Ampel will dem Bürger die Digitalisierung näher bringen

Große Worte

„Deutschland wird nur auf der Höhe der Zeit agieren können, wenn wir den Staat modernisieren. Wir wollen staatliches Handeln schneller und effektiver machen und besser auf künftige Krisen vorbereiten. Wir bringen eine umfassende Digitalisierung der Verwaltung voran. Es geht darum, das Leben für die Bürgerinnen und Bürger leichter zu machen. Wir werden die öffentliche Infrastruktur, öffentliche Räume und Netze modernisieren und dafür Planung, Genehmigung und Umsetzung deutlich beschleunigen. Auch die ... Bitte hier anmelden

Wirtschaft soll in der Verwaltung einen Verbündeten haben“, lauten einige der Kernsätze dieses Koalitionsvertrages. Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Modernisierung und Fortschritt – keiner der Begriffe ist definiert. Digitalisierung, ein Begriff, der seit Beginn des Wahlkampfs und schon zuvor von fast allen bürgerlichen Kräften wie eine Monstranz vorangetragen wird. Die Digitalisierung verändert die Art und Weise, wie wir wirtschaften, arbeiten und miteinander kommunizieren. Dies führt logischerweise zu Spannungen in der Gesellschaft, die in Zeiten des schnellen Wandels reduziert werden müssen. Dies soll durch eine „werte-orientierte“ Politik passieren. Dieser Erkenntnis folgen dann eine Reihe von Vorschlägen und Zusicherungen, die auch Kommunistinnen und Kommunisten unterstützen können, wie ein Verbot der biometrischen Gesichtserkennung und des Einsatzes von Massenüberwachungsinstrumenten, was eine Abkehr von der Politik der vorherigen Regierung bedeutet. Der Einsatz einer flächendeckenden Videoüberwachung wird abgelehnt. In allen öffentlichen Bereichen sollen verstärkt „offene Standards“ und „Open source“-Lösungen statt Microsoft zum Einsatz kommen. Überhaupt: Kleine Unternehmen (StartUps) und mittlere Unternehmen sollen als Gegenpol zu den Internetgiganten gestärkt werden. Das hört sich gut an. Um das alles umzusetzen, wollen die Koalitionäre das Wirtschaftssystem allerdings nicht umgestalten. Von Sozialismus ist im Koalitionsvertrag nirgendwo die Rede. Vielmehr spricht er von Venture-Capital-Standort, Level Playing Fields, Digital Markets Act (DMA). Diese Schlagwörter stammen aus US-amerikanischen Think Tanks, die dem Prinzip der „StartUp Company“ huldigen, einem neoliberalen Prinzip des Profitmachens. Daran will die neue Koalition nichts ändern. Eine Definition, was unter Digitalisierung zu verstehen ist und in wessen Interesse diese erfolgt, findet sich im Koalitionsvertrag nicht. Es ist ein Begriff, der wissenschaftlich nicht definiert ist, sondern der von wenigen Personen aus Wirtschaft und Politik geprägt und in die öffentliche Diskussion gebracht wurde. Es ist ein Kampfbegriff des Kapitals, auch wenn es ein schönes Mäntelchen trägt. Ein weiteres Schlagwort, das Dutzende Male benutzt wird, lautet „wert-orientiert“ gemäß „unserer“ Werte. Doch sind dies die Werte der Vorstandschefs von Daimler, BMW, Bayer oder „Deliveroo Hero“ oder die Werte der Bürgerinnen und Bürger, die deren Produkte herstellen und dann zu überhöhten Preisen kaufen müssen? Dieser Koalitionsvertrag und alles, was wir bislang auch von der Politik der Unterzeichner kennen, ist kein Aufbruch in eine Legislaturperiode der „Gerechtigkeit“, wie es im Titel heißt.

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"Große Worte", UZ vom 10. Dezember 2021



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