Das Recht auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts

Längst überfällig

Von Nina Hager

Natürlich ist es keine Ehe „für Alle“, die der Bundestag am vergangenen Freitag kurz vor der Sommerpause mit großer Mehrheit beschlossen hat. Abgestimmt wurde konkret über eine unverändert eingebrachte Gesetzesvorlage des Bundesrates „zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“. Das war ein längst überfälliger Schritt gegen Diskriminierung, für Gleichstellung, den viele andere europäische Länder und einige außerhalb Europas, allen voran unsere Nachbarn Belgien, die Niederlande und Dänemark, bereits vor Jahren gegangen sind. Selbst in Spanien ist seit 2005 homosexuellen Paaren die Eheschließung ebenso wie die Adoption von Kindern erlaubt. Dass da hierzulande – und nicht nur im Bundestag – jetzt Konfetti regnete, ist verständlich …

Dass der schon länger vorliegende und im Rechtsausschuss des Bundestages diskutierte Gesetzentwurf noch in dieser Legislaturperiode zur Abstimmung stand, ist jedoch nicht selbstverständlich. Alle entsprechenden Anträge im Bundestag, so auch einer der Linkspartei am Beginn der jetzigen Legislaturperiode, wurden durch eine Mehrheit im Bundestag, also auch mit Stimmen der SPD, zuvor abgelehnt, „auf die lange Bank geschoben“ oder in die Ausschüsse verwiesen.

Plötzlich aber kommt nun die SPD nach ihrem Wahlparteitag doch auf die Idee zu verkünden, man gehe in keine Koalition, in deren Vertrag nicht die „Ehe für Alle“ stehe. Offenbar wollte man das Thema im Wahlkampf weiter „puschen“. Kanzlerin Merkel reagierte instinktiv, wahrscheinlich mit einem sehr klugen „Schachzug“. Auf eine entsprechende Frage, erklärte sie auf einer Veranstaltung im Berliner Maxim-Gorki-Theater am Montag nach dem SPD-Parteitag entgegen aller vorherigen Absprachen im Bundesvorstand der CDU: „Und deshalb möchte ich gerne die Diskussion mehr in die Situation führen, dass wir … dass es … dass es eher in Richtung einer Gewissensentscheidung ist, als dass ich jetzt hier per Mehrheitsbeschluss irgendwas durchpauke.“

Die SPD nutzte die Situation, brachte den Gesetzentwurf mit Unterstützung der Partei „Die Linke“ und der Grünen in den Bundestag ein. Merkel konnte nicht mehr zurück. Sie wollte es möglicherweise auch gar nicht: Der Fraktionszwang wurde aufgehoben. 75 Abgeordnete der Unionsfraktion sorgten dafür, dass es für die Gesetzesvorlage im Bundestag eine deutliche Mehrheit gab. Die anderen Abgeordneten aus der Unionsfraktion votierten – wie erwartet – am Freitag bei der namentlichen Abstimmung mit „Nein“, vier enthielten sich. Unter jenen, die mit „Nein“ stimmten, waren Bundeskanzlerin Merkel und der Bundesinnenminister. – Und die SPD hat nun ein Wahlkampfthema weniger.

Doch jene, die jetzt ihre eingetragene Lebenspartnerschaft umwandeln, „richtig heiraten“ und gemeinsam Kinder adoptieren wollen, werden viel Geduld brauchen. Nicht nur, weil das Ganze nun noch einmal im Herbst durch den Bundesrat muss oder weil zudem viele konkrete Bestimmungen zur Umsetzung des Beschlossenen fehlen. Sondern vor allem, weil Unionsabgeordnete vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wollen oder von Unionsparteien geführte Landesregierungen vorschicken werden. Weil angeblich im Zusammenhang mit dem Gesetz zuvor eine Änderung des Grundgesetzes nötig gewesen wäre. Dafür ist im Bundestag eine Zweidrittel-Mehrheit erforderlich.

Das ist auch die Argumentation von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Für ihn ist – ganz im tradierten und konservativen Sinne – die Ehe „eine Verbindung zwischen Mann und Frau“. Er räumt einer Verfassungsklage gegen das neue Gesetz Erfolgschancen ein. Einige Verfassungsrechtler sehen das ähnlich: So erklärte auch Ex-Verfassungsrichter Papier gegenüber dem „Spiegel“, für ihn sei die Ehe „eine Verbindung zwischen Mann und Frau“. Doch im Grundgesetz ist das nun gar nicht definiert. Die entsprechende Formulierung lässt – ganz sicher von seinen Autorinnen und Autoren völlig unbeabsichtigt – völlig offen, zwischen wem eine Ehe als Ehe gilt. Was sie sich damals dabei gedacht haben mögen, ist nicht relevant. Angriffe gegen das beschlossene Gesetz „zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ gibt es – natürlich – auch von der AfD.

Die Befürworter des neuen Gesetzes, darunter auch Politiker der SPD und der Oppositionsparteien, sind derzeit optimistisch, dass das neue Gesetz auch vor dem Bundesverfassungsgesetz bestehen wird. Die SPD-Führung aber muss sich nun auch fragen lassen, warum ihr – „fast revolutionärer“ – Vorstoß erst jetzt kam.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Längst überfällig", UZ vom 7. Juli 2017



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