellen Umständen hinwies: „Ja, diese Gefahr (dass man Russland in Mali das Feld überlasse, Anm. d. A.) wäre da. Aber das findet jetzt schon statt. Und die Bedrohung durch den Terror wächst, was letztendlich bedeutet, dass wir noch mehr Präsenz zeigen müssten, dass wir den Einsatz robuster fahren müssten – was aber nach Abzug der Franzosen und anderer Partner schwer darstellbar und von der Bundeswehr nicht leistbar ist.“ Die Grünen und nun auch die CDU argumentieren hingegen neben der Gefahr, „Russland das Feld zu überlassen“, dass der Einsatz der Bundeswehr zur Sicherheit der Zivilbevölkerung beitrage und die UN stärke. Beides wird durch eine nüchterne Bilanz der letzten zehn Jahre eigentlich klar widerlegt.
Womit die CDU jedoch recht hat, ist ihre Kritik an der Darstellung, mit dem Abzugstermin bis Mai 2024 solle den für Februar 2024 in Mali vorgesehenen Wahlen „Rechnung getragen werden“. Da hat Kai Küstner vom ARD-Hauptstadtstudio mal recht, wenn er schreibt: „In der Tat stellt sich die Frage, wie eine im Rückzug befindliche Bundeswehr, die im Februar 2024 nur noch mit stark verminderter Truppenzahl vor Ort sein dürfte, sich noch schützend in die geplante Präsidentschaftswahl einbringen kann und will.“

Neben dem Anschein eines Kompromisses hat der langsame Abzug jedoch auch praktische Gründe. Denn Deutschland war – wie seine Verbündeten – gekommen, um zu bleiben. Für viel Geld wurde nicht nur aus der sogenannten „Ertüchtigungsinitative“ militärische Infrastruktur für die malischen Streitkräfte aufgebaut, sondern auch für die eigenen: Das große deutsche Feldlager neben dem Flughafen in Gao, die dortigen Hangars und Kommunikationsmittel für die aus Israel geleasten Heron-1-Drohnen, das Luftdrehkreuz Niamey in der benachbarten Republik Niger, Überwachungssysteme und Betreiberverträge für Liegenschaften und Logistik. Dabei geht es auch viel um Technologien, die nicht „den Russen“ in die Hände fallen sollen, die mittlerweile auf Einladung der Putschregierung im Land sind. Aus deutscher und EU-Sicht gibt es dementsprechend viel „aufzuräumen“.

Von einem „Einstieg in den Ausstieg“ ist nun die Rede. Man könnte auch von einer Flucht in Zeitlupe sprechen, die schon länger anhält. Denn die Bundeswehr war auch führend an der EU-Ausbildungsmission (EUTM Mali) beteiligt, die zunächst wegen der Pandemie, dann wegen der letzten beiden Putsche immer wieder eingefroren wurde und zuletzt nur noch auf Sparflamme lief, bevor sie klammheimlich beendet beziehungsweise ins Nachbarland Niger verlegt wurde. Auch Frankreich, dem man mit der deutschen Präsenz seine „Solidarität“ ausdrücken wollte, ist bereits abgezogen, so wie weitere europäische Truppensteller das bereits angekündigt oder vollzogen haben.

Das zurückhaltende Tempo dieser Flucht hat auch noch andere Vorteile. Denn eigentlich will man bleiben und viele hoffen sicherlich auch noch auf Ereignisse, die das noch ermöglichen könnten. Einigen Verbündeten wäre durchaus auch zuzutrauen, solche Ereignisse zu provozieren. Vielleicht ist auch das gemeint, wenn man den vorgesehenen Wahlen „Rechnung tragen“ will. Bleiben will man unter anderem, weil Deutschland und die EU trotz Klimawandel weiter auf Wachstum setzen und Profite absichern wollen. „Grüner Wasserstoff“ gilt dabei aktuell als Wundermittel. Gewonnen werden soll er – wie schon zuvor der „Wüstenstrom“ von Desertec – unter anderem in den riesigen Flächen der Sahelregion.

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"Flucht in Zeitlupe", UZ vom 2. Dezember 2022



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