Am 9. Oktober hat in Leipzig das jährliche Lichtfest stattgefunden – ein Fest, um die „Wiedervereinigung“ zu feiern. In diesem Jahr gab es ein weiteres Highlight: Es wurde der Grundstein für ein „Freiheits- und Einheitsdenkmal“ gelegt. Eine Gruppe von Aktivisten aus DKP, KO und der Friedensbewegung organisierte Protest unter dem Motto „35 Jahre ‚Einheit‘ – 35 Jahre Armut, Aufrüstung und Kriegsvorbereitung“.
Bei der offiziellen Veranstaltung traten neben der Initiatorin des Denkmals, Gesine Oltmanns, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) und der neue Kulturstaatsminister Wolfram Weimer als Redner auf. Letzterer hatte erst vor Kurzem für Schlagzeilen gesorgt, als er ankündigte, die Fördermittel für Gedenkstätten zu deutschen Kolonialverbrechen kürzen zu wollen. In seinem „Konservativen Manifest“ beklagt Weimer, dass sich Europa „räumlich“ nicht mehr „vermehre“ und dass „die eigene Kolonialgeschichte als ein durchgehender Sündenfall dargestellt und kritisiert“ werde.
Kretschmer nutzte seine Rede, um die „Friedliche Revolution“ zu preisen, die für ihn „der glücklichste Tag in der deutschen Geschichte“ gewesen sei. Sie habe gezeigt, dass „Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und auch soziale Marktwirtschaft ganz offensichtlich die besseren Konzepte (…) als Sozialismus und Planwirtschaft“ seien. Jung (SPD) warnte unterdessen vor der Zunahme von „Autokratien“ weltweit und betonte, wie zentral Deutschlands Beitrag zur Demokratie sei. Schließlich formulierte Gesine Oltmanns, „Bürgerrechtlerin“ und Ehrenbürgerin der Stadt, die Botschaft des Tages besonders deutlich: Es sei die Verantwortung Deutschlands, die 1989 errungene „Demokratie“ in die Welt zu tragen – etwa nach Georgien oder Serbien. So passt DDR-Diffamierung auch zur „Zeitenwende“.
Während auf der Bühne die „Erfolgsgeschichte der Einheit“ gefeiert wurde, machte das Protestbündnis mit einem Transparent „35 Jahre – Armut, Aufrüstung, Krieg“ auf die Schattenseiten aufmerksam. Unter der Beobachtung von Polizei und Ordnungsamt wurden Flugblätter verteilt, die auf den Zusammenhang zwischen der Annexion der DDR, der heutigen Aufrüstungspolitik und der wachsenden Kriegsgefahr hinwiesen. Die Aktion wurde sowohl von der lokalen Presse als auch vom MDR aufgegriffen.
Das Interesse war größer als erwartet: Viele Passantinnen und Passanten blieben stehen, lasen die Materialien und suchten das Gespräch. Neben einigen ablehnenden Reaktionen überwog Neugier – und teilweise Zustimmung. Wiederholt hieß es, man müsse die deutsche Einheit nicht so verklären, wie es auf der Bühne geschah. Zahlreiche Menschen sagten offen, sie hätten sich in der DDR nie unfrei gefühlt. Warum das heute anders bewertet werde, konnte jedoch kaum jemand beantworten. Große Sorge äußerten viele über die neue Aufrüstung, den Wehrdienst beziehungsweise die mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht. Einige machten den Kapitalismus selbst als Ursache für Krieg und soziale Spaltung aus, auch wenn sie die DDR nicht als Alternative betrachteten.
Trotz der tief sitzenden antikommunistischen Prägung, die viele Diskussionen bestimmte, zeigten sich etliche Teilnehmende offen für alternative Perspektiven. Typisch war die Haltung: Heute sei vieles schlecht, „aber man dürfe immerhin Kritik äußern“ – ein Satz, der sinnbildlich für die Wirkung jahrzehntelanger ideologischer Erzählungen steht.
„Unser Protest war ein sichtbares Zeichen gegen Geschichtsverklärung und Militarisierung – und zugleich ein erfolgreicher Versuch, mit Menschen ins Gespräch zu kommen“, so ein Sprecher des Bündnisses. Die Offenheit vieler habe positiv überrascht. Da das Einheitsdenkmal erst in fünf Jahren offiziell eingeweiht wird, bleibe genügend Zeit, um weiterhin deutlich zu machen, wer von der sogenannten Einheit profitiert – und wer bis heute die Kosten trägt.
Johannes Lemke im Interview.