Fleischindustrie nach dem Verbot von Werkverträgen

Sklaventreiber übernommen

Durch die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie hatten sich im vergangenen Jahr Schlachtbetriebe zu Corona-Hotspots entwickelt. Nun sind dort Werkverträge verboten. Darüber sprach UZ mit Peter Kossen, katholischer Pfarrer in Lengerich (Nordrhein-Westfalen). Er engagiert sich für die Rechte der Beschäftigten in der Fleischindustrie und hat 2019 die „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ gegründet, die Beschäftigte berät und unterstützt.

UZ: Seit dem 1. Januar sind Werkverträge in der Fleischindustrie verboten. Ist jetzt alles gut?

Peter Kossen: Wenn das Arbeitsschutzkontrollgesetz, das Werkverträge in der Fleischindustrie verbietet, durchgesetzt und kontrolliert wird, wenn dieses Gesetz seine Wirkung so entfalten kann, wie der Gesetzgeber es beabsichtigt hat, dann ist viel erreicht. Dann ist es möglich, die Rechtsstaatlichkeit in der Fleischindustrie wieder herzustellen.

Dabei geht es nicht nur um Werkverträge: Im Moment fällt in großem Stil Mehrarbeit an, diese Mehrarbeit haben die Fleischkonzerne in der Vergangenheit oft nicht bezahlt. Jetzt haben die Mitarbeiter ihre ersten Gehaltsabrechnungen im neuen Jahr bekommen – an diesen Abrechnungen muss sich zeigen, ob sich daran etwas geändert hat.

Was sich auch zeigt, ist, dass die Fleischkonzerne nicht nur die früheren Werkvertragsarbeiter und -arbeiterinnen übernommen haben. Sie haben oft auch die Vorarbeiter mit übernommen – und mit ihnen einen Stil des Anschreiens, der Erpressungen und der Drohungen. Sie haben also die Sklaventreiber gleich mit übernommen – wahrscheinlich aus sehr praktischen Gründen. Da können wir nicht erkennen, dass bei den Unternehmern der Fleischindustrie eine Haltungsänderung erfolgt ist, in dieser Szene, die mafiös durchseucht ist.

Aber wenn sich etwas verändert, weil die Fleischindustrie dazu gezwungen wird, ist ja auch etwas erreicht. Allerdings ist der Schwachpunkt des Gesetzes die Kontrolldichte: Es sieht für Kontrollen eine Mindestquote von 5 Prozent der Betriebe vor, das ist viel zu wenig. Außerdem sind durch das Gesetz nur die Beschäftigten in Schlachtung und Zerlegung besser gestellt worden. Ich will das nicht kleinreden, aber viele in der Fleischindustrie – wie die tausende Beschäftigten in Verpackung, Reinigung und Logistik – und in anderen Branchen profitieren nicht von dem neuen Gesetz.

UZ: Was hat sich bisher für die Arbeiterinnen und Arbeiter verändert?

Peter Kossen: Die Leute sagen: Sie haben jetzt einen Vertrag mit ihrem Konzern, mit Westfleisch, mit Tönnies. Bisher waren sie bei Subunternehmern angestellt. Jedenfalls kann man die Hoffnung haben, dass nun die Betriebsräte aufmerksamer sind, wenn es sie gibt, und dass sich langsam ein Stil ändert. Das ist aber alles im Konjunktiv gesprochen, das ist noch nicht die Realität. Die Hoffnung ist ja, dass das Recht, das sowieso gelten müsste, auch gilt – Höchstarbeitszeiten, Mindestlohn und so weiter. Ich bin schon sehr ernüchtert durch meine Erfahrungen mit dieser Branche – passieren wird nur, was erzwungen wird. Ich setze nicht auf Einsicht oder Menschlichkeit.

UZ: Sie sagen, die Fleischindustrie sei „mafiös durchseucht“. Was meinen Sie damit?

Peter Kossen: Man hat dort Verhältnisse – Arbeitsverhältnisse, Lebensbedingungen, auch Wohnbedingungen –, die in großem Stil unterhalb des Radars der Rechtsstaatlichkeit bleiben: Da werden Überstunden nicht bezahlt, Geld für Werkzeug oder Arbeitskleidung kassiert, Arbeitsverhältnis und Wohnraum miteinander verquickt – so entstehen bewusst geschaffene Mehrfachabhängigkeiten. Wir betreiben eine Beratungsstelle. Die Menschen, die zu uns kommen, sind oft sehr zurückhaltend damit, ihre Rechte einzufordern – sie wissen, dass sie am selben Tag Arbeit und Wohnung verlieren würden, wenn ihnen gekündigt wird. Sie sind, als sie nach Deutschland gekommen sind, davon ausgegangen, dass hier bestimmte Rechte gelten – aber diese Standards galten in der Fleischindustrie für einen großen Teil der Menschen nicht. Dahinter stehen Interessen – das ist aus meiner Sicht eine Art von Menschenhandel und Ausbeutung, die mafiöse Züge hat.

UZ: Wie würden Sie die Interessengruppe nennen, die dahinter steht?

Peter Kossen: Das ist moderne Sklaverei. Dahinter stehen Menschen, die ohne Rücksicht auf Verluste andere Menschen ausbeuten. Nicht der Mensch, sondern der Profit steht da im Mittelpunkt.

UZ: Konzentriert sich dieses Problem auf die Fleischindustrie?

Peter Kossen: In der Logistik, bei den Paketdiensten, im Gemüseanbau sehen wir ganz ähnliche Strukturen, sogar im Metallbau. Das Modell der Werkverträge hat in verschiedenen Branchen Schule gemacht.

UZ: Sehen Sie diese Verhältnisse als Ausdruck des Kapitalismus?

Peter Kossen: Ja, sogar des Turbokapitalismus, eines völlig entmenschlichten Kapitalismus. Wir versuchen aus guten Gründen, den Kapitalismus als soziale Marktwirtschaft zu bändigen. Es ist ja zynisch: Ich habe Unternehmer erlebt, die mir erklärt haben, dass die Arbeit in der Fleischindustrie für Menschen aus armen Ländern eine Win-win-Situation sei. Das ist strukturelle Diskriminierung, vielleicht struktureller Rassismus, wenn man sagt, diese Leute müssten dann eben mit weniger zurecht kommen, weil sie aus ärmeren Ländern kommen.

UZ: Sie sind katholischer Priester. Sehen Sie in der katholischen Kirche einen Akteur, der die Rechte der Beschäftigten stärkt?

Peter Kossen: Es gibt Verbände wie die Katholische Arbeitnehmerbewegung oder das Kolpingwerk, die aus einem anwaltschaftlichen Engagement in der Arbeitswelt hervorgegangen sind. Dieses Engagement kenne ich auch heute. Insgesamt sehe ich meine eigene Kirche da nicht als kampagnenfähig an. Da sind wir vielleicht zu angepasst an das System, zu bürgerlich dafür. Bekannt sind die Kirchen ja nun nicht ausdrücklich dafür, sich für die Rechte von Beschäftigten einzusetzen.

UZ: Wie bewerten Sie die Beschäftigungsverhältnisse in kirchlichen Einrichtungen?

Peter Kossen: Es gibt ja den Dritten Weg, den die Kirchen selbst gestalten können. Die Grundidee finde ich gut, die Grundannahme, dass ich die Möglichkeit habe, mich mit den Mitarbeitern über ein gemeinsames Grundverständnis des Dienstes zu verständigen, über das karitative Engagement. In der Größenordnung, die das angenommen hat, scheint mir das aber illusorisch zu sein – die Kirche ist ja ein großer Arbeitgeber, in manchen Bereichen regional der größte. Die Beschäftigten sind nicht alle bei der Kirche, weil sie vom Evangelium überzeugt sind. Da glaube ich auf die Dauer, dass der zweite Weg – mit Gewerkschaften und Streikrecht – gar kein schlechter ist.

UZ: Wie werden sich die Bedingungen in der Fleischindustrie in Perspektive entwickeln?

Peter Kossen: Meine Hoffnung ist, dass wir in dieser Branche Rechtsstaatlichkeit zurückgewinnen: Weg von Leiharbeit und Werkverträgen, die zu Sozial- und Lohndumping missbraucht worden sind. Vor der Öffnung des Ostens gab es eine Zeit in der Fleischindustrie, in der diese sehr schwere Arbeit gut bezahlt wurde. Ich will nicht die gute alte Zeit beschwören. Die Arbeit wird schwer bleiben. Aber die Entlohnung und die Möglichkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren, sollten dem entsprechen. Ich hoffe, dass die Vertretung durch Gewerkschaften, die zu einem guten Stil von Unternehmenskultur gehört, wieder einzieht.

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"Sklaventreiber übernommen", UZ vom 26. Februar 2021



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