Diesmal traf der Bannfluch das „Internationale Komitee vom Roten Kreuz“. Ein Knesset-Abgeordneter der rechtsextremen Partei „Otzma Yehudit“ nannte es eine „antisemitische Organisation“. Ganz so weit ging Minister Israel Katz von Benjamin Netanjahus Likud nicht. Sein Büro veröffentlichte eine Erklärung, wonach Besuche von Vertretern des Roten Kreuzes bei bestimmten Gefangenen „die Sicherheit des Staates ernsthaft gefährden“ würden und deshalb untersagt seien. Es betrifft Tausende Gefangene, die auf verschiedenen Listen stehen.
Tatsächlich regelt dieser Erlass nur eine Situation, die faktisch schon seit Kriegsbeginn besteht. Und auch davor schon war der Zugang zu Gefangenen für das Rote Kreuz erschwert oder gar unmöglich gemacht. Grundlage dafür war ein Gesetz aus dem Jahr 2002, das „irregulären Kämpfern“ den Schutz der Genfer Konvention nahm. Sie können auf unbestimmte Zeit und ohne formelle Anklage festgehalten werden. Das Rote Kreuz erhielt allenfalls zu ihrem Austausch oder ihrer Entlassung Zugang. Der Chef der Anti-Terrorismus-Abteilung der israelischen Gefängnisverwaltung warnte in einer Anhörung davor, „ausländische Agenten“ in die Gefängnisse zu lassen, da sie womöglich „negative Botschaften“ überbringen würden.
Im Rahmen der Waffenstillstandsvereinbarung wurden fast 2 000 Palästinenser aus der Haft entlassen – aber mehr als 8.000 verbleiben noch in Haft. Die meisten der ehemaligen Gefangenen wagen es selbst unter der Bedingung der Anonymität nicht, über die Misshandlungen und Folter zu sprechen, denen sie in israelischen Gefängnissen ausgesetzt waren. So bleibt der Nebel des unausgesprochenen Grauens stets präsent und soll die Palästinenser von weiterem Widerstand gegen die Besatzung abhalten.
Die Leichen der Palästinenser, die im Rahmen des Waffenstillstands an palästinensische Behörden übergeben wurden, zeigen in vielen Fällen die Spuren von Folter. Bei manchen gibt es Hinweise darauf, dass sie nach ihrer Gefangennahme erschossen wurden. Ihren Namen hat man ihnen nicht gegeben, sie sind lediglich mit einer Nummer gekennzeichnet. So müssen Angehörige unzählige Fotos von Leichen durchsuchen, um womöglich eine vermisste Person zu finden. DNA-Analysen sind nicht möglich – Israel lässt entsprechende Materialien nicht in den Gaza-Streifen. Das behindert auch die Identifizierung der Leichen von israelischen Geiseln, die in Luftangriffen getötet und verschüttet wurden.
Mehr als 80 Palästinenser kamen seit Beginn des Krieges in israelischen Gefängnissen zu Tode. Der rechtsextreme Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir will mehr. Vor gequälten und gefesselten palästinensischen Gefangenen forderte er die Todesstrafe für Terroristen.
Ein Video einer besonders brutalen Massenvergewaltigung eines Gefangenen durch Soldaten wurde an die Presse durchgestochen – von der Generalstaatsanwältin der Armee. Sie – nicht die Soldaten – wurde unter Druck gesetzt und musste zurücktreten. Gegen sie wurde ein Verfahren eröffnet.
Israelische Menschenrechtsorganisationen verlangten in einer Eingabe an den Obersten Gerichtshof ein Ende des Gesetzes von 2002 und den Schutz der Genfer Konvention für „irreguläre Kämpfer“, und damit den auch Zugang für das Rote Kreuz. Mit immer fadenscheinigeren Begründungen bat die Regierung das Gericht, die Behandlung des Antrags zu verschieben. Eine Anhörung Ende Oktober brachte noch keine Entscheidung.
Das Rote Kreuz fühlt sich noch immer der Neutralität verpflichtet und will sich nicht einfach zum Erfüllungsgehilfen israelischer Politik machen lassen. So wird es zum Feindbild der israelischen Regierung.









