Die Friedensfrage spaltet die Linkspartei. Alleingänge und Austritte bestimmen das Bild

Schwankend am Abgrund

Fast ein Jahr lang war Justin König Vizevorsitzender der brandenburgischen Linkspartei. Doch damit ist nun Schluss, schließlich hat er zum Donnerstag seinen Austritt erklärt. Grund sei die Haltung seiner Partei zum „größten Zivilisationsbruch seit dem Zweiten Weltkrieg“, wie er den militärischen Angriff Russlands auf die Ukraine bezeichnet. Zwar gesteht der ehemalige Funktionär der seit 2019 noch mit zehn Sitzen im Landtag vertretenen Oppositionspartei ein, dass „der Westen, der in dieser Verallgemeinerung überhaupt nicht existiert“ sicherlich „viele Fehler“ gemacht habe, doch das erkläre für ihn nicht, warum „sich ausgerechnet eine linke Partei vom Gedankengut um Wagenknecht treiben“ lasse.

Als die Medien kurz darauf berichteten, dass die ehemalige Fraktionsvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende der Linkspartei nicht mehr für diese kandidieren wolle, verkündete König auf Twitter, dass seine Entscheidung „nicht umsonst“ gewesen sei. Dass Königs Austritt Wagenknecht zu dieser Aussage bewogen hat, ist zu bezweifeln. Dass sein Austritt jedoch Eindruck auf andere gemacht hat, zeigt die Austrittserklärung des brandenburgischen Linksjugend-Sprechers Jonathan Wiegers. Der ursprünglich aus der grünen Partei kommende Wiegers urteilt über seine ehemalige Partei „Die Linke“, diese habe „sich dafür entschieden, in ihrer eigenen dogmatischen Verblendung und in antiquierten betonkommunistischen Doktrinen des Kalten Krieges verhaftet zu sein“. Die erhobenen Vorwürfe sind angesichts der Beschlusslage der Linkspartei zur Sanktionspolitik gegenüber Russland nicht nachvollziehbar, jedoch mit Blick auf das Programm der Partei, welches nicht erst seit dem 24. Februar letzten Jahres Stück für Stück ausgehöhlt wird.

Während sich einzelne Entscheidungsträger der Bundesspitze angesichts der breiten Unterstützung für das „Manifest für den Frieden“ von Wagenknecht und Schwarzer für Verhandlungen und ein Ende des Konfrontationskurses stark machen, will ein Teil der Mitgliedschaft den „Russlandkurs“ ihrer Partei nicht mehr mittragen. Dabei sind die oben dargestellten Austritte aus Brandenburg keine Einzelfälle. Ende Februar verließ der Rostocker Sozialsenator Steffen Bockhahn die Partei. Seine Begründung ähnelt den Brandenburger Erklärungen, in seinem Austrittsschreiben bezeichnet er Putin ebenfalls als „faschistisch“ und wendet sich de facto gegen die Petition von Wagenknecht. Diese wird zwar von der Parteispitze nicht unterstützt und wurde nach Debatte im Parteivorstand bewusst nicht unterzeichnet, doch haben entgegen bisheriger Trends die Ko-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali (die bei „Focus online“ als „Ersatz-Wagenknecht“ bezeichnet wird) und sogar der Außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Gregor Gysi, die Petition namentlich gezeichnet. Dabei hatte Gysi noch letztes Jahr vorgeschlagen, dass seine Fraktion das 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramm der Ampel-Regierung unterstützen solle. Doch die Gefahr der atomaren Eskalation lässt anscheinend selbst ihn umdenken.

Dass Wagenknechts Initiative nicht von allen Linksparteivorständen ignoriert wird, ist angesichts der breiten Umfragemehrheiten und mit Blick auf die kommenden Wahlen für die Partei sinnvoll. Ende Februar sprachen sich 63 Prozent in einer vom „Spiegel“ in Auftrag gegebenen Umfrage für ein stärkeres Engagement der Bundesregierung für Friedensverhandlungen aus. Zwar dachten letzten Sommer noch weit mehr Menschen so, doch war diese Position in der öffentlichen Debatte nicht hörbar. Der enge Meinungskorridor, den die großen Medienhäuser abbilden, hat sichtbar auf die regierungskompatiblen Positionierungen der etablierten Bundestagsparteien abgefärbt – „Die Linke“ eingeschlossen. Wie schon bei vorherigen Kriegen war sie nicht in der Lage, die Stimmung in der Bevölkerung zu drehen. Das zu ändern, könnte die Linkspartei vor der Bedeutungslosigkeit retten. Wendet sie sich weiterhin von der Friedensbewegung ab, verliert sie ihren Gebrauchswert.

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"Schwankend am Abgrund", UZ vom 10. März 2023



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