Kurzer Prozess

Der Leipziger Strafrichter Uwe Berdon hat es eilig. Schließlich ist er als Schnellrichter für die Aburteilung des Angeklagten zuständig. In der Silvesternacht soll der in Handschellen vorgeführte Straßenkünstler im Leipziger Stadtteil Connewitz einem Polizisten ein Bein gestellt haben. Das ist für Richter Berdon keine Lappalie. Am Ende der kurzen Verhandlung belehrt er den Angeklagten eindringlich: „Mit jedem Angriff auf Vollstreckungsbeamte stellt man das staatliche Gewaltmonopol infrage.“ Sechs Monate Haft auf ... Bitte hier anmelden

Bewährung lautet das Urteil. Die Justiz macht kurzen Prozess. Die Strafprozessordnung nennt das beschönigend „beschleunigtes Verfahren“ (Paragrafen 417–420 StPO). Während sich, den jüngsten Erhebungen des Statistischen Bundesamtes zufolge, die durchschnittliche Dauer eines Strafverfahrens zwischen 8,2 Monaten beim Amtsgericht und 11,8 Monaten beim Landgericht bewegt, ermöglicht das Schnellverfahren Aburteilungen in der Rekordzeit von einer Woche. Nicht etwa dadurch, dass Staatsanwälte und Richter schneller arbeiten, sondern dadurch, dass dem Beschuldigten seine letzten Verteidigungsrechte genommen werden: Er wird sofort in Untersuchungshaft überführt (Paragraf 127b StPO), das Zwischenverfahren zur gerichtlichen Prüfung der Anklage ist gestrichen, die Anklage muss noch nicht einmal schriftlich erhoben werden, sondern es reicht der Justiz, wenn der Angeklagte den Vorwurf mündlich erst in der Hauptverhandlung mitgeteilt bekommt (Paragraf 418 StPO). Zeugen brauchen nicht mehr vernommen zu werden, es wird einfach deren Vernehmungsprotokoll verlesen (Paragraf 420 StPO). Diese Vorschriften sprechen Artikel 6 der Menschenrechtskonvention (EMRK) Hohn. Dort liest man, dem Angeklagten müsse ausreichend Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung gegeben werden und sein Recht auf direkte Befragung von Be- und Entlastungszeugen sei unverzichtbar. Der deutsche Gesetzgeber sieht sich hierdurch nicht gehindert, Aburteilungen im Hau-Ruck-Verfahren herbeizuführen, schließlich könne der Amtsrichter ja nur „höchstens ein Jahr Freiheitsstrafe verhängen“. Da muss man es mit rechtsstaatlichen Standards nicht so genau nehmen. Das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz) interessiert nicht weiter, denn „Wir werden diesen Leuten das Handwerk legen“, so der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer am Tag der Urteilsverkündung. Im Jahr 2018 fielen 13.613 mal Entscheidungen im beschleunigten Verfahren – mit einem rapiden Anstieg dieser Zahl ist zu rechnen. Der kurze Prozess ist ohnehin nur ein Instrument im Abbau der Verfahrensrechte. Die große Koalition hat zum Jahreswechsel umfangreiche Änderungen im Beweisantragrecht, der Überwachung der Telekommunikation und der Richterablehnung in Gesetze gegossen. Die Kollegen von Amtsrichter Berdon klatschen Beifall. „Die Strafe folgt auf dem Fuße, die Reaktion des Staates wird sofort sichtbar“ heißt es vom Deutschen Richterbund.

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"Kurzer Prozess", UZ vom 17. Januar 2020



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