Wir dokumentieren die Rede von Ulrike Eifler, Gewerkschaftssekretärin der IG Metall in Würzburg und Mitglied des Parteivorstands von „Die Linke“, gehalten auf dem Ostermarsch in Stuttgart am 19. April in voller Länge. Für bessere Lesbarkeit haben wir die Rede bearbeitet.
Liebe Freundinnen und Freunde,
die „Zeitenwende“, die auf eine vollständige militaristische Durchdringung unserer Gesellschaft abzielt, ist vorbei. Die Bundesregierung ist inzwischen zu einer Politik offener Kriegsvorbereitungen übergegangen. Sie bereitet den Krieg gegen Russland vor. So fordert der CDU-Parlamentarier Roderich Kiesewetter: „Der Krieg muss nach Russland getragen werden“. Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte an der Universität Potsdam, spricht vom „womöglich letzten Friedenssommer“. Und der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, fragt nicht nur „Können wir Krieg?“, nein, er sagt auch: „Abschreckung muss nicht immer reaktiv sein, sie hat auch aktive Komponenten“.
Liebe Freundinnen und Freunde,
während sich Rheinmetall, Krauss Maffei Wegmann und Diehl Defense an Militarisierung und Aufrüstung dumm und dämlich verdienen, zeigt ein Blick in den Koalitionsvertrag von Union und SPD, dass diese Kriegsvorbereitungen vor allem zu unseren Lasten gehen werden. Ein Panzer kostet 27 Millionen Euro, der Bau einer Grundschule 25 Millionen. Wer also den Weg frei macht für unbegrenzte Aufrüstung, der wird sich das Geld dafür bei der Bildung, der Renten- oder der Pflegeversicherung holen. Und wenn wir genau hinsehen, dann sehen wir das schon jetzt: Denn während Rüstungsausgaben in unbegrenztem Umfang möglich sein sollen, wird alles andere unter Finanzierungsvorbehalt gestellt.
Der Koalitionsvertrag hält nichts bereit, was in unserem Interesse wäre: keine Mindestlohnerhöhung auf 15 Euro und auch kein Versprechen auf ein Bundestariftreuegesetz. Der Koalitionsvertrag sagt klar: Vergaben zur Deckung der Bedarfe der Bundeswehr sind von der Tariftreue ausgenommen. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich finde, steigende Einkommensverluste sind eine zu ernste Angelegenheit, als dass man sie der Militärlogik unterordnen sollte. Lassen wir uns also keinen Sand in die Augen streuen.
Gerade die aktuelle Tarifrunde im Öffentlichen Dienst hat doch gezeigt, dass in einer gesellschaftlichen Atmosphäre aus Deindustrialisierung, Inflation und Sozialabbau nicht die Forderungen der Gewerkschaften Rückenwind bekommen, sondern die Forderungen der Arbeitgeber nach Arbeitszeitflexibilisierung, Lohnverzicht und Abweichung von Tarifverträgen. Hieß es nicht noch vor einigen Jahren, dass die Kolleginnen und Kollegen insbesondere in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen systemrelevant sind? Haben wir sie nicht jeden Abend auf unseren Balkonen als Helden beklatscht? Diese Zeiten sind offenbar vorbei. Weil alle Ausgaben, die im Zusammenhang mit Aufrüstung und Kriegsvorbereitungen stehen, jetzt problemlos finanziert werden sollen, müssen diejenigen, die dieses Land am Laufen halten, verzichten.
Und wenn Boris Pistorius sagt, ein guter Abschluss im Öffentlichen Dienst verhindere eine gute Ausstattung der Bundeswehr, dann ist der Platz der Friedensbewegung an der Seite der Beschäftigten! Denn jeder Euro, der in den Geldbeuteln der Kolleginnen und Kollegen landet, der fehlt für die wahnsinnigen Rüstungsprojekte der Bundesregierung. Und wenn die Verhandlungsführerin der Arbeitgeberseite, Karin Welge, sagt: „Die Tarifforderungen von ver.di“ – also die Forderungen der Pflegekräfte, der Grundschullehrerinnen und der Kitabeschäftigten – „passen nicht in diese Zeit“, dann kann unsere Antwort nicht der Verzicht sein, sondern dann kämpfen wir für eine Veränderung dieser Zeiten!
Doch Verzicht und Einschränkungen erfahren nicht nur die Kolleginnen und Kollegen im Öffentlichen Dienst, sondern wir alle, die wir auf eine funktionierende Daseinsvorsorge angewiesen sind. Denn wir erleben aktuell einen militärischen Umbau der Daseinsvorsorge, der zu erheblichen Einschränkungen für die breite Bevölkerung führen wird.
Während wir mit stillgelegten Strecken, verspäteten Züge und zu wenig Bahnpersonal konfrontiert sind, verpflichtet die Bundesregierung die Deutsche Bahn auf der Grundlage des Verkehrssicherstellungsgesetzes dazu, eine bestimmte Verkehrsleistung für die Bundeswehr bereitzuhalten. Dass ihnen der Gedanke, die Sicherstellung der Verkehrsbeförderung für die breite Bevölkerung per Gesetz festzuschreiben und anzuordnen, gar nicht in den Sinn zu kommen scheint, spricht Bände.
Im niederländischen Fernsehen sagte der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Marcel Bohnert, kürzlich, dass bei einem Spannungsfall an der Ostflanke über mehrere Monate unser Autobahn-, Schienen- und Hafennetz belegt sein würde, weil mehrere hunderttausende alliierte Truppenverbände und mehrere zehntausend Gefechtsfahrzeuge von West nach Ost einmal quer durch Deutschland geleitet werden müssten. Man mag sich gar nicht vorstellen, was das für die tausenden Pendlerinnen und Pendler bedeutet.
Besonders gut lässt sich die Einschränkung der Daseinsvorsorge aber im Gesundheitswesen erkennen, wo die Verzahnung von ziviler Gesundheitsversorgung und Militärmedizin dazu führt, dass die Militärmedizin auf die vorhandenen Ressourcen der zivilen Gesundheitsversorgung zugreifen soll. Auf die jahrzehntelange Ökonomisierung des Gesundheitswesens folgt nun also seine Militarisierung: Die knappen Ressourcen sollen der breiten Bevölkerung schleichend entzogen und dem Militärsektor zur Verfügung gestellt werden. Das geht auch aus dem „Grünbuch“ hervor, das die Bundesregierung Anfang des Jahres veröffentlichte. Dort wird im Falle eines Krieges mit 1.000 verletzten Soldaten pro Tag gerechnet, die auch in zivilen Krankenhäusern versorgt werden sollten. Die medizinische Versorgung von Lungenentzündungen, Herzinfarkten oder Krebserkrankungen dürfte weiter darunter leiden. Nicht ohne Grund also wird im Grünbuch darauf hingewiesen, dass man die Bevölkerung darauf vorbereiten müsse, dass sie Einschränkungen bei der Gesundheitsversorgung hinzunehmen habe.
Aus diesem Grund ist es auch eine Illusion, zu glauben, die 500 Milliarden Euro Sondervermögen führten nun dazu, dass endlich ausreichend Geld zur Verfügung stehe, um kaputte Schuldächer zu reparieren, Pflegekräfte zu entlasten und flächendeckende Kita-Angebote zu machen. Das Gegenteil wird der Fall sein: Die soziale und öffentliche Infrastruktur wird weiter vor sich hin rotten, denn das „Sondervermögen“ wird dringend benötigt, um die öffentliche Infrastruktur kriegstüchtig zu machen. Bereits im vergangenen Sommer bemängelte die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, dass die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland derart marode sei, dass sie die Sicherheit Europas gefährdete, weil sie die Militärbewegungen beeinträchtigte. Notwendig sei deshalb ein „Sondervermögen“, um die Brücken und Straßen kriegstüchtig zu machen. Die Stadt Köln plant zudem eine unterirdische Intensivstation, und auch der Ausbau der Schieneninfrastruktur, der die Anbindung Osteuropas an die NATO sicherstellen soll, indem die Spurweiten in Osteuropa an die hier gängige Spurweite angepasst wird, wirft Kosten im zweistelligen Milliardenbereich auf.
Nicht grundlos gibt es bereits Spekulationen, ob die 500 Milliarden Euro „Sondervermögen“ überhaupt ausreichen werden. Und nicht grundlos hat das Bundesfinanzministerium auf der Kommunikationsplattform X bereits angekündigt, dass die Summe von 500 Milliarden Euro durch das Einwerben von privatem Kapital auf 2 bis 3 Billionen Euro erweitert werden soll.
Liebe Freundinnen und Freunde,
vorbei ist die Zeit, in der Abrüstungsverträge die Welt sicherer machen sollten. An ihre Stelle sind Aufrüstungsverpflichtungen in Form von NATO-Zielen getreten. Vorbei ist die Zeit, in der die Politik von „Wandel durch Handel“ die verhärteten Beziehungen zwischen Staaten aufgebrochen hat. An ihre Stelle ist eine Politik getreten, die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen rigoros abbricht, Städtepartnerschaften beendet und russische Künstler mit Auftrittsverboten belegt. Dabei wissen wir aus der Zeit des Kalten Kriegs: Wer den Krieg verhindern will, hält Gesprächskanäle offen. Nur wer den Krieg vorbereitet, bricht alle Kontakte und Beziehungen ab.
Liebe Freundinnen und Freunde,
wir wissen sehr genau, wer auf den Schlachtfeldern der Geschichte gekämpft und wer nicht. Denn in jeder deutschen Stadt gibt es im Stadtzentrum einen Gedenkstein mit den Namen der im Ersten oder Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten. Diese Namen – das sind unsere Namen, die Namen von Tischlern, Metzgern und Industriearbeitern. Es sind nicht die Namen von Kriegsministern, Rüstungsfabrikanten und Oligarchen. Nein, es sind unsere Namen. Und wie damals auch wollen sie uns heute in ihre Kriege schicken, auf ihren Schlachtfeldern kämpfen und sterben lassen, für ihre Interessen und für ihre Profite.
Liebe Freundinnen und Freunde, von Mark Twain stammt der Satz: „Geschichte wiederholt sich nicht, aber die reimt sich.“ Lasst uns also eingreifen in die Geschichte, in ihr Reimschema, in ihr Versmaß. Lasst uns die Geschichte so aus dem Takt bringen, dass uns niemals wieder jemand befiehlt, in den Krieg zu ziehen, in Schützengräben zu erfrieren und auf Schlachtfeldern zu verbluten!
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit, und Glück auf!
Ulrike Eifler ist Gewerkschaftssekretärin der IG Metall in Würzburg und Mitglied des Parteivorstands von „Die Linke“