Deutschland vor 80 Jahren: Herbst 1945

Ringen um Klarheit und Kraft

Die Vorgänge vom Herbst 1945 haben ihre Wurzeln in den Umbrüchen von weltgeschichtlicher Bedeutung, die nach dem Sieg der Antihitlerkoalition eingeleitet wurden, als die Uhr des faschistischen Deutschlands zwölf geschlagen hatte.

1945 war Deutschland, das Land der Nazis und der Monopole, so geschlagen wie nie ein Staat zuvor geschlagen worden war – es hatte aufgehört, als Staat zu existieren. Millionen von Menschen waren rat- und arbeitslos, ihr Zuhause war zerstört, sie sahen keine Zukunft. Ihr Denken, Fühlen und Verstand waren verkrüppelt durch die Nazi-Ideologie und die von den Faschisten im eigenen Land und in den zeitweilig besetzten Gebieten – besonders in der So­wjet­union – begangenen Verbrechen.

Doch es waren auch die deutschen Antifaschisten da – zu Tausenden aus den Konzentrationslagern, Zuchthäusern und Gefängnissen befreit oder aus der Illegalität auftauchend, zu Hunderten aus der Emigration zurückkehrend, in die sie von den Faschisten getrieben worden waren.

Aber Tatsache ist auch, dass der Zusammenbruch des deutschen Imperialismus und Militarismus im Ergebnis des Krieges durch äußere Faktoren erfolgte, nicht durch die revolutionäre Aktion der Volksmassen. Die restlose Zerschlagung des imperialistischen Staates musste noch durch eigene, von der Arbeiterklasse geleitete Aktionen der Volksmassen herbeigeführt werden.

Der Rahmen wurde durch die Alliierten gesetzt. Diese fanden übereinstimmende Positionen hinsichtlich der Kapitulationsbedingungen, aber weniger in den Fragen der künftigen Gestaltung der Verhältnisse in Deutschland und im Hinblick auf die zukünftige Rolle Deutschlands in den internationalen Beziehungen. Sie dachten und planten grundverschieden.

Zerfall der Anti-Hitler-Koalition

Noch vor Kriegsende hatte Winston Churchill, wie er selbst in einer Wahlrede am 23. November 1954 preisgab, zu einem Zeitpunkt, „als sich die Deutschen zu Hunderttausenden ergaben und unsere Straßen von jubelnden Menschenmengen erfüllt waren“, in einem Telegramm an den Oberkommandierenden der britischen Truppen in Europa, Feldmarschall Bernard Montgomery, die Weisung erteilt, „die deutschen Waffen sorgfältig einzusammeln und sie aufzubewahren, damit sie leicht den deutschen Soldaten, mit denen wir hätten zusammenarbeiten müssen, wenn die sowjetische Offensive angedauert hätte, weitergegeben werden können“.

Die US-Regierung war in zwei Hauptfraktionen gespalten. Die eine folgte der Churchill-Linie: Man wollte dafür sorgen, dass Deutschland jederzeit als Bollwerk und Rammbock gegen die So­wjet­union dienen konnte. Die andere bevorzugte die Morgen­thau-Linie, die vor allem Deutschland als Industriekonkurrenten auf dem Weltmarkt ausschalten sollte. Beide sahen die Spaltung Deutschlands vor.

Die französische Regierung war entsprechend ihrer Zusammensetzung noch viel tiefer gespalten – sie bestand aus Kommunisten und Vertretern des Monopolkapitals.

Die Regierung der So­wjet­union hatte ihre Position in der Deutschlandpolitik schon am 23. Februar 1942 bekanntgegeben. In Josef Stalins Tagesbefehl aus Anlass des 24. Jahrestages der Gründung der Roten Armee hieß es: „In der ausländischen Presse wird manchmal darüber geschwätzt, dass die Rote Armee das Ziel habe, das deutsche Volk auszurotten und den deutschen Staat zu vernichten. Das ist natürlich eine dumme Lüge und eine törichte Verleumdung der Roten Armee. Solche idiotischen Ziele hat die Rote Armee nicht und kann sie nicht haben.

Die Rote Armee setzt sich das Ziel, die deutschen Okkupanten aus unserem Lande zu vertreiben und den Sowjetboden von den faschistischen deutschen Eindringlingen zu befreien.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Krieg für die Befreiung des Sowjetbodens zur Vertreibung oder Vernichtung der Hitlerclique führen wird. Wir würden einen solchen Ausgang begrüßen. Es wäre aber lächerlich, die Hitlerclique mit dem deutschen Volk, mit dem deutschen Staat gleichzusetzen.

Die Erfahrungen der Geschichte besagen, dass die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt.“

Deutschland besetzt

Entsprechend den alliierten Vereinbarungen vom 5. Juni 1945, die sich auf die Beschlüsse der Konferenz von Jalta stützten, wurden vier Besatzungszonen gebildet. Zur Regelung der Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen wurde ein Alliierter Kontrollrat mit Sitz in Berlin eingerichtet.

Die Besatzungsmächte übernahmen die oberste Regierungsgewalt in Deutschland einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden.

Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) hatte am 10. Juni 1945, nur einen Monat nach Beendigung der Kampfhandlungen, die Bildung demokratischer Parteien und Organisationen zugelassen. Es war die erste Amtshandlung der SMAD.

In den westlichen Besatzungszonen dagegen gestatteten die Besatzungsmächte erst Monate später die Ausübung der elementaren demokratischen Rechte, wobei die Bildung von politischen Parteien zunächst nur auf Kreisebene erlaubt wurde.

Schwieriger Neuanfang

Die erste Partei, die am 11. Juni 1945 mit einem Programm zur nationalen Wiedergeburt Deutschlands als friedliebender und demokratischer Staat an die Öffentlichkeit trat, war die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). In ihrem Aufruf wies sie deutlich auf die Ursachen für die nationale Katastrophe hin.

Sie bewies, dass die Hauptschuldigen für die Verbrechen des Hitlerregimes die imperialistischen Auftraggeber der Nazipartei, die Herren der Großbanken und Konzerne, sowie die Träger des Militarismus waren. Sie wies darauf hin, dass eine wichtige Lehre der deutschen Geschichte darin besteht, dass es durch die Einheit der Arbeiterklasse und die Herstellung eines breiten Bündnisses der Arbeiterklasse mit der Bauernschaft, der Intelligenz und anderen demokratischen Kräften möglich ist, ein Wiederaufleben der Reaktion zu verhindern, die Grundlagen des Imperialismus und Militarismus zu beseitigen und den Weg für den Aufbau eines friedlichen und demokratischen Deutschlands freizulegen. Dazu wurden konkrete Vorschläge unterbreitet.

Der Aufruf der KPD setzte sich ebenso mit dem verderblichen Einfluss des Reformismus und Revisionismus in der deutschen Arbeiterbewegung auseinander und warnte vor einer Wiederholung der Fehler der Vergangenheit.

Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung des Aufrufs der KPD konstituierte sich am 15. Juni 1945 in Berlin der Zentralausschuss der SPD als provisorische Leitung für ganz Deutschland. Er wurde von Otto Grotewohl und Max Fechner geleitet, die sich für die Aktionseinheit mit der KPD und für eine tiefgreifende antifaschistisch-demokratische Umwälzung einsetzten. Ihm gehörten auch einige Funktionäre der SPD an, die in der ersten Zeit mit ihrer politischen Konzeption noch nicht offen auftreten konnten, jedoch – wie sich sehr bald zeigen sollte – im Grunde genommen die Politik der Führung der SPD während der Jahre der Weimarer Republik fortzusetzen gedachten.

In dem bei der Konstituierung des Zentralausschusses beschlossenen Aufruf bekannte sich die Führung der Sozialdemokratie zu einer antifaschistisch-demokratischen Politik und setzte sich für solche Maßnahmen ein, deren Verwirklichung auf die Beseitigung der Grundlagen des Imperialismus und Militarismus in Deutschland hinauslief.

Der Zentralausschuss der SPD erklärte, er begrüße „auf das Wärmste den Aufruf des Zentralkomitees der KPD vom 11. Juni 1945, der zutreffend davon ausgeht, dass der Weg um den Neubau Deutschlands von den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen Deutschlands abhängig ist und dass die entscheidenden Inte­ressen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage die Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes und einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk erfordern. Wir wollen vor allem den Kampf um die Neugestaltung auf dem Boden der organisatorischen Einheit der deutschen Arbeiterklasse führen!“

Um das gemeinsame Handeln der beiden Arbeiterparteien im Kampf um die Beseitigung der Grundlagen des Imperialismus und Militarismus und für den Aufbau einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung in ganz Deutschland zu gewährleisten, beschlossen die Führungen der KPD und SPD am 19. Juni 1945, einen gemeinsamen Arbeitsausschuss mit je fünf Vertretern zu bilden.

Bei der Gründung der bürgerlich-demokratischen Parteien machte sich der Einfluss verschiedener Teile des Bürgertums bemerkbar. Ihr Auftreten war durch die Rolle geprägt, die sie in der Zeit des Faschismus gespielt hatten. Die Umstände nach der Befreiung wirkten dahingehend, dass auch sie zur antifaschistischen Zusammenarbeit bereit waren. So war es möglich, dass am 14. Juli 1945 der von der KPD vorgeschlagene Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien gebildet wurde.

In der Folgezeit ging es um die Verwirklichung der Vereinbarungen des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945. Darin hatten sich die Alliierten auf einen gemeinsamen Umgang mit Deutschland geeinigt, die „4D“. Deutschland sollte Denazifiziert, Demilitarisiert, Demokratisiert und Dezentralisiert werden. Kurze Zeit nach den Unterschriften wurde ein Differenzierungsprozess deutlich – vor allem zwischen den Maßnahmen in der Sowjetischen Besatzungszone und den Schritten, die in den westlichen Besatzungszonen erfolgten, wo es aufgrund gemeinsamer Inte­ressen zum Pakt zwischen den Kräften des deutschen Kapitals und den Besatzungsmächten kam. Es ging um die Frage, ob die Inte­ressen der Werktätigen oder jene des Kapitals das Primat erhielten. Das betraf etwa die demokratische Bodenreform, die im Herbst 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone begonnen wurde. Großgrundbesitzer, aktive Faschisten und Kriegsverbrecher wurden entschädigungslos enteignet. Etwa 560.000 landlose oder landarme Bauern, Kleinpächter und Umsiedler erhielten Land. Das unterschiedliche Herangehen in den Besatzungszonen wurde auch in vielen anderen Bereichen deutlich. Die Versuche der Arbeiterbewegung, die Niederlage des Faschismus zu einer Veränderung des Kräfteverhältnisses zu ihren Gunsten zu nutzen, sollte stark von ihrer Aktionseinheit geprägt werden.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Ringen um Klarheit und Kraft", UZ vom 24. Oktober 2025



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol LKW.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit