Nach dem Parteitag im Covid-19-Ausnahmezustand – Köbele: „Die Situation schreit nach Eingreifen der Partei“. Interview mit dem DKP-Vorsitzenden Patrik Köbele und der Stellvertretenden Vorsitzenden der DKP, Wera Richter

„Parteistärkung geht nicht auf Knopfdruck“

UZ: Der 23. Parteitag der DKP fand vom 28. Februar bis zum 1. März statt. Wenige Wochen später erleben wir einen Ausnahmezustand aufgrund der Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie. Ist die Umsetzung der Beschlüsse des Parteitages nun erst einmal auf Eis gelegt?

Patrik Köbele: Die Situation erschwert die Auswertung des Parteitags und die Umsetzung der Beschlüsse massiv. Im Schatten von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wird ein drastisches Programm der Notstandsübung mit dem Kernstück der „freiwilligen“ Selbstisolierung durchgezogen. Öffentliche Aktivitäten sind erschwert. Allerdings gibt es auch positive Einzelbeispiele wie die Nachbarschaftsbriefaktion der DKP in Bottrop zum Coronavirus.

Wir werden einen Weg finden, wie wir mit dem Parteivorstand im April den Parteitag auswerten und politische Maßnahmen entwickeln. Natürlich müssen wir die aktuelle Lage berücksichtigen und dürfen die Gesundheit der Genossinnen und Genossen nicht gefährden. Aber die Situation schreit geradezu nach dem Eingreifen der Partei. Ganz offensichtlich wird das Virus genutzt, um die Krisenlasten, die im Kern Ergebnis des Kapitalismus sind, auf die Menschen abzuwälzen. Das Ganze wird mit einem Notstandsszenario verbunden, das ich so noch nie erlebt habe. Da mag manche Maßnahme berechtigt sein, es ist aber auch eine Übung für Krisenzeiten ohne Virus.

Deshalb sind wir gefordert und müssen das Parteileben aufrecht erhalten. Das erfordert andere Methoden, die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel und sicherlich wird mancher Infostand durch das Stecken von Flugblättern beim Spaziergang ersetzt werden müssen. Entscheidend ist aber, dass wir die Aktivität der Partei und kollektive Diskussionsprozesse aufrecht erhalten bei Minimierung der gesundheitlichen Risiken.

UZ: Der Leitantrag wurde nur mit einer für ein zentrales Dokument knapper Mehrheit beschlossen. Verschwindet es jetzt in der Schublade – auch angesichts der Covid-19-Pandemie?

Wera Richter: Den Entwurf des Leitantrags haben wir mehrfach selbstkritisch bewertet. Er hätte besser sein sollen. Das ändert nichts daran, dass die Grundlinie richtig ist. Das Dokument stellt sich der Frage und gibt erste Antworten darauf, wo und wie die Offensive des Monopolkapitals behindert werden kann.

Momentan erleben wir im Schatten des Virus eine gewaltige Offensive des Monopolkapitals. Wir erleben aber auch, dass die Menschen Fragen haben, dass sie die Widersprüche sehen. Warum gilt die Schuldenbremse nur, wenn es um Investitionen in das Gesundheitswesen und die öffentliche Daseinsvorsorge, also um soziale Belange geht? Warum ist sie sofort vom Tisch, wenn es um die Rettung von Konzernen und Banken geht? Warum werden alle Veranstaltungen und Demonstrationen verboten, aber die größte Massenveranstaltung – die tägliche Arbeit von Millionen – nicht? Dort, wo tatsächlich Arbeit ausfällt, tragen die Arbeitenden die Folgen, müssen Urlaub nehmen oder die Konzerne bekommen mit Kurzarbeitergeld öffentliche Mittel.

Warum droht das Gesundheitswesen zu kollabieren? Warum hetzt man gegen die VR China, statt von deren Erfahrungen zu profitieren und sie um Hilfe zu bitten? Warum lernt man nicht von ihnen, dass es wichtig ist, möglichst viele Menschen zu testen, weil die Symptome des Virus erst spät auftreten oder manchmal gar nicht erkannt werden?

Natürlich war der Parteitag nicht konfliktfrei und die Mehrheit für den Leitantrag war denkbar knapp. Das lag aber an ganz verschiedenen Fragen. Das Grundanliegen, die Frage nach möglichen Brüchen und damit Chancen für das Eingreifen und erfolgreiche Klassenkämpfe, wurde von vielen bekräftigt.

UZ: Was hat dann zum schlechten Abstimmungsergebnis geführt?

Patrik Köbele: Wir sind uns recht sicher, dass die Motive für die Gegenstimmen unterschiedliche waren. Es gab Genossinnen und Genossen, denen die Qualität für ein Parteitagsdokument nicht ausreichte. Sie hätten den Leitantrag lieber als Arbeitsmaterial und Diskussionsgrundlage beschlossen, um ihn weiter zu qualifizieren.

Andere haben den Leitantrag abgelehnt, weil sie mit der Gewichtung des Kampfes um eine intakte Umwelt nicht einverstanden waren. Wieder andere waren mit den Einschätzungen der internationalen Kräfteverhältnisse, insbesondere der Einschätzung der VR China oder der Außenpolitik der Russischen Föderation, nicht einverstanden. Diese Auseinandersetzung ist nicht neu. Der Parteitag hat beschlossen, dazu eine Diskussion zu organisieren. Wir wollen dazu als Parteivorstand zügig einen Vorschlag entwickeln.

UZ: Im internationalen Bereich gab es auch eine Auseinandersetzung zur Solidarität mit dem sozialistischen Kuba …

Wera Richter: Das war unschön und vor allem unnötig. Im Beschluss zur internationalen Arbeit haben wir die Solidarität mit Kuba hoch gewichtet und wir haben einen zusätzlichen Beschluss zur „Solidarität mit dem sozialistischen Kuba“ in Abstimmung mit der kubanischen Partei verabschiedet. Wir sammeln bis zum Jahresende 10.000 Euro für den Aufbau eines Studienzentrums, das sich mit dem Werk Fidel Castros befasst. Und wir sammeln 10.000 Euro für die Kommunistische Partei Venezuelas. Es gibt aus meiner Sicht keinen Konflikt um unsere Haltung zu Kuba. Wir versuchen, mit der Kuba AG und der Internationalen Kommission die Solidaritätsarbeit der Partei wieder zu verstärken, was angesichts der Verschärfung der Blockade auch sehr notwendig ist.

UZ: Dennoch wurde ein zusätzlicher Antrag zur Solidarität mit Kuba abgelehnt.

Patrik Köbele: Dieser Antrag enthielt keine konkreten Projekte, er sollte noch einmal, neben dem Internationalen Antrag und dem Soli-Antrag, die besondere Solidarität mit Kuba bekräftigen. Aus Sicht des alten Parteivorstands wären wir damit Gefahr gelaufen, eine Bewertung der Länder mit sozialistischer Orientierung vorzunehmen, also Kuba über unsere traditionell besondere Solidarität hinaus herauszuheben. Das kann aus unserer Sicht nicht die Herangehensweise der DKP sein. Wir hielten deshalb einen zusätzlichen Antrag neben dem Antrag zur Internationalen Arbeit nur im Zusammenhang mit einer konkreten Soli-Maßnahme für sinnvoll. Dieses konkrete Projekt hat der Parteitag beschlossen. Der Antrag, den der Parteitag abgelehnt hat, enthielt keine solche Option. Ihn zu beschließen, hätte allerdings einer Interpretation die Tür aufgemacht, dass die deutschen Kommunisten glauben, sie könnten Noten vergeben, wie die Versuche der Wege zum Sozialismus in den unterschiedlichen Ländern, in denen kommunistische Parteien regieren, zu bewerten sind. Allerdings haben wir und ich das wohl auf dem Parteitag nicht gut vermittelt.

UZ: Es gibt eine Reihe von Ergänzungen im Leitantrag zur antifaschistischen Arbeit. Ein eigenständiger Antrag, der eine Kampagne in diesem Bereich vorschlug, wurde abgelehnt. Warum?

Patrik Köbele: Sowohl im Referat als auch im Leitantrag führen wir aus, dass die AfD Ergebnis und Instrument der Rechtsentwicklung, nicht aber deren Wesen ist. Rechtsentwicklung ist umfassender, dazu gehört, dass dieses Land wieder Angriffskriege führt, dazu gehört der zunehmende Militarismus, dazu gehören die Angriffe auf die soziale Lage der Arbeiterklasse und anderer Werktätiger.
Die Linie des abgelehnten Antrags war eine andere und beinhaltete aus unserer Sicht die Gefahr, den Kampf gegen Rechts auf den Kampf gegen die AfD zu reduzieren. In dieser Linie sollte der Parteitag eine zentrale Kampagne beschließen. Das wäre aus unserer Sicht vor allem ohne vorherige Debatte in der Partei nicht richtig gewesen. Wir sehen aber durchaus, das habe ich auch im Referat gesagt, dass die Frage der Rechtsentwicklung, die Frage des antifaschistischen Kampfes einer klärenden Debatte, übrigens nicht nur in der DKP, bedarf. Für die DKP wollen wir dazu jetzt ebenfalls zügig Vorschläge entwickeln, wie wir die Debatte und den Kampf gegen rechts führen können.

UZ: In einer ersten Auswertung für die UZ hast du, Wera, von einem ermutigenden Erfahrungsaustausch gesprochen, der eine kämpfende und vielfach anerkannte Partei zeige. Und dennoch wurde geäußert, dass der Fortbestand der DKP gefährdet ist und die Erfolge bei der Mitgliedergewinnung nicht ausreichen. Wie passt das zusammen?

Wera Richter: Mit dem Erfahrungsaustausch wollten wir Bilanz ziehen, inwieweit der Beschluss zur Parteistärkung des 22. Parteitages umgesetzt wurde und Wirkung zeigt. Dem haben wir auf dem Parteitag viel Raum gegeben und das war richtig. Insbesondere der Austausch zur Arbeit im Bereich Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, die Erfahrungen in der Branchenarbeit im Gesundheitswesen und im Bereich der Bildungs- und Erziehungsarbeit, aber auch in der Kommunalpolitik haben gezeigt, dass wir Fortschritte im Ringen um die Wiederverankerung in der Klasse machen. Wir entwickeln durch unsere gemeinsame Praxis auch unsere inhaltlichen Positionen weiter, zum Beispiel im Beschluss zur Gesundheitspolitik oder im Leitantrag in der Orientierung auf den Kampf gegen Privatisierung öffentlichen Eigentums.
Wir haben mehrfach festgestellt, dass Parteistärkung nicht auf Knopfdruck geht, sondern Zeit braucht. Wir brauchen Zeit zur Verständigung um Grundfragen, die in der Partei ungeklärt sind. Hier wollen wir zunächst, Patrik hat es gesagt, Debatten und Bildungsarbeit um die Einschätzung der VR China und um die Einschätzung der Rechtsentwicklung und unsere Aufgaben im antifaschistischen Kampf organisieren.

Wir brauchen Zeit zur Stärkung und Reorganisation unserer Strukturen. Wir neigen dazu, unsere kleine Partei zu überfordern, viel hineinzurufen, was in den Grundorganisationen nicht immer ankommt, also dort auch nicht diskutiert und umgesetzt werden kann. Wir brauchen eine bessere Verständigung mit den Bezirken als mittlere Ebene über den Inhalt von Beschlüssen und ihre Realisierbarkeit in den Grundorganisationen, unseren wichtigsten Gliederungen. Wir planen in diesem Sinne Beratungen mit den Bezirken, zunächst zur Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit und im Herbst zur Mitgliedergewinnung.

UZ: Wäre es nicht besser gewesen, eine Handlungsorientierung als zentrales Dokument in die DKP zu geben, wie es der Bezirk Südbayern getan hat? Offenbar gibt es angesichts der Aufgabe des Neuaufbaus von Parteistrukturen hier großen Bedarf.

Wera Richter: Der Leitantrag mit der Verständigung auf Schwerpunkte in der Friedensarbeit, im Kampf um unsere demokratischen Rechte und bessere Arbeits- und Lebensbedingungen – und hinzugekommen, um eine intakte Umwelt – ist die inhaltliche Grundlage für eine Handlungsorientierung. Wir sahen und sehen den neuen Parteivorstand in der Pflicht, daraus einen Arbeitsplan, also eine Handlungsorientierung für die kommenden beiden Jahre zu entwickeln. Die konkrete Orientierung des Parteitages, die in Einklang mit dem Leitantrag vom Parteitag ausgehen sollte, waren der Widerstand gegen das US- und NATO-Manöver „Defender 2020“ und das organisierte Eingreifen in die Tarifauseinandersetzungen im Öffentlichen Personennahverkehr.

Der Beschluss der Handlungsorientierung aus Südbayern ist eine für die Parteistärkung notwendige Ergänzung. Er hilft, die Aufgaben für Bezirke und Grundorganisationen konkret und verbindlich, also auch abrechenbar, zu formulieren. Wir wollten das konkret an diesen beiden Vorhaben durchspielen. Das muss nun etwas warten. „Defender 2020“ wurde von Corona gestoppt, aber als Partei waren wir von Anfang an in die Strukturen der Friedensbewegung eingebunden und haben Aktivitäten mit vorangetrieben. Das wird helfen, den Widerstand gegen das Manöver schnell wieder aufzunehmen, denn es ist klar: Diese Kampfansage an die VR China und die Russische Föderation ist nur verschoben. Sie soll künftig jährlich stattfinden.

Die aktuelle Situation mit Corona kann auch den Tarifkämpfen im ÖPNV einen Strich durch die Rechnung machen. Auch die Durchführung unseres Pressefestes ist noch nicht gesichert. Möglicherweise wird dadurch der Bundestagswahlkampf für uns eine noch größere Rolle spielen.

UZ: In der UZ vom 13. März haben wir die Forderungen der DKP für Ostdeutschland dokumentiert. Insgesamt hat das Thema eine größere Rolle gespielt. Aber auch hier wieder die Diskrepanz. Warum führt die stärkere Auseinandersetzung mit der beziehungsweise Hinwendung zur DDR nicht zu stärkeren Strukturen ist Ostdeutschland?

Patrik Köbele: Wir werden die Forderungen für Ostdeutschland als Öffentlichkeitsmaterial herausgeben und damit in Ostdeutschland ein Diskussionsangebot machen. Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Zusammenarbeit mit dem Rotfuchs-Förderverein und dem Ostdeutschen Kuratorium von Verbänden, insbesondere mit der GRH und ISOR, intensiviert. Vor allem im Friedenskampf stehen wir Seite an Seite, aber auch in der Verteidigung der Errungenschaften der DDR und der Zurückweisung ihrer Delegitimierung nicht zuletzt durch Teile der Partei „Die Linke“.
Diese gewachsene und vertrauensvolle Zusammenarbeit führt noch nicht zur Stärkung unserer Strukturen. Auch hier, denken wir, kann der Bundestagswahlkampf helfen, die Zusammenarbeit zu verstetigen und unsere Ausstrahlung als kommunistische Partei in Ostdeutschland erhöhen. Es war ja kein Zufall, dass der Antrag zur Kandidatur aus Brandenburg kam und wir einen Schwerpunkt im Wahlkampf auf Ostdeutschland beschlossen haben. Hier werden wir nun weitere Gespräche zur Zusammenarbeit führen.

UZ: Ein Fazit – Geht die DKP gestärkt aus dem 23. Parteitag hervor?

Patrik Köbele: Ja, es war der Parteitag einer Partei in Bewegung, einer streitbaren Partei. Natürlich führt Streit auch manchmal zu Verletzungen, andersherum wissen wir auch, dass der Widerspruch der Motor des Erkenntnisgewinns ist. Die auch durch das gute Wahlergebnis mit viel Vertrauen ausgestattete Parteiführung wird nun die Verantwortung haben, die Debatte und das weitere Eingreifen der Partei zu organisieren. Das wird durch die aktuelle Corona-Situation erheblich erschwert. Trotzdem sind die Beispiele, zum Beispiel aus Bottrop und Heidenheim, durchaus ermutigend. Vor allem wenn es gelingt, die Beiträge, die in den beiden Blöcken des Erfahrungsaustauschs gehalten wurden, zu verallgemeinern, dann war auch dieser Parteitag ein Schritt vorwärts.

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"„Parteistärkung geht nicht auf Knopfdruck“", UZ vom 27. März 2020



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