ifo-Präsident fordert noch mehr Umverteilung nach oben

Rosskur für ein zu Tode gerittenes Pferd

„Die Stimmung der Unternehmen ist im Sinkflug.“ Dies ist die ernüchternde Bilanz, die ifo-Präsident Clemens Fuest bei der Vorstellung der jüngsten Konjunkturdaten seines Instituts in der vergangenen Woche zog. Der ifo-Geschäftsklimaindex sank von 87,0 Punkten im Juli auf 86,6 Punkte im August. Das war bereits der dritte Rückgang des wichtigen deutschen Konjunkturbarometers in Folge und der tiefste Stand seit Februar. Während der Teil­index zur Beurteilung der aktuellen Geschäftslage von 87,1 auf 86,5 Punkte zurückfiel, ... Bitte hier anmelden

gingen die Geschäftserwartungen von 87,0 auf 86,8 Punkte zurück. Die Stimmung bei den Konsumenten ist ebenfalls im Keller. Angesichts von immer mehr Firmenpleiten, Entlassungswellen – und in deren Folge einer massiven Zunahme der Arbeitslosenzahlen – verstärkt sich bei vielen Menschen die Sorgen um den Arbeitsplatz und das Einkommen. Dies manifestiert sich in Daten des „Growth from Knowledge“ (GfK) und dem Nürnberger Institut für Marktentscheidungen (NIM). Demnach sank das Barometer für das Konsumklima im September auf minus 22,0 Punkte von minus 18,6 Zählern im Vormonat. Der Teilindikator der Marktforscher für die Einkommenserwartung sank um 16,2 auf 3,5 Punkte. Das war der größte Rückgang seit September 2022. Damals mussten die Verbraucher durch Inflationsraten von knapp 8 Prozent massive Einbußen ihrer Kaufkraft hinnehmen. Was die Bundesregierung tun müsse, um die deutsche Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, beschrieb ifo-Präsident Clemens Fuest dann in einem Gastbeitrag der „Welt am Sonntag“. Dabei steht – wenig überraschend – nicht ein längst überfälliger Politikwechsel im Interesse der Lohnabhängigen im Fokus des Münchner Ökonomen. Stattdessen soll die praktizierte neoliberale Rosskur forciert werden. In der Konsequenz wird einer Vermögensteuer eine Absage erteilt. „Das würde den Rückgang der privaten Investitionen verschärfen und den wirtschaftlichen Niedergang beschleunigen“, so Fuest. Ähnliches gelte für neue Mietendeckelungen oder Enteignungen am Wohnungsmarkt. Deutschland ist nach Meinung des ifo-Chefs „aus steuerlicher Sicht ein unattraktiver Standort“. Daher sollten die steuerlichen Abschreibungsbedingungen weiter verbessert und in den kommenden Jahren die steuerliche Belastung von einbehaltenen Gewinnen für Kapitalgesellschaften schrittweise auf 25 Prozent gesenkt werden. Die breite Masse soll hingegen den Gürtel enger schnallen. „Ein Ersetzen des Ehegattensplittings durch Realsplitting könnte einen Beitrag leisten, damit mehr Menschen sich einen Job suchen“, so Fuest. Außerdem fordert er Änderungen in der Bildungspolitik sowie stärkere Arbeitsanreize bei den Sozialtransfers. Mit anderen Worten, durch Leistungskürzungen und verschärfte Zumutbarkeitsregeln soll der Druck auf Bürgergeldempfänger weiter erhöht werden. Außerdem müssen – laut Fuest – Bürokratie und Regulierungen eingedämmt werden. Bezogen auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung, das Lieferketten- und das Energieeffizienzgesetz könnten einige dieser Regelungen ersatzlos wegfallen. Bei den Lieferketten sollten etwa allgemeine Verhaltensregeln mit Stichprobenkontrollen die flächendeckenden Berichtspflichten ersetzen. Bei der öffentlichen Infrastruktur will der Ifo-Chef die Erhaltungs- und Modernisierungsinvestitionen nicht nur steigern, sondern sie auch verstetigen. Private Unternehmen hätten damit die Planungssicherheit, in entsprechende Kapazitäten zu investieren. Reformen fordert der ifo-Präsident auch in der Energie- und Klimapolitik. Anders als bisher sollte die Politik „den CO₂-Preis konzeptionell in den Mittelpunkt stellen und dort um weitere Instrumente wie etwa Zuschüsse zu Investitionen in Dekarbonisierung ergänzen, wo es nötig ist“. Das neoliberale Manifest schließt mit der Forderung nach einer Vertiefung des EU-Binnenmarkts und neuen Freihandelsabkommen mit Drittstaaten. In der Medizin setzen verantwortungsbewusste Ärzte ein Medikament ab, wenn es dem Patienten schadet. Scharlatane erhöhen die Dosis. In der Wirtschaftspolitik hat Letzteres aktuell Konjunktur.

Exklusiver Artikel für UZ-Abonnenten der Online-Ausgabe

Sie haben bereits ein UZ-Abo? Dann bitte hier anmelden.

Falls Sie den Beitrag lesen möchten, aber noch keine Abonnentin / kein Abonnent sind, bieten wir Ihnen einen kostenlosen Zugang für 6 Wochen.

UZ kennenlernen

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Rosskur für ein zu Tode gerittenes Pferd", UZ vom 6. September 2024



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flugzeug.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit