Teile der Linkspartei planen Rausschmiss des Wagenknecht-Lagers

Rechts-Links-Schwäche

Lorenz Gösta Beutin ist 44 Jahre alt. Er war Mitglied der Grünen, trat dort 1999 wegen des Krieges gegen Jugoslawien aus und ein Jahr später in die PDS ein. 2008 schloss er sein Geschichtsstudium ab. Seit 2010 arbeitete er hauptamtlich im parlamentarischen Apparat für „Die Linke“. 2017 gelang ihm der Einzug in den Bundestag, aus dem er im letzten Jahr wieder rausflog. Aktuell ist er stellvertretender Parteivorsitzender und hat in dieser Funktion den Aufruf „Progressive Linke müssen reden“ unterzeichnet. Abgeordnete, Funktionäre und Mitglieder der PDL rufen darin zu einem Vernetzungstreffen auf, mit dem Ziel, „die Koexistenz mit dem Linkskonservatismus in der Partei zu beenden“.

Beutin und seine Mitstreiter machen für die Niederlagen der Linken bei den vergangenen Wahlen „strukturelle Gründe“ aus. In der Partei gebe es eine Formation des „Linkskonservatismus“ mit eigenem Programm, das im Buch „Die Selbstgerechten“ von Sahra Wagenknecht formuliert worden sei. (Rezension in der UZ vom 11. Juni 2021) Wagenknecht scheint der Lord Voldemort der „progressiven Linken“ zu sein: Es wird auf ihr Buch verwiesen, ihr Name aber nicht ausgesprochen. Ähnlich wie Voldemort scheint die nicht Genannte für alles Böse zu stehen. Der Linkskonservatismus „ist radikal gegen das Programm der Partei gerichtet, bekämpft es aggressiv mit gesellschaftspolitisch regressiven, reaktionären Positionen und entsprechenden öffentlichen Aktivitäten“. Vor den anstehenden Landtagswahlen im kommenden Jahr soll „die politisch zerstörerische Koexistenz“ mit Wagenknecht gekündigt werden.

Kampf um die Fleischtöpfe

Viele der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner hängen wie Beutin an den Fleischtöpfen des bürgerlichen Parlamentarismus. Bei den Wahlergebnissen der Linkspartei wird der Verteilungskampf heftiger, auch bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Viele der Unterzeichnenden sind in Beutins Alter, haben Hochschulabschlüsse und bekommen ihr Geld mittels der Parteienfinanzierung vom Steuerzahler. Sie sind abhängig von der bürgerlichen Demokratie, von der sie allerdings sehr gut leben.

Für die eigene soziale Lage gefährlich wird es, wenn der deutsche Imperialismus die Heimatfront zusammenschließt. Wer weiter mit ihm und von ihm leben möchte, muss seine Vorgaben beachten. Kritik muss deshalb im Rahmen bleiben: „Der Kampf um soziale Gerechtigkeit, zum Beispiel eine gerechte Verteilung der Lasten der russischen Aggression gegen die Ukraine, muss unteilbar verbunden sein mit dem Kampf für die universelle Geltung der Menschenrechte, mit progressiven, nachhaltigen Lösungen in der Energie- und Industriepolitik und bei der Bewältigung der ökologischen Krise, für einen starken öffentlichen Sektor bei der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge, mit der Verteidigung der Demokratie.“ In dem Satzungetüm schaffen es die Autoren, viele schöne Worte unterzubringen, mit denen die einfachen Menschen nichts anfangen können. Wer in diesem Winter hungern und frieren muss, der scheißt auf eine gerechte Verteilung der Lasten.

Über gerechte Verteilung

Es lohnt sich genauer hinzusehen. Welche Lasten sollen da aufgeteilt werden, wenn schon ausgelassen wird, auf wen sie verteilt werden.

Die erste zu verteilende Last sind die Kosten der Waffenlieferungen an die Ukraine und das gigantische Aufrüstungspaket der Bundesregierung. Die 100 Milliarden Euro Kriegskredit, beschönigend Sondervermögen genannt, werden ja ergänzt mit der Anhebung der Rüstungsausgaben auf jährlich 70 bis 80 Milliarden Euro. Linke sagen dazu einfach „Nein“.
Dann wären da die Kosten für die Unterbringung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Sie werden vor allem auf die Länder und Kommunen abgewälzt. Die Flüchtlingspolitik der Regierung von Angela Merkel seit 2015 hat dazu geführt, dass sich die Lage für die Ärmsten in Deutschland verschärft. Statt Sozialwohnungen zu bauen, wurden Flüchtlingsunterkünfte aus dem Boden gestampft, in denen viele Menschen bis heute leben – meist ohne Perspektive auf eine normale Wohnung. Zehntausende Sozialwohnungen sind aus der Preisbindung gefallen. Gerade in Großstädten konkurrieren immer mehr Menschen um den knapper werdenden günstigen Wohnraum.

Mit der Ankunft der ersten Flüchtlinge wurde die Idee verbreitet, dass gut ausgebildete Pflegerinnen aus der Ukraine die Lösung für die katastrophale Lage im Gesundheitswesen wären. Das vom Berliner Senat gelenkte „Bündnis für Pflege“ stellt auf seiner Internetseite entsprechende Informationen auf Ukrainisch zur Verfügung. Damit unterlaufen Senat und Klinikbetreiber den Kampf der Beschäftigten für eine gute Pflege auf mehreren Ebenen. Im Ausland gut ausgebildete Kräfte wurden in der Vergangenheit immer wieder mit der Begründung mangelhafter Sprachkenntnisse schlechter eingruppiert. Ressourcen für Einarbeitung und Spracherwerb werden nur begrenzt zur Verfügung gestellt, so ist die Stelle dann zwar besetzt, aber eben mit jemandem, der nicht alle Aufgaben erfüllen kann. Der Personalmangel ist somit nur auf dem Papier behoben. Und natürlich ist die soziale Lage Geflüchteter in der Regel so, dass sie viel schwerer in Arbeitskämpfe zu integrieren sind.

Die größte Last für die Menschen hierzulande sind die Auswirkungen des Wirtschaftskriegs gegen Russland. Auf Twitter schreibt Lorenz Gösta Beutin, die Gaspreisbremse bevorzuge Reiche und Superreiche. Seine Vorschläge sind unter anderem die Vergesellschaftung der Netze und großer Konzerne und „echter #Gaspreisdeckel für Grundkontingent“. Es bleibt also bei der Idee, die Menschen zum Frieren zu zwingen. Wenn ein Teil der Wärme zu derzeitigen Preisen bezogen werden muss, ist das für viele Menschen nicht mehr finanzierbar. Eine Vergesellschaftung eines großen Konzerns haben wir beim Kauf von Uniper durch die Bundesregierung gerade erlebt. In dieser Form ist die Forderung mindestens blauäugig. Was aber ganz offen bleibt, ist die Frage, wie der Preisdeckel denn refinanziert werden soll. Nicht mal das Thema „Übergewinnsteuer“ kommt im Aufruf der „Progressiven“ vor. Die Energiepreise steigen seit Mitte 2021. Die deutsche Politik hat mit ihrem Wirtschaftskrieg dafür gesorgt, dass das Gasangebot künstlich verknappt wird. Dass die einfachste Form, den Preis runterzubekommen, die Steigerung des Angebots ist, also der Bezug russischen Erdgases, darf aber nicht gedacht werden.

Begriffsverwirrung

Deshalb erinnern die „progressiven Linken“ an die Geltung der Menschenrechte. Welche sie meinen, bleibt unklar. Vergessen haben sie, dass Sanktionen, die nicht vom UN-Sicherheitsrat ausgesprochen werden, völkerrechtswidrig sind. Da führen sie in der Partei „Die Linke“ doch lieber Scheindebatten darum, dass die Sanktionen nur Putin und die Oligarchen treffen dürften. Schon immer haben die Wirtschaftskriege des Imperialismus als Erstes die Armen getroffen. Neu ist, dass diesmal die Armen in Deutschland direkt davon betroffen sind.

Gerecht zu verteilen haben die „progressiven Linken“ also die Lasten der imperialistischen Kriegspolitik. Ihre Verkleisterung hässlicher Politik mit schönen Worten setzt sich bei den Themen Demokratie und Antifaschismus fort. Es zeigt sich, dass das Denken der „Progressiven“ nicht über den Reichstag hinaus reicht. Ihr Verständnis von Links und Rechts hat nichts mehr mit Inhalten zu tun, sondern bleibt bei der auf die Sitzordnung in der französischen Nationalversammlung 1789 zurückgehenden Einteilung stehen. Was auf ihrer Seite gesagt wird, außer von Voldemort, ist gut. Auf der anderen Seite sitzt das Böse.

Wer zwanghaft im Reichstag bleiben will, nicht nach draußen blickt, kann nicht erkennen, wer die Macht in diesem Land hat. Der sieht auch nicht, dass Faschismus nicht von den Faschisten kommt, sondern eine besondere Form bürgerlicher Herrschaft ist: „… die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“ Der stimmt ein in den NATO-kompatiblen Chor auf den linksseitigen Sitzen des Bundestags, wie es im Aufruf heißt „für Solidarität, Nachhaltigkeit, Menschenrechte und Demokratie, Emanzipation, Feminismus“. Der singt auch die antikommunistische Strophe lauthals mit vom „geschichtlichen Versagen der deutschen sozialistischen Linken im 20. Jahrhundert“.

Ob die „progressiven Linken“ in der Lage sind, der Partei „Die Linke“ organisatorisch den Todesstoß zu versetzen, wird sich zeigen. Wie wichtig eine im besten Wortsinne sozialdemokratische Partei in Deutschland wäre, zeigt auch der Aufruf zu den Demonstrationen am 22. Oktober. Wesentliche Teile der deutschen Linken sind auf Positionen übergelaufen, die die Welt verklären und nicht erklären, die die Herrschenden umgarnen, statt sie zum Teufel zu jagen. Im Aufruf wird formuliert, es brauche eine solidarische Politik. „Eine 500-Euro-Brutto-Soforthilfe“ ist die einzig konkrete Forderung. Immerhin sind die Reichen nicht ganz außen vor. Es müssten „all jene beitragen, die es sich leisten können“. Kein Wort zum deutschen Wirtschaftskrieg, zur Aufrüstungspolitik. Ob die Aufrufer diese solidarisch mitgestalten wollen?

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Über den Autor

Björn Blach, geboren 1976, ist als freier Mitarbeiter seit 2019 für die Rubrik Theorie und Geschichte zuständig. Er gehörte 1997 zu den Absolventen der ersten, zwei-wöchigen Grundlagenschulung der DKP nach der Konterrevolution. In der Bundesgeschäftsführung der SDAJ leitete er die Bildungsarbeit. 2015 wurde er zum Bezirksvorsitzenden der DKP in Baden-Württemberg gewählt.

Hauptberuflich arbeitet er als Sozialpädagoge in der stationären Jugendhilfe.

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"Rechts-Links-Schwäche", UZ vom 21. Oktober 2022



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