Hamburger Referendum gestartet

Oh, oh, Olympia

Von Birgit Gärtner

Die HamburgerInnen sind aufgerufen, bis zum 29. 11. 2015 ihre Meinung zu der vom Senat geplanten Bewerbung als Austragungsort für die Olympischen Sommerspiele 2024 zu äußern. Dazu wurden Stimmzettel sowie Infomaterial an die Stimmberechtigten verschickt. Die Stimmzettel können ausgefüllt zurückgeschickt, oder am 29. 11. in einem Wahllokal abgegeben werden. 259 883 Hamburgerinnen und Hamburger müssen mindestens mit „Ja“ stimmen, um dem Senat grünes Licht für die Bewerbung zu geben. So genau weiß allerdings derzeit niemand, über was genau eigentlich abgestimmt wird. Jedenfalls, was die Kosten anbetrifft. Denn die lassen sich frühestens im Frühjahr 2016 überblicken. Deshalb behält der Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sich auch vor, die Bewerbung eventuell trotz positiven Entscheids zurückzuziehen. Bis dahin sind aber schon mehrere Millionen Euro verpulvert worden, die an anderer Stelle nötig gebraucht würden.

„Eines muss allen klar sein: Oberste Priorität muss allein schon aus humanitären Gründen die Unterbringung und Integration der Flüchtlinge in Hamburg haben. Das ist ein gesellschaftspolitisches Mammutprojekt. Bei Olympia und den Paralympics geht es am Ende doch nur um eine Sportveranstaltung von zweimal 16 Tagen.“ Dieser Satz stammt

Während des „Sommermärchens“ 2006

mussten sich Würstchenverkäufer

einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz unterziehen.

nicht von Scholz. Auch nicht von den Abgeordneten der Partei „Die Linke“, Heike Sudmann und Mehmet Yildiz, verantwortlich in der Bürgerschaftsfraktion für Stadtentwicklung und Sport und erklärte Olympia-Gegnerinnen. Auch nicht von Dirk Seifert von der Initiative „NOlympia“. Auch nicht vom FC St. Pauli, der entschieden hat, den Olympiawahn nicht aktiv zu unterstützen, aber die Aktivitäten im Rahmen der Flüchtlings-Willkommenskultur zu intensivieren. Und das nicht nur sagt, sondern auch entsprechend handelt.

Dieser Satz stammt von Robert Eckelmann, Vorstandschef der 150-jährigen Reederei Carl Robert Eckelmann. Der Manager hat etwas sehr Elementares begriffen. Leider ist diese Erkenntnis im Rathaus noch nicht angekommen. Scholz trommelt munter weiter pro Olympia, obwohl ihm viel Gegenwind, z. B. durch den Bundesrechnungshof, entgegen bläst und der Bund sich mit Zusagen für Kostenbeteiligung noch sehr bedeckt hält. Auch kann derzeit niemand sagen, wie teuer die Verlagerung der Hafenbetriebe vom Kleinen Grashof, wo das Olympische Dorf gebaut werden soll, tatsächlich wird.

Die Zahl der Kosten für Olympia, die gehandelt wird, beläuft sich auf 11,2 Mrd. Euro, von denen der Bund 6,2 Euro tragen soll. Der will aber erst im Frühjahr entscheiden, ob er sich überhaupt an den Kosten beteiligen würde. Laut Heike Sudmann gab es in den letzten 50 Jahren von der Bewerbung bis zur Endabrechnung durchschnittlich 50 Prozent Kostensteigerung. 5,3 Mio. Euro hat die Olympia-Werbung bislang verschlungen. Davon 250 000 Euro für Werbeveranstaltungen. Summen, die aus Steuergeldern finanziert werden. Die also auch diejenigen mitbezahlen, die gegen Olympia sind.

Senat und Unternehmen wie ECE Projektmanagement, die mit dem Bau von Gebäuden und Stadien Milliardengewinne einstreichen könnten, streuen die Illusion, Olympia sei nicht nur sinnvoll, sondern quasi notwendig für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Wer sich dieser Illusion hingibt, der oder dem sei ein Blick nach Südafrika empfohlen, wo 2010 die Fußball-WM stattfand. Für den Bau der Stadien und anderer notwendiger Gebäude wurden Straßenhändler vertrieben, also knallhart Existenzen zerstört. In der Stadt Nelspruit, bzw. 7 km außerhalb dieser Stadt, mitten im Township Mataffin, wurde ein Stadion für etwa 113,5 Mio. Euro errichtet. Dazu wurden die Hütten der dort lebenden Menschen abgerissen, auch Kindergarten und Grundschule mussten weg. Ebenso die weiterführende Schule, dort zog das Büro der Baufirma ein. Die Einheimischen erhielten ein paar Euro Entschädigung, bauten sich neue Hütten weiter den Berg hinauf. Die Kinder wurden monatelang in eilig aufgestellten Containern unterrichtet.

Heute steht dieses Stadion leer. Die Menschen können sich die Eintrittspreise nicht leisten, die Clubs spielen vor leeren Rängen. Geblieben sind neben geplatzten Träumen leerstehende Gebäude, die entweder vergammeln oder deren Instandhaltung Kosten von 450 000 Euro pro Jahr verursacht. Kosten, die von der Stadt getragen werden müssen.

Mega-Sport-Events wie Olympia oder die Fußball-Weltmeisterschaft sind alles andere als eine große Party: Weltweit müssen Menschen unter den härtesten Bedingungen dafür schuften, um sie möglich zu machen. Dafür stehen Firmen wie Coca-Cola oder Adidas. Kinderarbeit, Hungerlöhne und ermordete Gewerkschafter – das ist die Kehrseite der Medaille. Außerdem sollten wir uns daran erinnern, dass während der WM 2006 in Deutschland die bisher größte Gesinnungsschnüffelei in der Geschichte der BRD und ein noch nie da gewesenes Sicherheitsprogramm durchgezogen wurde. Selbst Stadion-Würstchenverkäufer mussten sich einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz unterziehen. In Hamburg wurde eigens ein WM-Knast errichtet.

Abgesehen davon ist Olympia bei weitem nicht so harmlos, wie uns glauben gemacht werden soll. „Die Jugend der Welt“ treffe sich in Hamburg, heißt es allenthalben in der Olympia-Werbung. Nee, nicht die Jugend trifft sich, sondern Athletinnen und Athleten, die vielfach den Armeen ihres Landes angehören und dort gefördert werden. Mit jeder Medaille für diese sympathischen Aushängeschilder werden auch die Verdienste der jeweiligen Armee mit geehrt. Außerdem sind viele olympische Disziplinen ursprünglich militärische Übungen.

Das International Olympic Committee (IOC) wird 2017 über den Austragungsort für Olympia 2024 entscheiden. Nach Kriterien, die sehr undurchsichtig erscheinen. Laut Bild entscheiden letztendlich die Ehefrauen der IOC-Funktionäre – und zwar danach, wo sie am besten shoppen können. Das jedenfalls behauptete der umtriebige Sportfunktionär Walther Tröger. Da kann Hamburg ja froh sein, dass der Europa-Passage ein Schicksal wie der Elbphilharmonie erspart geblieben ist. Die Shoppingmall an der Alster könnte bis 2024 ja noch unterirdisch mit dem einen oder anderen Nobelhotel verbunden werden, um den IOC-Ehefrauen Ungemach zu ersparen.

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"Oh, oh, Olympia", UZ vom 6. November 2015



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