34 Jahre nach dem Mord an Thomas Sankara sind seine Mörder zu langen Freiheitsstrafen ­verurteilt worden

Späte Gerechtigkeit?

„Ich empfinde Erleichterung“, hatte Alouna Traoré zu Beginn des Prozesses in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, gesagt. Er ist der einzige Überlebende des Mordanschlags auf die Sitzung des Nationalen Revolutionsrats am 15. Oktober 1987, bei dem neben Staatspräsident Thomas Sankara zwölf weitere Menschen starben. „Wir haben schon nicht mehr daran geglaubt, doch endlich findet dieser Prozess statt“, sprach Traoré für sich und die Hinterbliebenen der Opfer.

Das zuständige Militärgericht in Ouagadougou hat am 6. April sein Urteil verkündet, berichtete das panafrikanische Magazin „Jeune Afrique“. Zwölf der 14 Angeklagten waren während des unter Hochsicherheitsvorkehrungen stattfindenden Prozesses präsent. Zwei der drei Hauptangeklagten fehlten. Blaise Compaoré, ein Vertrauter Sankaras, der sich noch am Tag des Putsches zu dessen Nachfolger erklärte und bis 2014 Präsident Burkina Fasos blieb, residiert unter dem Schutz des ivorischen Präsidenten Alassane Ouattara in Abidjan und ist mittlerweile ivorischer Staatsbürger. Und Hyacinthe Kafando, ehemaliger Kommandant der Leibwache Compaorés, ist seit 2016 auf der Flucht. Das Gericht verurteilte beide in Abwesenheit zu lebenslanger Haft. Der dritte Hauptangeklagte, General Gilbert Diendéré, bekam ebenfalls lebenslänglich. Er sitzt wegen eines Putschversuchs 2015 bereits eine 20-jährige Haftstrafe ab. Der Militärstaatsanwalt hatte je 30 Jahre Haft für Compaoré und Kafando gefordert und 20 Jahre für Diendéré. Das Gericht befand Compaoré, Kafando und Diendéré des Angriffs auf die Staatssicherheit schuldig. Zudem verurteilte es Kafando wegen Mordes, Compaoré und Diendéré wegen Komplizenschaft zum Mord. Alle drei verlieren ihre militärischen Auszeichnungen. Acht weitere der Angeklagten bekamen Freiheitsstrafen zwischen drei und 20 Jahren. Drei wurden freigesprochen.

Mariam Sankara, die hinterbliebene Ehefrau des Revolutionärs, bekannte nach der Urteilsverkündung gegenüber „Radio France Internationale“: „Für mich ist wichtig, dass der Prozess es den Menschen in Burkina ermöglicht hat, zu erfahren, wer Thomas Sankara war. Als Individuum, als Politiker. Was er für dieses Land wollte. Und die zu verstehen, die ihn ermordet haben. Was seine Mörder wollten. Dass sie ihn aus egoistischen Interessen getötet haben.“ Das Regime Compaoré hatte Sankara nach seiner Ermordung in einer massiven Hetzkampagne als „Usurpator“ und „Renegaten“ diffamiert. „Jetzt ist er rehabilitiert“, befindet Mariam Sankara, „das erleichtert mich sehr.“

Sie hat ihr ganzes Leben für Gerechtigkeit gekämpft. 1997 reichte sie Klage gegen Unbekannt ein, damit die Tat nicht verjährte. Der Volksaufstand 2014 gegen Blaise Compaoré machte den Weg frei. Im März 2015 wurde die Untersuchung eröffnet. Zwei Monate später wurde der Leichnam Sankaras exhumiert und obduziert. Mehr als zwölf Kugeln hatten den Revolutionär durchsiebt. Auf dem Totenschein Sankaras war eine „natürliche Todesursache“ vermerkt worden. Der Prozess begann Mitte Oktober 2021. Das Urteil, hofft Mariam Sankara, hält Politiker und Militärs davon ab, Gewalt auszuüben. „Diese Gewalt muss aufhören in Afrika und Burkina Faso.“

Eine wesentliche Frage blieb während des Gerichtsverfahrens allerdings ausgeklammert: Die nach neokolonialen Interessen an der Beendigung der Revolution und Drahtziehern außerhalb Burkina Fasos. Der damalige ivorische Präsident Félix Houphouët-Boigny, getreuer Durchsetzer französischer Interessen, soll seine Hände im Spiel und Kontakt zu Compaoré gehabt haben. Nicht erst im Juli 1987 mit seiner Aufforderung an die Länder Afrikas, sich dem Schuldendiktat von Weltbank und Internationalem Währungsfonds nicht mehr zu beugen und die Zahlungen einzustellen, hatte Sankara sich zum Todfeind der französischen Bourgeoisie gemacht. Es scheint unwahrscheinlich, dass die französische Regierung und deren Geheimdienste keine Rolle beim Staatsstreich gegen „Afrikas Che Guevara“ gespielt haben. Emmanuel Macron hatte 2017 bei einem Besuch in Ouagadougou angekündigt, die geheimen Dokumente zur Causa Sankara zu veröffentlichen. Sein Versprechen hielt er nicht.

Als Thomas Sankara sich am 4. August 1983 via Staatsstreich zum Präsidenten machte, war Obervolta eines der ärmsten Länder der Welt. Vier Jahre später lag Burkina Faso im Human Development Index der UNO 50 Plätze weiter vorne! Sankara und seinen Genossinnen und Genossen gelangen beispiellose Gesundheitskampagnen: Zwei Millionen Impfungen gegen Polio, Meningitis und Masern in nur zwei Wochen brachten ihnen Lob der Weltgesundheitsorganisation ein. Dazu eine erfolgreiche Alphabetisierungskampagne und eine Agrarreform, die eine deutlich gesteigerte Produktion zur Folge hatte. Sankara wagte sogar einen zarten Beginn der Industrialisierung Burkina Fasos, den er mit Einfuhrzöllen flankierte. Und begann mit der Anpflanzung eines Grüngürtels im Sahel gegen die Desertifikation – lange bevor die VR China diese Idee aufgriff und zusammen mit den Sahelstaaten weiterführte. Der Panafrikanist las Marx, Engels und Lenin und sah die kubanische Revolution als Inspiration für Burkina Faso. Als sozialistisch bezeichnete er seine Regierung nicht. „Weil der Sozialismus eine Phase des Kampfes ist. Wir sind auf dieser Stufe noch nicht angekommen“, erzählte er der deutschen Journalistin Inga Nagel wenige Tage vor seiner Ermordung.

Compaoré beeilte sich, fast alle Reformen Sankaras zurückzunehmen. Heute gehört Burkina Faso wieder zu den ärmsten Ländern der Welt. Von Sankaras Politik blieb nur der Landesname – aus Obervolta machte er Burkina Faso, das „Vaterland der Integren“ –, das Verbot der Genitalverstümmelung an Frauen und der 8. März. Die burkinische Tradition, dass Männer am Internationalen Frauentag der Arbeit nachgehen, die sonst ihre Frauen verrichten, geht auf Sankara zurück.

„Die Gerechtigkeit kann unsere Träume von einer veränderten Gesellschaft, wie wir sie während der Revolution hegten, nicht wiederherstellen“, hatte Alouna Traoré zu Prozessbeginn gesagt. „Was unsere Träume von der Revolution angeht – da sind jetzt die jungen Generationen dran.“

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"Späte Gerechtigkeit?", UZ vom 15. April 2022



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