Schwere Eingriffe in die Versammlungsfreiheit bei Protesten gegen AfD-Jugend. Regierungslager heuchelt „Kampf gegen rechts“

Rechts-Staat in Gießen

Zehntausende haben am vergangenen Wochenende in Gießen gegen den Gründungskongress der AfD-Jugendorganisation „Generation Deutschland“ (GD) demonstriert. Die Veranstalter zählten 50.000 Demonstrantinnen und Demonstranten, das Innenministerium sprach von 30.000 Teilnehmern. Das sehr breite Bündnis war am Samstag von 6 Uhr morgens bis spät in die Abendstunden auf der Straße. Angemeldet waren verschiedene Demonstrationen, Veranstaltungen und Kundgebungen rund und um die Hessenhallen, in denen der Kongress stattfand. Gleichzeitig veranstaltete die Stadtregierung zusammen mit anderen Gruppen ein „Demokratiefest“.

Schon im Vorfeld hatten die bürgerlichen Medien die Stimmung aufgeheizt. Die Demonstrierenden würden die „Stadt Gießen zum Brennen bringen“ hieß es da. 6.000 Polizeibeamte aus 15 Bundesländern reisten an. Alle Veranstalter und das Bündnis „Widersetzen“ riefen indes zur Besonnenheit auf. Einen Tag vor den Protesten beschloss der Hessische Verwaltungsgerichtshof, dass die Demonstrationen von „Linken“ und DGB verlegt werden mussten. Die Weststadt wurde vollständig abgeriegelt.

Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sei „nicht ernst genommen“ worden, kommentierte der Marburger Strafverteidiger Jannik Rienhoff später. Der Beschluss habe nur dazu geführt, dass der Versuch von Demonstranten, in Hör- und Sichtweite zu den Hessenhallen zu gelangen, „im Chaos endete“. Beamte hätten Beschuldigten den Zugang zu Verteidigerinnen und Verteidigern verweigert oder sie nicht telefonieren lassen, schildert Rienhoff. Obwohl Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) im Vorfeld gesagt hatte, Gewalt dürfe nie ein legitimes Mittel sein, habe „die Polizei den Faschisten den Weg frei geprügelt“, so Laura Wolf, eine Sprecherin des Bündnisses „Widersetzen“.

Damit sich die 800 AfDler störungsfrei zusammenrotten konnten, wurde die Bewegungsfreiheit tausender Bürger massiv eingeschränkt. Die Polizei setzte Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Radfahrer wurden an den Lahnbrücken von Polizeiketten gestoppt. In die westlichen Orte Gießens gelangten nur Personen, die dort wohnen, nicht aber Menschen, die jemanden besuchen oder an ihren Arbeitsplatz wollten. Die AfD-Delegierten und Gäste wurden hingegen eskortiert oder sogar direkt zum Versammlungsort gebracht.

Trotz des massiven Polizeieinsatzes gelang es denjenigen, die an den Blockadeaktionen rund um das Gelände teilnahmen, die An- und Abreise der AfD-Mitglieder für etwa zwei Stunden zu verzögern.

Politisch waren die Proteste vom kleinsten gemeinsamen Nenner geprägt: Alle gegen die AfD! Die Frage nach dem Grund für den Aufstieg der Rechtspopulisten wurde hingegen kaum gestellt. Ganz im Gegenteil: Die großen Parteien (FDP, Grüne, SPD) die den Erfolg der Rechtspopulisten mit ihrer Politik überhaupt erst möglich gemacht hatten, reihten sich in die „Eintracht der Demokraten“ ein. Die CDU hatte nicht mobilisiert, kommentierte das Geschehen aber ganz „demokratisch“ und „rechtsstaatlich“ vom Spielfeldrand. Ähnlich wie bei vorangegangenen Großdemonstrationen gegen die AfD demonstrierten neben überzeugten Antifaschisten auch Kriegstreiber, soziale Kahlschläger, Militaristen und neoliberale Marktradikale völlig ungeniert und inhaltsleer „gegen rechts“.

Nur wenige Gruppen wie die DKP machten deutlich: Es hat System, wenn bei Bildung, Gesundheit und Sozialem gespart wird, während unbegrenzte Summen für Krieg und Hochrüstung bereitstehen. Um diese Politik durchzusetzen, setzt der rechte Block der Regierungsparteien auf Spaltung. Während die Empörung über den Rassismus der AfD (zu Recht) groß ist, gehören rassistische „Stadtbild“- und Abschiebekampagnen zum guten Ton der „Demokraten“. Die AfD will soziale Sicherungssysteme zerschlagen – die schwarz-rote Koalition tut es. Und weil sich die AfD (auch dank der geheuchelten Empörung im Regierungslager) als Oppositionspartei inszenieren kann, gelingt es, den Protest gegen die Kriegs- und Krisenpolitik in Bahnen zu leiten, die für die Herrschenden in den Konzernzentralen ungefährlich sind.

Mit Slogans wie: „Die AfD macht die Hetze, die Regierung die Gesetze“, brachten die Kommunistinnen und Kommunisten diese notwendige Auseinandersetzung in den Protest ein. Das traf in den Teilen der Bewegung auf Zustimmung, die über die AfD hinausgehende Politikansätze unterstützten. So waren aus den Reihen von „Widersetzen“ auch palästinasolidarische und klassenkämpferische Stimmen zu hören, die sich mit der sozialen Frage hinter der Rechtsentwicklung befassen wollten.

Hier gilt es anzuknüpfen, denn: Die Politik der AfD ist die Zuspitzung der Politik der Altparteien. Sie ist keine „Alternative“, sondern ein Teil des Systems. Gestoppt werden können sie und der brandgefährliche Kriegskurs nur durch den gemeinsamen Kampf der Mehrheit der Bevölkerung auf der Straße und in den Betrieben – für Frieden, Solidarität und gegen den Kahlschlag.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.



UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
Unsere Zeit