Bündnis Sahra Wagenknecht in Berlin vorgestellt

Früher „Linke“, jetzt vernünftig?

Am Montag fand in Berlin die erste Pressekonferenz des neuen Vereins „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) statt. Bevor es um das mit Spannung erwartete Parteiprojekt ging, gaben die Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht, Amira Mohamed Ali und Christian Leye ihren Austritt aus der Partei „Die Linke“ bekannt. Sie und sieben weitere Bundestagsabgeordnete, die die Partei ebenfalls verlassen haben, wollen vorerst noch Mitglieder der Linksfraktion bleiben, auch um einen „geordneten Übergang“ für die Mitarbeiter zu ermöglichen. Mandatsträgerabgaben sollen jedoch nicht mehr geleistet werden. Der Bruch mit der Partei sei notwendig, um eine politische Leerstelle in der deutschen Parteienlandschaft zu schließen.

Der Linksparteivorsitzende Martin Schirdewan nannte diesen Schritt mit Blick auf die Abgeordnetenmandate „Diebstahl“ und schloss sich damit einer Stellungnahme der drei direkt gewählten Abgeordneten Sören Pellmann, Gesine Lötzsch und Gregor Gysi an. Schirdewan betonte, dass die Zahlung von Mandatsträgerabgaben unabhängig von einer Parteimitgliedschaft vorgesehen sei und drohte mit juristischen Schritten. Statt die realen Probleme in seiner Partei zu thematisieren, setzte er auf Disziplin: „Kein Bundestagsmitglied der Linken in Ostdeutschland, kein Europaabgeordneter, kein Landrat, Oberbürgermeister, kein hauptamtlicher Bürgermeister wird zum Wagenknechtprojekt wechseln.“

Wer an der Basis darauf gehofft hatte, dem neuen Verein möglichst schnell beitreten zu können, der wurde enttäuscht. Ein Eintritt sei leider nicht möglich, hieß es. Es gelte jetzt Spenden zu sammeln und die Parteigründung vorzubereiten. Ziel sei es, als Bundespartei zu den EU-Wahlen anzutreten. Der Geschäftsführer des Vereins, Lukas Schön, sprach sich zudem für ein „kontrolliertes Wachstum“ der künftigen Parteimitgliedschaft aus.

Mit auf dem Podium saß auch der als „Unternehmer“ vorgestellte Millionär Ralph Suikat in seiner Funktion als neuer BSW-Schatzmeister. Der Mitbegründer der politischen Kampagne „Tax me now“ soll die Verbindung zum sogenannten Mittelstand darstellen, dessen Interessen die neue Formation anscheinend vor allem vertreten will. Im Gründungspapier werden eine „innovative Wirtschaft mit fairem Wettbewerb“, ein „Zukunftsfonds“ für heimische Unternehmen und die Unterstützung von „Zukunftstechnologien made in Germany“ gefordert. Konkrete Aussagen zur Stärkung der Arbeiterklasse sind hingegen Mangelware, auch wenn sich der Bundestagsabgeordnete Christian Leye dafür aussprach, eine „Brücke zu Gewerkschaftern und Betriebsräten“ zu bauen.

An die Hauptstadtpresse richtete Wagenknecht einen Appell: „Es ist Ihr legitimes Recht, uns nicht zu mögen (…), aber setzen Sie sich bitte sachlich mit dem auseinander, was wir vertreten.“ Als Grund für diese Bitte nannte Wagenknecht die in den vergangenen Tagen publizierte Unterstellung, sie wolle eine „Staatswirtschaft à la DDR“ aufbauen. Den Appell quittierten die Hauptstadtjournalisten mit Fragen zur möglichen Zusammenarbeit mit der AfD, obwohl die Vereinsvorsitzende Mohamed Ali diese zuvor schon als in Teilen rassistisch bezeichnet hatte. Der „Deutschlandfunk“ fragte, ob das Ziel, sich für Lohnabhängige einzusetzen, nicht dadurch konterkariert werde, dass mit der drohenden Spaltung auch Arbeitsplätze von Fraktionsmitarbeitern in Gefahr seien. Ernsthafte Fragen zum politischen Programm wurden leider nicht gestellt. An der Verfasstheit der deutschen Linken interessierte Beobachter werden noch ein bisschen Geduld mitbringen müssen.

Die bisher vorgestellten Grundsätze sind zu oberflächlich, um eine abschließende Bewertung vorzunehmen. Zudem sollen sie noch einem breiten Diskussionsprozess ausgesetzt werden. Bis jetzt lässt sich nur bewerten, was vom Vereinsvorstand hervorgehoben wurde. Wenn Wagenknecht moniert, dass Menschen mit Bürgergeld plus Schwarzarbeit mehr verdienen als in manchen Vollzeitstellen, dann wäre das Hauptproblem leicht zu benennen: Die (Über-)Macht des Kapitals über die Arbeit. Vernunft in diesem Zusammenhang hieße, die Gegenwehr lohnabhängig Beschäftigter, also Klassenkampf, zu organisieren. Der anstehende Sammlungs- und Gründungsprozess wird zeigen, wie viele klassenkämpferische Positionen in der „vernünftigen“ Partei Platz haben werden. Ob sich das BSW zu einer sozialen Friedensliste entwickelt, wird vor allem von den künftigen Parteimitgliedern abhängen. In seiner Gründungserklärung ist das jedoch nicht vorgezeichnet.

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"Früher „Linke“, jetzt vernünftig?", UZ vom 27. Oktober 2023



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