Zur Gründung der Warschauer Vertragsorganisation vor 70 Jahren • Von Anton Latzo

Pfeiler von Sicherheit und Frieden

Mitte der 1950er Jahre stand die Frage der Remilitarisierung der BRD im Mittelpunkt der Politik in Europa. Der Versuch, das Projekt der Herrschenden in den USA und in Westeuropa mithilfe des EVG-Vertrags zu verwirklichen, war gescheitert. Der Bonner Regierung gelang es aber, gemeinsam mit den USA, die Einbeziehung der BRD in das NATO-System durchzusetzen. Bonn erhielt nun auch offiziell die Möglichkeit, eine Armee von 500.000 Mann aufzustellen.

Auf einer Konferenz der NATO, die vom 9. bis 11. Mai 1955 tagte, wurde die BRD – nur zehn Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschlands – offiziell in die NATO aufgenommen, die offen antisowjetische Ziele verfolgte, gegen die sozialistische Entwicklung in Osteuropa gerichtet war und damit eine Gefahr für den Frieden darstellte.

Nachdem die vorherigen Warnungen und Vorschläge der So­wjet­union, der DDR und der volksdemokratischen Staaten unberücksichtigt blieben, beschlossen diese, ein eigenes Bündnis zu bilden. Am 14. Mai 1955 unterzeichneten sie in Warschau den Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand und bildeten ein Vereintes Kommando der Streitkräfte der Teilnehmerstaaten. Die Volksrepublik China war als Beobachter vertreten.

Die Warschauer Vertragsorganisation (WVO) war aber nicht einfach nur eine Gegenaktion zur NATO. Sie entwarf zugleich einen konstruktiven Ausweg aus der gefährlichen Situation, indem sie konkrete Vorschläge zur Schaffung von Frieden, Sicherheit und gleichberechtigter Zusammenarbeit in Europa unterbreitete.

Schon im Februar 1954 unterbreitete die So­wjet­union auf der Berliner Außenministerkonferenz der Vier Mächte eine mit den volksdemokratischen Staaten abgestimmten Entwurf eines „Gesamteuropäischen Vertrages über kollektive Sicherheit in Europa“. Er sah vor, ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem – unter Beteiligung der USA – zu schaffen.

Es sollte der „Bildung von Gruppierungen der einen europäischen Staaten gegen die anderen europäischen Staaten, die Verschärfung der Reibungen in den Beziehungen zwischen den Ländern hervorruft“, vorbeugen und „eine Übereinstimmung der Bemühungen aller europäischen Staaten zur Gewährleistung der kollektiven Sicherheit in Europa“ erzielen. Die Initiative scheiterte am Widerstand der Westmächte.

Am 31. März 1954 erklärte die So­wjet­union in einer Note an die Westmächte ihre Bereitschaft, zur gemeinschaftlichen Festigung der europäischen Sicherheit sogar der NATO beizutreten. Die Ablehnung der NATO-Mächte erfolgte am 7. Mai 1954.

Solche Vorschläge entsprachen nicht den Plänen der Herrschenden in der NATO. Sie hielten an ihrer Politik des „Zurückrollens des Kommunismus“ fest und schürten Antikommunismus und Völkerhass. Ihr Konzept hat der damalige Bundeskanzler der BRD, Konrad Adenauer, am 20. Juli 1952 so formuliert: „Mit einem totalitären Staat kann man nun einmal nicht sprechen wie mit einem Bruder. Ein totalitärer Staat versteht nur eines: Er hört dann, wenn der, mit dem er spricht, auch Macht hat. Und diese Macht muss sich Europa verschaffen.“

Trotzdem erneuerte die So­wjet­union in einer Note an die Regierungen Frankreichs, Britanniens und der USA vom 24. Juli 1954 den Vorschlag, eine Konferenz aller europäischen Staaten einzuberufen, auf der über die Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa beraten werden sollte. Am 13. November 1954 wurde ein ähnlicher Vorschlag allen europäischen Staaten unterbreitet, der ebenfalls auf Ablehnung stieß.

Die Teilnahme der DDR am Warschauer Vertrag festigte auch deren internationale Position im Ringen mit der auf die Liquidierung der DDR gerichteten Politik der herrschenden Kreise in Bonn. Die Mitgliedstaaten der WVO nahmen bei der Gründung der Organisation eine Erklärung von DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl zustimmend zur Kenntnis, in der es hieß: „Bei der Unterzeichnung des vorliegenden Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand geht die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik davon aus, dass das wiedervereinigte Deutschland von den Verpflichtungen frei sein wird, die ein Teil Deutschlands in militärpolitischen Verträgen und Abkommen, die vor der Wiedervereinigung abgeschlossen wurden, eingegangen ist.“

Der unterschiedliche Charakter der beiden Organisationen offenbarte sich auch darin, dass die NATO in Gegnerschaft zur So­wjet­union und den anderen sozialistischen Ländern gegründet und aktiv wurde. Die Gründung der NATO war vom Grundsatz der klassenmäßigen Ausschließlichkeit geprägt.

Die WVO verstand sich als ein Bündnis zur Gewährleistung von Frieden und Sicherheit und hatte die Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa zum Ziel.

Im Gegensatz zur NATO lag der WVO ein offener Vertrag zugrunde, der in Artikel 9 die Möglichkeit des Beitritts anderer europäischer Staaten vorsah. Einzige Bedingung für den Beitritt war die Bereitschaft dieser Staaten, „zur Vereinigung der Anstrengungen der friedliebenden Staaten zum Zwecke der Gewährleistung des Friedens und der Sicherheit der Völker beizutragen“.

Der größte Erfolg der Politik der WVO war die Einberufung und Durchführung der Konferenz für Frieden und Sicherheit in Europa.

Wegen ihrer positiven, einflussreichen Rolle in den internationalen Auseinandersetzungen stand die WVO im Zentrum der ideologischen Diversion des Imperialismus. Seit Mitte der 1970er Jahre – nach der Helsinki-Konferenz für Frieden und Sicherheit in Europa – verschärfte die NATO die psychologische Kriegführung gegen die WVO. Unverhüllt wurde ausgesprochen, dass ihre Gegner damit die Absicht verbanden, einen „angestrebten psychologischen Terraingewinn“ in den Teilnehmerstaaten der WVO in „spätere politische, eventuell militärische Vorteile umzusetzen“.

Im Kommuniqué der Tagung des NATO-Ministerrats vom Frühjahr 1977 war zum ersten Mal ein gesonderter Punkt zur psychologischen Kriegsführung enthalten. Neben massiven Aufrüstungsprogrammen wurden die inneren Angriffe auf die sozialistischen Staaten zum NATO-Langzeitprogramm.

Unter Ausnutzung innerer Widersprüche gelang es, die Zerstörung der So­wjet­union und die Niederlage des Sozialismus in Europa durchzusetzen. Bestandteil dieser Entwicklung war die Kapitulation Russlands auf der Weltbühne, was auch die Auflösung der WVO implizierte.

Damit wurden die Bedingungen geschaffen, die zur staatlichen Auflösung der CSSR, zur Aggression gegen Jugoslawien und zum Aufbau eines gegen Russland und gegen den Frieden in Europa gerichteten USA- und NATO-Gürtels entlang der Grenze Russlands – vom Baltikum bis ins Schwarze Meer – führten, dessen Zentrum die Ukraine bildet!

Trotz der Niederlage des Sozialismus in Europa und der aggressiven Ausdehnung der NATO nach Osteuropa sind die Erfahrungen und Lehren dieser Periode von bleibendem Wert.

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"Pfeiler von Sicherheit und Frieden", UZ vom 16. Mai 2025



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