Millionen Franzosen haben seit 2023 gegen die „Rentenreform“ gestreikt und sind auf die Straße gegangen. Premierminister Sébastien Lecornu die Ankündigung abgetrotzt zu haben, diesen Generalangriff auf die Arbeit bis zum Ende der Amtszeit von Staatspräsident Emmanuel Macron 2027 zu verschieben, ist ihr hart erkämpfter Erfolg. Wird die Aussetzung der Reform tatsächlich umgesetzt und vom Parlament bestätigt, gewinnen tausende Menschen aus den Jahrgängen 1964 und 1965 mehrere Monate kostbarer Lebenszeit.
Kein Erfolg ist, dass sich die ehemals sozialdemokratische „Parti socialiste“ (PS) mit vagen Versprechen hat kaufen lassen, um die Regierung Lecornu II im Amt zu halten. Neuwahlen sind damit vom Tisch, zumindest vorerst. Der Weg für den brutalen Austeritätshaushalt auf Kosten der Beschäftigten, Rentner, Arbeitssuchenden, Schüler und Studenten ist frei. Damit hat die PS das Wahlbündnis Nouveau Front populaire (NFP) gespalten, das die letzte Parlamentswahl gewonnen hatte. Mathilde Panot, Fraktionsvorsitzende von La France insoumise (LFi) in der Nationalversammlung, sprach zu Recht von „Verrat“. Eine realistische Chance, dass das mehr oder weniger linke Bündnis nach der nächsten Parlamentswahl politische Maßnahmen umsetzen kann, die die Mehrheit der Franzosen entlasten, ist perdu.
Die Wut der Beschäftigten Frankreichs ist immens nach Jahrzehnten neoliberalen Kahlschlags. Die Intersyndicale, der informelle Zusammenschluss der Gewerkschaftsverbände des Landes, muss die Atempause jetzt nutzen, um verstärkt Druck in die Betriebe und auf die Straße zu tragen. Das wird den Gewerkschaften nur gelingen, wenn sie eine langfristige Perspektive aufzeigen und eine klare Strategie dorthin formulieren. Das aktuelle Bekenntnis der Intersyndicale, die Verschiebung der Rentenreform könne nur Vorbedingung sein für die Rücknahme der Reform, reicht dafür nicht aus. Notwendig ist eine Verbindung der gewerkschaftlichen Kämpfe mit den politischen von LFi und der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) für eine neue Verfassung Frankreichs, die die anachronistische Machtfülle des Präsidenten auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt und die Rechte der Beschäftigten signifikant stärkt.