Gewalt in und vorm Stadion wird mit Repression beantwortet – Ultras sind von Kollektivstrafen besonders betroffen

Sicherer als jede Dorfkirmes

Von Hannes Schinder

Am vergangenen Spieltag sperrte der DFB (Deutscher Fußball-Bund)) die Dortmunder Südtribüne für das Spiel gegen Wolfsburg, nachdem es zuvor zu Ausschreitungen im Zusammenhang mit der Partie gegen RB Leipzig kam. Der Strafenkatalog des DFB umfasst unter anderem Blocksperrungen, Stadionverbote, Verbote von Fahnen in den Fanblöcken und Geldstrafen. Die Blocksperrungen, wie im Dortmunder Fall, werden als Kollektivstrafe verstanden, weil dabei viele Menschen für die Taten einiger weniger bestraft werden. In Dortmund wurden 25 000 Stehplatzbesucher für das Handeln von Ultras und Hooligans bestraft. Schätzungen zu Folge gibt es in ganz Deutschland 25 000 Ultras, was diese Gruppe zur größten jugendlichen Subkultur macht. Häufig wird in den Medien über Ultras berichtet, wenn es Randale gibt. Diese Berichterstattung ist jedoch in den meisten Fällen einseitig und unreflektiert.

Bei Ultras ist der eigene Fußballverein Dreh- und Angelpunkt im eigenen Leben. Sie fahren zu jedem Spiel mit und unterstützen ihren Verein. Diese Unterstützung erfolgt durch Gesänge und Choreografien, aber auch Pyrotechnik spielt eine große Rolle – diese dient als Kanalisation von Emotionen.

Ein wesentlicher Bestandteil der Ultrakultur ist die Kritik an der zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs, konkret an den Spieltag-Terminierungen und dem Auseinanderziehen der Anstoßzeiten, womit mehr TV-Gelder generiert werden sollen. Dabei ist auch die Vermarktung der Stadionbilder von Bedeutung, für die die Ul­tras maßgebend sind. Das führt zu Spannungen zwischen DFB und Ultras.

Die Polizei macht für Ausschreitungen oftmals die Ultras verantwortlich und spricht von einer zunehmenden Gewalt in den deutschen Stadien. Die Zahlen der Polizei, die dazu vorliegen, werden von Ultras kritisiert. Selbst die DFL (Deutsche Fußball Liga) bestätigt, dass der Stadionbesuch sicherer ist als der Besuch einer Dorfkirmes. Der Anteil der im Stadion verletzten Personen liegt bei 0,005 Prozent. Die meisten Verletzten finden sich im Stadionumfeld. Zwischen Hooligans, die eher die Gewalt suchen, und Ultras wird dabei nicht differenziert. Auch nicht unterschieden wird zwischen Personen, die von Ultras oder Hooligans verletzt werden und jenen, die durch die Einsatzkräfte zu Schaden kommen.

Die Polizei fordert in regelmäßigen Abständen mehr Videoüberwachungen oder sogar Nacktkontrollen vor den Stadien. Diese wurden 2012 schon bei der Partie Bayern München gegen Eintracht Frankfurt praktiziert. Die Ultras sehen darin eine Bedrohung der Fan- und Bürgerrechte, weshalb sie sich zusammengeschlossen haben, um ihre Interessen und die aller Fans zu vertreten. In diesem Zusammenhang kam es u. a. zu einem „Stimmungsboykott“, bei dem in allen Stadien 12 Minuten und 12 Sekunden kein Ton zu hören war. Und diese Bilder waren wesentlich beeindruckender als eine leere Südtribüne in Dortmund.

Wenn man dann noch bedenkt, welche sozialen Tätigkeiten Ultras in ihren Heimatstädten leisten, wird klar, wie wichtig diese auch bei der Jugendförderung sind. Ultras unterstützen soziale Projekte in ihren Städten, sammeln Spenden und können sogar das Stadtbild prägen. Die Ultraszene Mainz kocht zum Beispiel in regelmäßigen Abständen für Obdachlose in der Stadt. Die Jugendlichen Gruppenmitglieder lernen dadurch soziale Verantwortung und durch ihre Erfahrungen mit der Polizei und den Medien lernen sie, die Gesellschaft zu reflektieren. In vielen Städten haben die Ultras längst den öffentlichen Jugendzentren den Rang abgelaufen.

Ultras bekommen jedoch den vollen Strafenkatalog zu spüren, der ursprünglich gegen die Hooligans entwickelt wurde. Wenn man sich jetzt die Bilder des letzten Spieltags anschaut, bei dem Dortmunder Ultras den Gästeblock benutzten, stellt sich die Frage, wie sinnvoll sind diese Strafen? Um die Situation zu entschärfen wäre ein Dialog wirkungsvoller als die Drohung mit immer neuen Strafen, wie zum Beispiel dem Wegfall der Stehplätze. Auch so eine Maßnahme, die ganze Gesellschaftsteile vom Fußball ausschließen würde.

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"Sicherer als jede Dorfkirmes", UZ vom 24. Februar 2017



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