Vor 80 Jahren endete die faschistische Belagerung Leningrads

Geplanter Vernichtungskrieg

Die Blockade Leningrads durch Truppen des faschistischen Deutschlands und seiner Verbündeten Finnland und Spanien während des Zweiten Weltkriegs dauerte vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944, erstmalig durchbrochen wurde der Belagerungsring am 18. Januar 1943. Schätzungen zufolge verloren während dieser mehr als 870 Tage über eine Million Bürger Leningrads ihr Leben, etwa 90 Prozent von ihnen verhungerten.

In dieser Zeit haben die Westmächte der Eröffnung einer zweiten Front zwar verbal zugestimmt, diese aber – in der Hoffnung, die Sowjetunion werde im Krieg gegen Deutschland ausbluten – immer wieder hinausgezögert. Antikommunismus und Antisowjetismus, Russlandfeindlichkeit sowie Ausdehnung des eigenen Herrschaftsbereichs waren auch damals schon Grundlage ihrer Strategie.

Die Blockade Leningrads war ein – wenn auch sehr grausamer – Teil des seit einem Jahrhundert offen oder verdeckt geführten Krieges gegen die Sowjetunion beziehungsweise Russland und sie zeigte beispielhaft, welches Schicksal der Sowjetunion und ihren Bürgern insgesamt zugedacht war. Überdies zeigte sie, dass der Krieg nie ein Präventivkrieg war, wie es historisierende Politiker, politisierende Historiker, Medien und Stiftungen im Auftrag das ganze Jahrhundert verkündet haben und heute noch immer verkünden.

Für alle diejenigen, die den Beginn des Krieges des faschistischen Deutschlands gegen die Sowjetunion die ganze Zeit verfälscht dargestellt haben und immer noch darstellen, sollen Äußerungen von Adolf Hitler selbst zitiert werden, die aus Aufzeichnungen des Generals Franz Halder bekannt sind. Am 30. März 1941, so wird dokumentiert, sagte Hitler während einer Beratung mit militärischen Führern über die Ziele und Pläne des Krieges gegen die Sowjetunion: „Unsere Aufgaben hinsichtlich Russlands: die Streitkräfte zerschlagen, den Staat vernichten. Der Krieg gegen Russland ist ein Kampf zweier Ideologien. Tod dem Bolschewismus, der gleichbedeutend ist mit einem sozialen Verbrechen. Unsere Aufgabe ist der Vernichtungskrieg. Unsere erstrangige Aufgabe, erklärte der Führer, ist die Vernichtung der bolschewistischen Kommissare und der kommunistischen Intelligenz. Die neuen Staaten werden keine eigene Intelligenz haben. Man darf nicht zulassen, dass eine neue Intelligenz entsteht. Hier wird eine primitive sozialistische Intelligenz genügen.“

Schon am 31. Juli 1940 – also noch vor dem Überfall auf die Sowjetunion – schrieb derselbe Halder in sein Tagebuch: „Russland muss liquidiert werden. Termin – Frühjahr 1941“. Das beweist, dass für die faschistische Führung die Hauptfragen, die mit der Ausarbeitung eines Plans für den Krieg gegen die Sowjetunion zusammenhingen, zu dieser Zeit schon entschieden waren. Bald darauf wurde mit der praktischen Verwirklichung des Plans begonnen. Schon im September und Oktober 1940 wurde zum Beispiel ein bedeutender Teil der Wehrmacht, darunter die Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls Fedor von Bock, in einer Stärke von 30 Divisionen als erste Truppeneinheit für den Krieg gegen die Sowjetunion auf polnisches Territorium verlegt.

Bereits am 19. November 1940 trug Halder dem Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch den „russischen Operationsplan“ vor, also den Plan für den Krieg gegen die Sowjet­union, der einen Monat später von Hitler bestätigt und als Barbarossa-Plan bekannt wurde. In diesem hat die faschistische Führung ihre Ziele und ihr Vorgehen bei der Aggression gegen die Sowjetunion in großem Maßstab dargelegt.

Seine Anwendung auf Leningrad verdeutlicht die Weisung Nr. Ia 1601/41 vom 22. September 1941 „Die Zukunft der Stadt Petersburg“, in der es unter anderem lautete:

„1. Der Führer beschloss, die Stadt Leningrad vom Antlitz der Erde zu tilgen. Nach der Niederlage Sowjetrusslands ist der Fortbestand dieser größten Siedlung nicht von Interesse. (…)

3. Es ist geplant, die Stadt in einem engen Ring zu umzingeln und durch Artilleriebeschuss aller Kaliber und ständiges Bombardement aus der Luft dem Erdboden gleichzumachen. Wenn auf Grund der Situation in der Stadt Übergabeanträge gestellt werden, werden diese abgelehnt, weil die Probleme, die mit der Anwesenheit der Bevölkerung in der Stadt und ihrer Lebensmittelversorgung verbunden sind, von uns nicht gelöst werden können und sollen. In diesem Existenzkampf geht es nicht darum, auch nur einen Teil der Bevölkerung zu erhalten.“

Am 16. September 1941 sagte Hitler dem deutschen Botschafter in Paris in der Reichskanzlei: „Das giftige Netz von St. Petersburg, aus dem schon so lange Gift in die Ostsee strömt, muss vom Erdboden verschwinden. Die Stadt ist bereits blockiert; jetzt bleibt nur noch, sie mit Artillerie zu bombardieren und zu bombardieren, bis die Wasserversorgung, die Energieversorgung und alles, was zum Leben notwendig ist, zerstört ist. Die Asiaten und die Bolschewiken müssen aus Europa vertrieben werden. Die Periode von 250 Jahren Asianismus muss vorbei sein.“

Geplant war also ein gezielter Massenmord, was in weiteren Weisungen präzisiert wurde. Dazu gehörte zum Beispiel der sogenannte Hungerplan (Backe-Plan), in dem die Verwirklichung der Strategie vorgegeben wurde. In deren Rahmen war das Aushungern Leningrads eine bewusste Handlung, die nicht anders als ein Kriegsverbrechen, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden kann. Die in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten produzierten Lebensmittel sollten entsprechend dem Backe-Plan an die deutschen Besatzungstruppen sowie an das Deutsche Reich geliefert werden. Bewusst wurde einkalkuliert, dass infolge des Entzugs von Nahrungsmitteln bis zu 30 Millionen Menschen in der Sowjet­union verhungern würden.

Die Blockade wurde von weiteren, ständig wiederholten terroristischen und verbrecherischen Maßnahmen „begleitet“, welche die schon bestehende Notsituation weiter verschärften und die Bevölkerung zur Flucht veranlassen sollten. Mit der Schließung des Blockaderings am 8. September 1941 wurden alle Versorgungslinien der Millionenstadt abgeschnitten. Versorgung war nur noch auf der „Straße des Lebens“ über den Ladoga-See möglich, aber bei weitem nicht ausreichend.

Am 1. Januar 1943 lebten in Leningrad knapp drei Millionen Menschen. Zehntausende von vor den Faschisten geflüchtete Menschen aus den westlichen Teilen der Sowjetunion hatten sich an Bahnhöfen und in den Vororten versammelt und warteten auf eine Gelegenheit, ins Innere des Landes auszureisen. Hinzu kamen 300.000 Geflüchtete aus den baltischen Staaten. Das verschärfte die komplizierten Bedingungen, die die Faschisten nutzten, um ihre Ziele durchzusetzen.
Die deutschen Truppen zerstörten die Stadt, indem sie sie mit massivem Artilleriebeschuss und Bombenabwürfen belegten.

Besonders heftig waren diese im Oktober und November 1941. Mehrere tausend Brandbomben verursachten massive Brände. Ganz im Sinne der oben genannten Zielsetzung waren sogar Lebensmitteldepots ein wichtiges Ziel. Gleich zu Beginn der Blockade wurden am 8. September 1941 die Lagerhäuser von Badajew bombardiert, wo sich bedeutende Lebensmittelreserven der Stadt befanden. Allein dabei wurden 3.000 Tonnen Mehl und 700 Tonnen Zucker vernichtet.

Die Luftwaffe bombardierte zunächst vor allem Lebensmittellager sowie die Wasser- und Elektrizitätswerke. Bei den ersten Bombardements wurden rund 6.500 Brandbomben abgeworfen. Schulen, Krankenhäuser und Entbindungsheime wurden von der Artillerie unter Feuer genommen.

Schwere Angriffe waren gegen die Industriebetriebe der Stadt gerichtet. Bis zum Ende des Jahres 1941 warf die deutsche Luftwaffe 66.200 Brand- und rund 3.500 Sprengbomben über Leningrad ab. Während der gesamten Dauer der Blockade waren es 102.520 Brand- und 4.653 Sprengbomben.

Der kalkulierte Hungertod von Millionen Menschen und die Auslöschung der Stadt Leningrad waren Teil des deutschen Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion.

Wie das alles endete, ist bekannt. Aber warum konnte das geschehen? Und: Wer war daran interessiert und warum? Darüber muss offensichtlich noch gesprochen werden, auch angesichts unserer Gegenwart! Denn: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“


Diskriminierende Entschädigung
Die russische Regierung kritisierte 2023, dass bisher nur jüdische Opfer der Blockade direkt von Deutschland entschädigt werden, während alle andere Nationalitäten der früheren Sowjetunion nicht entschädigt wurden. Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, bezeichnete dies als Fall „rassischer Diskriminierung.“ Im September 2023 schrieben russische Veteranen an das Kanzleramt und warfen der Bundesregierung vor, mit zweierlei Maß zu messen. Die Nazis hätten „keinen Unterschied zwischen den Nationalitäten in der Stadt gemacht“. Für die noch 60.000 Überlebenden forderte sie Entschädigungen. Standpunkt der Bundesregierung ist, dass die Sowjetunion 1953 auf weitere deutschen Reparationszahlungen verzichtete. Jüdische Überlebende konnten seit 2008 Einmalzahlungen bekommen und seit 2021 zudem auch monatliche Rentenzahlungen. Die Bundesregierung begründet die Ungleichbehandlung anderer Nationalitäten der früheren Sowjetunion damit, dass Juden bei einer Festnahme durch Deutsche der sichere Tod gedroht habe. Trotzdem erfolgte 2019 die Zusage des deutschen Außenministers Heiko Maas von zwölf Millionen Euro für ein Hilfsprojekt in der Stadt. In Folge flossen Gelder insbesondere für die Modernisierung eines Petersburger Krankenhauses, wo Überlebenden der Blockade behandelt werden.
Quelle: wikipedia.de, zuletzt aufgerufen am 22. Januar 2024


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"Geplanter Vernichtungskrieg", UZ vom 26. Januar 2024



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