Linkspartei könnte Kriegskoalition bloßstellen. Van Aken will aber mitspielen

„Herzenswunsch“ Verfassungsrichter

Karlsruhe, Schlossbezirk 3. Nicht nur eine noble Adresse, sondern auch ein Arbeitsplatz, wie man ihn sich angenehmer nicht wünschen kann. „Dem Architekten ist es mit der transparenten Offenheit der Architektur gelungen, ein Zeichen demokratischen Geistes und freiheitlicher Grundordnung zu setzen“, beschreiben die 16 Damen und Herren Verfassungsrichter ihr Domizil, in dem sie und 290 juristische Sherpas alljährlich knapp 4.600 Entscheidungen treffen, darunter Beschlüsse zu 4.500 Verfassungsbeschwerden, von denen 99,2 Prozent verworfen werden. Kommen ab und an Schulklassen zu Besuch in der „Herzkammer der Demokratie“, ist das Erinnerungsfoto im lichtdurchfluteten Foyer vor der meterlangen Galerie verdienter Verfassungsrichter Pflicht. Fragen zu den fast 100 Schwarzweißfotografien sind selten. Schade eigentlich.

Wenn – wie aktuell – unter den Bundestagsfraktionen der CDU, SPD und der Partei „Die Linke“ der Streit entbrennt, wer auf drei vakante Stellen im erlauchten Kreis der 16 aufrücken darf, bringt das Grundgesetz keine Orientierung. Es stellt in Artikel 93, Absatz 2 hierzu nur vage fest: „In jeden Senat werden je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat acht Richter gewählt.“

Damit der revanchistische Kompass der jungen Bundesrepublik auch dem als „Hüterin der Verfassung“ im September 1951 eingesetzten Bundesverfassungsgericht nicht verloren ging und damit die Exekutive einigermaßen unter Kontrolle hat, was in Karlsruhe vor sich geht, beschloss die Adenauer-Regierung im März 1951 das „Bundesverfassungsgerichtsgesetz“ (BVerfGG). Die detaillierte Kommentierung des Gesetzes übernahm zu treuen Händen der Richter am Bundesgerichtshof Willi Geiger, der dafür auf dem Ticket der CDU wenige Monate später einer der ersten Verfassungsrichter werden sollte.

Geiger, dessen Foto auch das Foyer des BVerfG ziert, hatte buchstäblich Blut an den Händen. Als Staatsanwalt des Sondergerichts Bamberg erwirkte er in den Jahren 1941-1942 fünf Todesurteile, wie jenes gegen einen polnischen Zwangsarbeiter, der sich mit dem Messer gegen eine sechsköpfige Gruppe junger Deutscher verteidigt hatte. Just als Geiger sich 1966 über die ihm zugeflogene Präsidentschaft des 81. deutschen Katholikentages freuen durfte, zerrten DDR-Staatsanwälte seine braunen Verbrechen an die Öffentlichkeit. Folgen für Geiger: Keine. Im Gegenteil: Er absolvierte 26 Dienstjahre und trieb sein Unwesen weiter. Wie im Mai 1975, als er dem Berufsverbot für einen Schleswiger Referendar (Mitglied der „Roten Zelle Jura“) die verfassungsrechtliche Weihe verlieh.

Wohlgemerkt: Thema ist hier nicht die Genealogie der westdeutschen Justiz, die hinlänglich bekannt von Nazi-Juristen der übelsten Sorte durchsetzt war. Thema ist die maßgeblich von Geiger und seinem Richterkollegen Hermann Höpker-Aschoff (seit 1940 Leiter der Abteilung VI der Haupttreuhandstelle Ost, zuständig für die Beschlagnahme und Verwertung des Vermögens polnischer Staatsbürger und osteuropäischer Juden) bis zur Vollendung getriebene Aushebelung demokratischer Kontrolle über die Wahl der Karlsruher Richter. Nicht das Volk sollte bestimmen, sondern ein zwölfköpfiger Wahlausschuss, proportional aus den Fraktionen des Bundestags gebildet. Die hinter verschlossenen Türen ausgedealten „Vorschläge“ dürfen dann von den Mehrheitsfraktionen (die regelmäßig zugleich die Regierung stellen) im Parlament abgenickt werden (Paragraf 6, Absatz 2 BVerfGG).

74 Jahre hat das reibungslos und ohne Aufsehen funktioniert. Die juristischen Erbhöfe im Bundesverfassungsgericht haben CDU und SPD weitgehend mit genehmen Richtern (über 100 mal) vorausbestimmt, fünf mal durfte die FDP, drei mal die „Die Grünen“ zum Zuge kommen. Nun will auch „Die Linke“ mitspielen und bettelt um Partizipation. Parteichef Jan van Aken in der „Rheinischen Post“: „Natürlich darf die CDU dann jemanden vorschlagen, den wir mitwählen würden, auch wenn er nicht unser Herzenswunsch ist. Dafür dürfen wir aber genauso jemanden vorschlagen, der nicht Herzenswunsch der CDU ist.“ Wie das ausgeht? Wer wird wem den Herzenswunsch erfüllen? Wahrscheinlich schenkt die SPD van Aken ihre schon nominierte Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf als gemeinsamen Kandidatenvorschlag oder die CDU nimmt „Die Linke“ mit ins Boot, wählt aber deren Vorschlag nicht.

Anstatt zu zählen, wer die schönsten Förmchen im Sandkasten hat, wäre es einfach, das Geschacher zu beenden und das undemokratische Wahlverfahren bloßzustellen: Indem man den koalitionären Vorschlägen die Stimme verweigert. Wenn CDU und SPD an der Zweidrittelmehrheit im Parlament scheitern, ist die Regierung mit ihrem Latein am Ende. Denn ohne Nachfolger blieben die Richter bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag im Amt, sagt das BVerfGG. Aus biologischen Gründen ist das keine Perspektive. Das wäre eine List der Vernunft, die ordentlich Druck auf den Kessel bringt und die Kriegskoalitionäre ganz nackt dastehen lässt.

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"„Herzenswunsch“ Verfassungsrichter", UZ vom 11. Juli 2025



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